Interview mit der Autorin Heide Marie Zimmer zum Thema „Frauen in der Gesellschaft“.

Heide Marie Zimmer hat im Laufe vieler Jahre Geschichten von Frauen gesammelt und aufgeschrieben. Inzwischen sind zwei Bücher von ihr erschienen, in denen sie interessierten Leser/innen einen Einblick in intimste Erlebnisse gewährt. Die haarsträubenden Geschichten handeln von Gewalt, Verstümmelung, sexuellem Missbrauch und Versklavung.
Mabelpress traf Frau Zimmer in einem Frankfurter Hotel.

MP: Im Moment wird viel über die Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft geredet und geschrieben.
HMZ: Ja, es wurde festgestellt, dass Frauen in vergleichbaren Positionen im Schnitt 22% weniger verdienen als Männer. Ich weiß nicht, warum das jetzt so hochgespielt wird? Das ist doch lange bekannt. Ich bin keine Freundin von Leuten, die Themen dieser Art nur dazu benutzen, um sich selbst zu profilieren.

MP: Sollte darüber lieber geschwiegen werden?
HMZ: Nein, so meine ich das nicht. Themen, die mit der Ungleichbehandlung der Frau zusammenhängen, sollten nicht nur ab und zu aus der Mottenkiste geholt werden. Sie sollten solange ein Dauerthema sein, bis es eine reale Gleichberechtigung gibt.

MP: Im Vergleich zu anderen Staaten geht es den Frauen in Deutschland, in Westeuropa doch sehr gut.
HMZ: Wenn die Stellung der Frau in großen Teilen Asiens und Afrikas zugrunde gelegt wird, mag das stimmen. Das heißt aber nicht, dass bei uns eine totale Gleichberechtigung vorherrscht. Es gibt noch viel zutun.

MP: Sind Sie der Meinung, die Männer wären daran schuld?
HMZ: Teils, teils. Natürlich leben wir in einer von Männern beherrschten Gesellschaft. Frauen werden in einigen Bereichen nur geduldet. Das Gros der Frauen arbeitet im Niedriglohnbereich. Krankenschwestern, Altenpflegerinnen, Friseurinnen und Verkäuferinnen dürfen die Drecksarbeit machen, dürfen für einen Hungerlohn Überstunden ableisten, werden oft überfordert, sind früh ausgebrannt, wenn Haushalt und Kinder dazukommen, und haben deshalb in meinen Augen keine gute Lebensqualität. Man trichtert ihnen schon im Kindesalter ein, dass es für eine Frau nichts Schöneres gibt, als dem Ehemann, der Familie oder dem Arbeitgeber zu dienen.
Viele Männer mögen ihre Privilegien nicht aufgeben. Was kann es Schöneres geben als eine Dienerin, eine Putzfrau, eine Haushaltsorganisatorin, eine Köchin, eine Wäscherin, eine Büglerin, eine Erzieherin, eine Trostspenderin, eine Hausärztin und eine heißblütige Geliebte in einer Person? Und in den allermeisten Haushalten ist die Frau diejenige, die haupt- oder nebenberuflich all diese Dinge leistet.
MP: Aber man hört doch viel von Vätern, die mit anpacken.
HMZ: Mag sein, dass man davon hört. Ob das allerdings der Realität entspricht, wage ich zu bezweifeln.

MP: Halten Sie nichts von der Ehe?
HMZ: Wenn damit eine gleichberechtigte Partnerschaft gemeint ist, halte ich viel davon. Leider ist das in den seltensten Fällen so. Zu meiner Zeit wurde den Mädchen eingeredet, die Hochzeit mit einem gut situierten Mann sei der schönste Tag im Leben. Im Grunde genommen hat sich daran im Laufe der Jahrzehnte nicht viel geändert. Aus meiner Sicht ist der Hochzeitstag für viele Mädchen und junge Frauen der Anfang vom Ende. Alle Aufgaben, die ich vorhin schon erwähnt habe, prasseln auf das arme Ding nieder und da kann ich wahrlich nicht von einem schönen Tag reden, vom schönsten Tag im Leben ganz bestimmt nicht.
Außerdem stößt mir sauer auf, dass mit dem Wort „Ehe“ ausschließlich eine Heteropartnerschaft gemeint ist. Laut Kinsey gibt es eine sehr große Menge – ich meine über 50% – von Frauen, die homosexuelle Neigungen haben. Die werden in der Gesellschaft total ausgeblendet. Ich frage mich, warum das so ist? Warum sollen sich Lesben verbiegen, selbst verleugnen? In meinen Augen ist es eine Schande, was da passiert.

MP: Warum stehen die Frauen nicht auf und wehren sich?
HMZ: Ich denke, dass sie in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, in der ihnen immer wieder eingeredet und auch vorgelebt wurde und wird, dass Frauen das minderwertige Geschlecht darstellen. Schon in der Erziehung werden auch heute noch Unterschiede gemacht. Während Mädchen häuslich zu sein haben, werden Jungen zu Prinzen erzogen – wenn man von Erziehung überhaupt noch reden kann.
Es wird erklärt: Jungen hätten einen Penis, Mädchen keinen. Mädchen würde also etwas fehlen, sind somit minderwertiger als Jungen. Warum sagt man nicht, Jungen haben einen Penis, Mädchen eine Klitoris und beides ist gleichwertig?
Außerdem kommt eine gewisse Bequemlichkeit dazu. Schon Mädchen lernen, dass sie für gewisse Arbeiten angeblich nicht geeignet sind. Technikverstand z. B. wird ihnen von vornherein abgesprochen. Im Notfall kann es ja auf den Vater, später auf den Ehemann zurückgreifen. Obendrein ist mir aufgefallen, dass viele Frauen gern ihre Eigenverantwortung abgeben. Der Vater, Ehemann, Arzt, Priester, Automechaniker etc. wird es schon richten. Frauen müssen natürlich etwas für ihre Gleichberechtigung tun. Sie müssen aufstehen und ihre Belange selber regeln. Sie müssen Verantwortung für sich übernehmen. Sie müssen Dinge erlernen, die vielleicht nicht immer angenehm sind. Selbstverantwortung kann in Arbeit ausarten.

MP: Das heißt, Sie geben nicht allein den Männern die Schuld an der nicht vorhandenen Gleichberechtigung?
HMZ: Ich denke, dass sowohl Männer als auch Frauen an der jetzigen, und damit unbefriedigenden Situation, etwas ändern müssen. Es gibt immer zwei Seiten. Eine die tut und eine die tun lässt.
MP: Und Sie sind der Meinung, dass das unserer Gesellschaft gut tun würde?
HMZ: Natürlich würden den Männern einige Privilegien genommen. Auf der anderen Seite würden viele Frauen glücklicher werden. Wieso sollte das Glück des einen mehr wert sein, als das Glück des anderen?
Obendrein bin ich der Meinung, dass selbstbewusste Frauen, die um ihre Fähigkeiten wissen, seltener Opfer von Versklavung oder Gewalt werden. Viele Mütter würden aufstehen und sich gegen den sexuellen Missbrauch ihrer eigenen Kinder zur Wehr setzen, würden psychische und körperliche Gewalt nicht mehr zulassen, würden den Tätern signalisieren: bis hierher und nicht weiter. Sie würden nicht mehr Täterschutz betreiben, in dem sie ihren selbst erlebten Missbrauch, die selbst erlebte Gewalt aus Scham verschweigen. Sie würden die Täter anzeigen, zur Rechenschaft ziehen.
Sie würden sich von Ärzten nicht mehr einreden lassen, dass Gebärmütter oder Brüste unbedingt amputiert werden müssen. Sie würden sich die Länge der Klitoris ihrer Tochter nicht mehr vorschreiben lassen. Sie würden einer Amputation nicht zustimmen und dem Mädchen später selbst überlassen, ob es operativ etwas daran ändern will oder nicht.
Sie würden sich von Priestern nicht mehr einreden lassen, dass Homosexualität oder Masturbation den direkten Weg in die Hölle bedeuten.
Solange Frauen aus Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit, Scham oder Angst schweigen, können sich Täter sicher fühlen. Täter brauchen Opfer, weil sie feige sind. Stellt sich eine Frau als selbstbewusst und stark dar, verlässt also ihre Opferhaltung, werden viele Täter abgeschreckt.

MP: Reden Sie da nicht von einer Minderheit?
HMZ: Wenn jedes vierte oder fünfte Kind sexuell missbraucht wird, jede dritte Frau häusliche Gewalt erlebt, kann man schlecht von einer Minderheit reden. Da hilft es nichts, ins Frauenhaus zu flüchten, um nach einem Blumenstrauß und vielen Beteuerungen mit den Kindern zurück zum brutalen Ehemann zu kehren. Das macht unglaubwürdig und ändert an der Situation gar nichts. Der Täter muss zur Rechenschaft gezogen werden, muss merken, dass er zu weit gegangen ist.
Ich habe vor kurzem mit einer Polizeibeamtin gesprochen. Sie erzählte mir, dass sie gern hilft und immer zur Stelle ist, wenn Frauen oder Kinder in Not sind. Leider erstatten die meisten Opfer keine Anzeige oder ziehen diese zurück, wenn es hart auf hart kommt. Sie wollen einfach glauben, dass mit dem Partner alles gut wird – irgendwann. Dass man solche Frauen irgendwann nicht mehr ernst nimmt, liegt auf der Hand.
Außerdem wird in jedem Jahr allein in Deutschland etwa zweitausend weiblichen Babys die Klitoris operativ entfernt, weil sie dem – von Ärzten gemachten – Idealmaß nicht entspricht. Dabei geht es doch rein ums Geldverdienen. Wen interessiert schon, dass dem Mädchen dadurch bleibende körperliche und psychische Schäden zugefügt werden? So etwas nenne ich grundlose Körperverletzung.

MP: Sind Sie der Ansicht, dass die Justiz nicht genug tut?
HMZ: Auch die Justiz wird von Männern beherrscht. Und solange in einigen Männerkreisen das Verprügeln der Ehefrau zu einem Kavaliersdelikt heruntergespielt wird oder sogar noch anerkennendes Schulterklopfen auslöst, wird sich nicht viel ändern. Wenn man obendrein betrachtet, zu welch lächerlichen Strafen einige Täter verurteilt werden, kann man nur mit dem Kopf schütteln.
Eine Bekannte von mir wurde von einem Abzockanwalt verklagt, weil auf ihrer Homepage die Steuernummer fehlte. Das Gericht gab dem Anwalt Recht und meine Bekannte musste mehrere tausend Euro Strafe zahlen. Fünf junge Männer vergewaltigten auf grausame Art und Weise eine Siebzehnjährige, filmten den Übergriff und stellten den Film ins Internet. Der Älteste wurde zu einer lächerlichen Bewährungsstrafe verurteilt, die anderen freigelassen.
Es kann sein, dass ich Äpfel mit Birnen vergleiche. Aber verstehen tue ich das nicht.

MP: Brauchen wir härtete Gesetze?
HMZ: Nein, die vorhandenen reichen völlig aus. Sie müssen nur angewendet werden. Wie kann ich Tätern zum fünften Mal Bewährung geben? Man will ihnen den weiteren Lebensweg nicht verbauen? Das haben die doch schon ganz allein hinbekommen. Wer kümmert sich um das Opfer? Wer fragt, wie es dem geht? Die Siebzehnjährige wird ihres Lebens nicht mehr froh und diese Bagage wird lächelnd und feixend an ihr vorüberziehen. Ihr Leben ist zerstört worden und die Täter werden durch dieses Urteil noch in ihrem Tun bestätigt. Es ist eine Schande!

MP: Können Sie uns noch ein Schlusswort mit auf den Weg geben?
HMZ: Frauen, steht auf! Erhebt euch aus eurer Bequemlichkeit und Lethargie, aus eurer Abhängigkeit. Nehmt euer Leben selbst in die Hand. Lasst euch nicht mehr degradieren. Sagt, was ihr denkt und steht dazu. Lebt euer Leben, wie es euch gefällt und lasst euch nicht dauernd einreden, das und das könntet ihr nicht. Lasst euch nicht einreden, ihr seid zum Dienen auf dieser Welt. Lasst euch nicht einreden, ihr kämet in die Hölle, wenn ihr eure sexuellen oder homosexuellen Neigungen erlebt und auslebt.
Lasst euch nicht unterkriegen. Ihr seid stärker, als ihr glaubt. Lebt euer Leben. Lasst euch nicht zu Handlangern der Täter machen. Lasst euch nichts abschneiden, nur weil ein Mann sagt, das müsste so sein, weil es immer so war. Seid kritisch gegenüber Kirche, Ärzteschaft und sonstigen Organisationen, die euch etwas einreden wollen.
Erkennt eure weiblichen Stärken und versucht nicht, ein Mann zu werden. Zwängt euch nicht in enge Hosen, wenn es euch im luftigen Kleid viel besser geht. Erzieht eure Töchter zu selbstbewussten Frauen und macht keine Prinzen aus euren Jungen. Setzt euren Kindern Grenzen, ohne körperliche Gewalt auszuüben, auch wenn das im ersten Moment etwas stressig sein sollte. Eure Kinder werden es euch danken. Hackt euch nicht gegenseitig die Augen aus, nur weil eine andere ein schöneres Kleid oder ein neueres Auto hat. Haltet zusammen, sonst wird sich nichts ändern.

MP: Liebe Frau Zimmer! Vielen Dank für das ausführliche Gespräch

Info
Fassetten der Angst
ISBN 9783837002850
340 Seiten
19,90 Euro

Aus dem Tal der Tränen zum Happy End.
ISBN 9783837003161
116 Seiten
7,90 Euro

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