Die Angst des Kardinals vor den Opfern seiner Kirche

Die Angst des Kardinals vor den Opfern seiner Kirche

Immer, wenn der Dachstuhl der deutschen katholischen Kirche brennt, wird Karl Lehmann um Rat gefragt. Karl Lehmann hat immer eine flotte Antwort auf der Zunge. Der Dachstuhl brennt inzwischen lichterloh. Zuvor waren es kleine Flächenbrände, die immer wieder im Zaum gehalten werden konnten. Nun, mit den Schweinereien katholischer Priester an Eliteschülern, lodern auch die anderen Brandstellen wieder auf. Da ist beispielsweise das schwarze Kapitel der Heimopfer unter katholischen Dächern in den drei Nachkriegsjahrzehnten. Will man der Statisch glauben, wurde in der Mehrzahl in katholischen Einrichtungen geprügelt, vergewaltigt, zwangsisoliert, gefoltert. Alle Facetten der Verbrechen, die man einem anderen Menschen zufügen kann, sind in den Leidensgeschichten zu finden. Schlimmste Menschenrechtsverletzungen, Zwangsarbeit und Folter, psychische Zerstörungen von Kinderseelen, hat katholisches Bodenpersonal des himmlischen Chefs auf dem Kerbholz.

Vier Jahre haben die Opfer auf Entschuldigungen seitens der obersten katholischen Kirchenleitung gehofft, sie in unzähligen Internetbeiträgen dazu aufgefordert. Entweder kam nichts, oder dummes Geschwätz oder windelweiches Geschwafel, das die Heimopfer noch mehr verärgert hat.

Jetzt haben sie die Faxen satt. Nun wollen sie Bares sehen, und das ist auch aus anderen Gründen nachvollziehbar. Sie wollen das Geld, das man ihnen während der Heimzeit geklaut hat, endlich zurück. Schließlich bekamen sie billigsten Fraß vorgesetzt und schon dadurch wurde Geld gespart. Als Zwangsarbeiter wurden sie in die Feldern und Fabriken getrieben und haben dafür keinen Lohn erhalten; in etlichen Fällen geringe Tabakrationen, um selbst ihre Sucht zur Gewinnmaximierung beispielsweise im Torfabbau auszunutzen. Sie waren in Lumpen gekleidet und auch damit billiger als andere Arbeiter. Zusätzlich beanspruchen sie ein Schmerzensgeld für die zerstörten Biographien, dafür, daß die Kirche sie zu Wracks gemacht hat und sie darum keinen Fuß in der Gesellschaft fassen konnten und auch, weil sie aufgrund ihrer vergewaltigten Jugend und Kindheit heute, im Alter, teils bitterarm sind.

Nicht mit Karl Lehmann. Eine generelle Entschädigung der Gequälten und Geschundenen lehnt er ab. „Es kann keine pauschale Abfindung geben, die die Vergehen wie auf einer Preisliste aufzählt“, posaunt er lauter, als die Trompeten von Jericho, in die Presselandschaft hinein. Der Ruf nach einer beinahe ausschließlichen finanziellen Entschädigung jedoch sei „verräterisch“, sattelt er drauf und legt noch einige Zündschnüre bei: „Hier ist auch die Begehrlichkeit nach Geld nicht zu übersehen, wie übrigens der Runde Tisch um die Heimkinder, aber auch ein Blick in die Situation der USA und Irlands zeigt.“

Wer sich diese Äußerung auf der Zunge zergehen läßt, weiß sofort, warum Karl Lehmann den Opfern den Dreck unter den Nägeln nicht gönnt. Ihn treibt die pure Angst um. Angst davor, daß es seinem Verein, der vor dreißig bis sechzig Jahren eine Spur der Verwüstung durch katholische Heime gezogen hat, an die Geldbörse geht.

Diese Angst ist nicht unberechtigt. Die „Main-Post“ listet in ihrer Internetausgabe vom 30.03.2010 auf, wie teuer Griffe in die Unterhosen von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester kommen können. In den USA gingen bis dato 1,9 Milliarden Euro in die Taschen der Mißhandelten, davon 1,2 ab 2006, als der ganze Dreck richtig hochkochte, die Dachstühle der amerikanischen Kirchenhäuser brannten. In Irland vereinbarte die Regierung 2009 „mit kirchlichen Orden einen Entschädigungsfonds von 2,1 Milliarden Euro. Ein Großteil des Geldes brachte die Kirche durch den Verkauf von Gebäuden und Ländereien auf.“ Und die frechen österreichischen Kirchenopfer verlangen doch tatsächlich 130.000 Euro bar auf die Hand, - aus den Kirchenkassen. Und das so dicht vor der deutschen Grenze. Gut, das konnte Karl Lehmann noch nicht wissen, als er mit beiden Füßen auf die Bremsen des Wiedergutmachungszuges sprang und gleichzeitig die Hand-Notbremse zog. Für Karl Lehmann ist nur ein Zugeständnis möglich: „menschliche, therapeutische und pastorale Hilfen“ ja, aber selbst die Einrichtung eines Kirchenfonds für die Mißbrauchsopfer in Anlehnung an den Zwangsarbeiterfonds lehnt Lehmann klar ab. Die beiden Fragen könne man „nicht vergleichen“. Seine Bedenken gegen eine finanzielle Entschädigung würden sich durch einen Fonds sogar noch „verstärken“. So stelle sich etwa die Frage, ob es erlaubt wäre, Mittel aus der Kirchensteuer für einen solchen Zweck zu verwenden. Auch könnten im Falle einer eventuellen Mitverantwortung eines Bistums oder einer Ordensgemeinschaft „nicht andere Diözesen einfach haftbar“ gemacht werden. Hier tritt sie unübersehbar zu Tage, die panische Angst vor dem Griff ins Portemonnaie. Sein kompletter Verein könnte dabei in die Pleite gehen, wie es einzelnen Diözesen in den USA ergangen ist.

Nun ist Karl Lehmann nicht der Mi-Ma-Lehmann vom ZDF. Der heißt Norbert. Vor dem Karl steht noch der Begriff „Kardinal“. Also ist er ein ganz frommer, gottesfürchtiger Geselle. Er predigt, was sein oberster Chef ihm befiehlt, unter anderem die Liebe zu den Mitmenschen. Er weiß, daß Jesus Christus besonders auf der Seite der Schwachen, Verspotteten und Kranken stand. Er weiß auch, daß Christus von seinem Bodenpersonal den gleichen Einsatz verlangt. Nicht zuletzt weiß Kardinal Lehmann, daß Christus nie versucht hat, Leidende und Opfer der damaligen Gesellschaft (Zöllner, Huren und Aussätzige) mit Taschenspielertricks oder Wortakrobatik über den Tisch zu ziehen.

In seiner hohen Stellung ist er moralische Instanz. Er rangiert direkt hinter dem Papst und der ist auch die Wahrheit und Klarheit in Person. Oder dieser Papst etwa nicht?

Unter Kardinal Lehmann, so empfinde nicht nur ich es, geht die katholische Moral den Bach hinunter. Wer in seinem oder im Namen der deutschen katholischen Kirche so redet und schreibt, wer die Gequälten und Zerstörten so im Regen stehen läßt, hat jeden Anspruch als moralische Instanz verloren. Mit seinen Äußerungen zerreißt er die katholische Kirche in Stücke und läßt die Bibel zur Makulatur werden. Was soll man von diesem Verein noch halten?

Wenn auch die Ökumene immer wieder über die Knüppel der katholischen Kirche stolpert, in einem Bereich funktioniert sie wunderbar: Die evangelische Kirche, Schneider, Kottnik und andere, sie denken und sprechen kaum anders, als ihr Kollege Kardinal Lehmann.

Helmut Jacob
30.06.2010

http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/138586/
http://www.kirchensumpf.to/2010/04/28/kardinal-lehmann-gegen-bankrott-de...
http://www.mainpost.de/nachrichten/politik/topstory/themafreitag/Hinterg...
http://de.news.yahoo.com/17/20100427/twl-lehmann-lehnt-generelle-entscha...