Wie das Vertrauen der Menschen in Gesetz und Rechtsprechung zerstört wird

Das gesellschaftliche Zusammenleben wird zunehmend verrechtlicht; Anstand und Moral werden von Gesetzen verdrängt, die sie nicht einmal näherungsweise ersetzen können. Wir sind auf dem Wege, gewissenlose Rechtsanwender zu werden. Das Recht wird zum Kampfmittel, das mit Gerechtigkeit soviel zu tun hat wie ein Rezept mit der Fähigkeit eines Kochs, ein schmackhaftes Gericht herzustellen.

Rechtsanwender degenerieren allmählich zu Glasperlenspielern, deren Bemühen darauf beschränkt ist, die Spielregeln zu exekutieren; das wirkliche Leben, um das es in Rechtsfällen doch eigentlich geht, interessiert sie immer weniger. Damit verliert das Recht einerseits den engen Bezug zum gesellschaftlichen Leben und zum Gerechtigkeitsempfinden der Menschen. Andererseits bekommt es zunehmend den Charakter eines Kampfmittels, das unabhängig von den Tatsachen des Lebens benutzt wird, um sich Vorteile im menschentierischen Rudelkampf zu verschaffen.

Gesetze werden heute maßgeblich von Lobbys beeinflußt, immer häufiger sogar für die Politiker geschrieben. Wenn das nicht hilft, die eigenen Interessen durchzusetzen, werden sie in der Hoffnung, der Kunde werde sich nicht wehren, einfach nicht angewendet. Ein Beispiel ist die FluggastVO, die Fluglinien in Fällen von Verspätungen oder Flugausfällen verpflichtet, die Fluggäste zu entschädigen. Klagen sind langwierig und kosten oft noch einmal soviel wie der ausgefallene Flug. Da ist die Chance der Fluglinien auf hohe Extraprofite infolge des den Verzichts der Kunden auf unzumutbaren Zeit- und Geldaufwand sehr hoch.

Politiker, die dem Allgemeinwohl verpflichtet sein sollen, machen Gesetze, die ihren Klientelen nützen. Die Auswirkungen auf andere Teile der Gesellschaft interessieren sie nicht. So kommen Dumpinglöhne zustande, so kommt eine Arbeitsmarktpolitik zustande, die Millionen jegliche Perspektive nimmt, am sozial-kulturellen Leben teilnehmen zu können. Ein 52jähriger Akademiker, der Arbeitslos wird, sieht einem Leben in Armut gegenüber. Ein Bundespräsidenten, der im gleichen Alter nach 20 Monaten im Amt aus persönlichen Gründen den Hut nimmt, kassiert einen „Ehren“-Sold und Privilegien im Gesamtwert von ca. einer halben Million jährlich.

Die Zukunft unserer Gesellschaft interessiert die Gesetzgeber, die sich im sicheren Gefühl ihrer Überversorgung sehr wohlfühlen, offensichtlich wenig. Anders ist nicht zu erklären, warum viele Millionen Menschen infolge der geltenden Arbeits- und Sozialgesetze nicht einmal annähernd eine ausreichende Altersversorgung erwarten können. Rechtzeitig gegensteuern? Man hat als Abgeordneter wohl Wichtigeres zu tun.

Spekulations-, Banken- und Staatsschuldenkrise wären mit guten Gesetzen vermeidbar gewesen. Vorausdenken ist aber offensichtlich nicht die Stärke unserer Volksvertreter. Als kranke Gehirne den absehbaren Irrtum genügend propagiert hatten, die Entfesselung des Eigennutzes würde automatisch das allgemeine Wohl befördern, verloren auch die Politiker den Verstand und schleiften alle Hürden, die Profitgier und Ausbeutung bisher noch in Schach gehalten hatten. Systemrelevante Einrichtungen wurden privatisiert, um kurzfristig Haushaltslöcher zu stopfen. Die Folgen: Schlechtere Versorgung der Bürger zu höheren Kosten. Einzelne Kommunen haben jetzt bei der Privatisierung Öffentlicher Leistungen den Rückwärtsgang eingeschaltet, um das Allgemeinwohl zu retten. Zur Bewältigung der Banken- und Schuldenkrise hilft aber nur noch Gelddrucken und hoffen, daß sich daraus keine große Inflation entwickelt, die dann auch noch die privaten Altersversorgungen vernichten würde. Die Erosion des Mittelstandes, die in den USA übrigens schon weit vorangeschritten ist, wäre die unausweichliche und für die soziale Stabilität katastrophale Folge.

Nicht nur schlechte Gesetze, sondern auch der Mißbrauch von Rechtsvorschriften sind ein Übel, das wie ein Buschfeuer um sich greift. Abmahnvereine jagen nach Profit, indem sie Unternehmen zur Korrektur von Abweichungen von den formalrechtlichen Bestimmungen auffordern und dafür oft hohe Geldbeträge fordern. Nun ist es zwar lobenswert, wenn Unternehmen abgemahnt werden, die im Trüben eines inzwischen nicht mehr überblickbaren Rechtssystems mit Myriaden von Bestimmungen fischen. Das darf aber nicht in dem Bestreben geschehen, damit Profit zu machen

Auch Richter werden häufig den Ansprüchen an eine gerechte Rechtsprechung nicht gerecht, wenn sie es versäumen, den – mitunter komplizierten und anspruchsvollen – Einzelfall zu würdigen. Statt dessen urteilen sie allein nach formalrechtlichen Bestimmungen. Damit leisten sie dem illegitimen, aber legal möglichen skrupellosen Abkassieren Vorschub. Ein drastisches Beispiel, in dem sowohl ein Unternehmen gegenüber seinen Kunden versagt wie auch die Rechtsprechung, ist in einer Fallstudie mit dem Titel „Qualitätsmanagement in der Praxis - Wenn Kunden sich als Beuteopfer fühlen - ein “Reise”-Erlebnis mit Gebeco/TUI“ dokumentiert.

In dieser Fallstudie wird geschildert, wie der Reiseveranstalter Gebeco, ein Unternehmen des TUI-Konzerns, Kunden nach einer Flugstreichung zuerst einfach im Stich läßt, obwohl sich diese unverzüglich an seine Notfall-Rufnummer gewandt hatten. Dann hören die Kunden weder etwas auf Grund ihres Telefongesprächs, noch erhalten sie Antwort auf ein Fax, das sie kurz danach sicherheitshalber an Gebeco senden. Als der Fall Monate später rechtshängig wird, erklärt Gebeco für die Kunden überraschend, alle von den Kunden gebuchten Flüge hätten problemlos durchgeführt werden können. Der Richter läßt in der sogenannten Güteverhandlung durchblicken, daß er die Klage der Kunden aus formalrechtlichen Gründen abweisen wolle. Denn die können natürlich nicht die Unwahrheit der Behauptung Gebecos beweisen, die allem widerspricht , was sie am geplanten Abflugtag am Lufthansa-Schalter erfahren haben. Ohne Überzeugung, gerecht behandelt worden zu sein, rein aus pragmatischen Gründen tolerieren die Kunden den Griff Gebecos in ihre Taschen mit einem Vergleich, der sie Reise und Geld zugleich kostet. Bis zum BGH oder gar EuGH wäre es ein jahrelanger teurer Weg gewesen und wer weiß, ob nach einem schließlichen Sieg vor Gericht das viele Geld dann noch zurückgeflossen wäre. Ihre wertvolle Lebenszeit hätten die Kunden auf jeden Fall verschwendet.

Die interessante Studie, die den Fall und dessen weitere Geschichte detailliert dokumentiert ist inzwischen in 2. Auflage bei READ – Rüdenauer Edition Autor Digital erschienen und kann dort sowie bei new-ebbooks bezogen werden – in einer Kurzfassung auch kostenlos.

Neben der noch lange nicht überwundenen Staatskrise und den durch schlechte Gesetze absehbaren Problemen im Sozial- und Bildungsbereich und ihren Folgen für unsere Gesellschaft wird uns die wachsende Kluft zwischen Legitimität und Legalität infolge der Verdrängung von Gewisssen und Moral durch Gesetzesvorschriften in Zukunft erhebliche Probleme bereiten. Welche Folgen das in Zukunft für den sozialen Frieden hat, ist noch gar nicht absehbar.

Man könnte nun sagen: Was soll’s. So funktioniert eben die beutekapitalistische Lobbydemokratur. Fressen oder gefressen werden. Auch sie wird vorübergehen wie alle anderen Epochen der Weltgeschichte. Der Schwächere, wer nicht von einer starken Lobby vertreten wird, oder der, der auf der falschen politischen Seite steht, ist doch überall auf der Welt der Dumme. Aber sollte das Ziel des Menschentiers im Überlebensinteresse der Art nicht sein, endlich zum Menschen zu werden?

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