Marcel Reich-Ranicki

Herta Müller, ihr Ruhm und ihre Neider

Die mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Schriftstellerin Herta Müller legt in ihrem vor zwei Monaten erschienenen Roman „Atemschaukel” Zeugnis ab für die Millionen, für die Kriegsende und Nachkriegszeit vollkommene Recht- und Schutzlosigkeit bedeuteten. Aber nicht nur dieses Buch, das das Schicksal des 1945 mit 17 Jahren in die Sowjetunion verschleppten Siebenbürger Sachsen Oskar Pastior nachzeichnet, lässt einen nicht kalt. Auch die Biografie der Autorin, die erst mit 15 Jahren die rumänische Staatssprache erlernte und deren Mutter zu jahrelanger Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert worden war, ist bewegend. 1953 im Banat geboren, kommt sie 1987 in Berlin an. Zwei Jahrzehnte später nimmt dieses Leben mit dem Literaturnobelpreis eine wahrlich ruhmreiche Entwicklung. Aus Leiden und Entbehrungen der Deutschen in Rumänien ist etwas erwachsen. Die Auszeichnung durch die Schwedische Akademie ist auch ein später Höhepunkt der...

Alfred Mechtersheimer zieht Bilanz

„AUF DIE DEUTSCHE FRIEDENSIDENTITÄT KÖNNEN WIR ALLE STOLZ SEIN” Dr. Alfred Mechtersheimer, Politikwissenschaftler und Friedensforscher, wird 70. Gerhard Frey jr. hat ihn befragt. Herzlichen Glückwunsch, Herr Doktor Mechtersheimer! Wie verbringen Sie Ihren Geburtstag? Mechtersheimer: Nachdem ich den 60. Geburtstag mit meiner Frau auf der Insel Rügen verbrachte, bleibe ich diesmal mit der Familie am Starnberger See, zumal drei liebe Enkelkinder dazugekommen sind. Es ist auch ein Dank für meine weitgehende Genesung. Aber eigentlich ist der Geburtstag ja ein Muttertag. Sie waren bis 1981 Mitglied der CSU. Verbindet Sie noch etwas mit dieser Partei? Mechtersheimer: Die Partei hat mit dem Hinauswurf die Verbindung gekappt. Die CSU als Ganzes ist ohnehin Geschichte. Vor allem ist sie heute keine patriotische Partei mehr. Sie ist besonders in der Spitze vom linken Zeitgeist infiziert. Manche Mitglieder stehen zwar weit rechts, aber...

Christa Wolf im Rampenlicht des kulturpolitischen Lebens in der DDR

„Mir scheint, für das bessere Verständnis zwischen Ost- und Westdeutschen wäre manches gewonnen, wenn man begreifen würde, dass Staat und Gesellschaft nicht gleichzusetzen sind. Die DDR war kein monolithischer, sich über vierzig Jahre gleich bleibender Block. Im Verlauf ihrer Geschichte entwickelte sich immer mehr ein eigenständiges gesellschaftliches Leben, in dem ich alle Varianten von Verhaltensweisen beobachte – von der absoluten Anpassung bis zur absoluten Gegnerschaft.“ Diese Worte Christa Wolfs aus einem Gespräch anlässlich ihres 70. Geburtstags im Jahre 1999 weisen darauf hin, was dieser Autorin bedeutsam war und warum uns ihre Werke gerade im vereinten Deutschland Einblicke erlauben wie wenige andere. Ihre literarischen Texte bieten ein sehr viel authentischeres Gesellschaftsbild, als expositorische Texte aus der DDR-Zeit zu leisten vermögen, da diese in keiner Weise die Möglichkeit hatten, sich dem ideologischen Erwartungshorizont...

Inhalt abgleichen