Vor 20 Jahren: „Nie wieder SED!“

Sind die Verbrechen schon vergessen?

Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer stellt sich die Frage, wie es um Freiheit und Einheit für Deutschland tatsächlich bestellt ist. Ist das Unrecht der SED-Diktatur, der 17 Millionen Deutsche hinter Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen und Minen ausgesetzt waren, größtenteils schon vergessen? Was hat die Bekundung „Wir sind das Volk!“ bewirkt? Das von Dr. Gerhard Frey herausgegebene zeitgeschichtliche Werk „Deutsche Einheit, deutsche Freiheit“ gibt nicht nur überzeugende Antworten auf viele offene Fragen, sondern dokumentiert auch umfassend Ursache und Überwindung des Verbrechens der deutschen Teilung. Und deutlich wird, dass das deutsche Volk auch bald zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung aufgefordert bleibt, die Solidargemeinschaft voranzutreiben, für die tatsächliche Garantie der freien Meinungsäußerung einzutreten und eine wirkliche Volksherrschaft durchzusetzen.

Was die Verharmlosung oder das Vergessen des kommunistischen Unrechts bewirken kann, verdeutlicht nicht zuletzt die Tatsache, dass einstige Stasi-Spitzel und Bonzen der DDR-Staatspartei neue Karriere in der etablierten Parteienlandschaft der Bundesrepublik machen konnten. So ist insbesondere im Land Brandenburg die ehemalige DDR-Staatssicherheit an die Schalthebel der Macht zurückgekehrt. Mit Blick auf den Potsdamer Landtag heißt es in einer Denkschrift: „Ob Fraktionschefin, Landtagsvizepräsidentin, innen- und kulturpolitischer Sprecher und nicht zuletzt der Landeschef der neuen Regierungspartei – sie alle stellten sich einst in den Dienst des Spitzelsystems.“

Dass etliche Polit-Etablierte vor allem in der Mark eine dunkle Vergangenheit haben bzw. zu den Tätern gehören, kann allerdings kaum überraschen, denn nach 1990/91 gab es nie wieder eine Überprüfung der Abgeordneten. Was bisher bekannt wurde, dürfte nur die „Spitze des Eisbergs“ sein. Zur Erinnerung: Vor 20 Jahren spitzelten noch rund 200.000 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) für das „Ministerium für Staatssicherheit“ (MfS) des Erich Mielke. Im Laufe von vier Jahrzehnten DDR waren es über 600.000 Personen, die sich als IM in den Dienst der Stasi stellten.

NOTWENIGER RÜCKBLICK

Anders als in den ersten Jahren nach der Vereinigung von BRD und DDR, als nur ein Bruchteil der inzwischen bekannten Akten vorlag, wäre eine Überprüfung heute leichter möglich und zwingend geboten. Doch von politischen Entscheidungsträgern ist sie weitgehend nicht gewollt. Umso notwendiger ist ein Rückblick auf den selbsternannten „Arbeiter- und Bauernstaat“. Meinungsunterdrückung und die Ermordung von Flüchtlingen an Mauer und Stacheldraht waren an der Tagesordnung. Oppositionelle wie Bürgerrechtler wurden in Gefängnisse oder psychiatrische Anstalten gesperrt. Das perfektionierte Spitzelsystem des MfS zeugte von einem tiefen Misstrauen der Herrschenden im „sozialistischen“ Staatsgebilde. Kein Wunder, zumal die DDR nichts mit einem tatsächlichen Sozialstaat gemein hatte. Denn zum einen waren die angeblich herrschenden Arbeiter von allen wichtigen wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen ausgeschlossen. Entsprechend fühlten sich ausweislich einer Erhebung in einem DDR-Kombinat 1989 über 82 Prozent der Befragten auf Betriebsebene „kaum vertreten“, in der Politik des Landes sogar mehr als 90 Prozent. Zum anderen konnten sich im Gegensatz zur schlangestehenden Untertanenschaft SED-Bonzen, ausgestattet mit diversen Privilegien, alle möglichen Annehmlichkeiten leisten, die Normalbürgern verwehrt waren.

„Ausgedehnte Sonderjagdgebiete, staatlich finanzierte Eigenheime für Spitzenfunktionäre und ihre Kinder, Westprodukte für die Politbüro-Mitglieder und ihre Familien in der Wohnsiedlung Wandlitz: Die Skandale der SED-Führung erregten nach dem Mauerfall die Gemüter. Die Vorzüge des Kapitalismus im Sozialismus zu genießen, und alles zu Preisen in Mark der DDR: Was die SED-Führung ihrem Volk verweigerte, hatte sie sich selbst gegönnt.“ Hans-Hermann Hertle, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, erinnert in einem „Tagesspiegel“-Beitrag an das Aus für die alten Führungshierarchien: „In den Betrieben und Verwaltungen wurden die Parteisekretäre davongejagt; auf Kreis- und Bezirksebene herrschte das gleiche Bild“, wird zum Geschehen im November 1989 festgestellt. Bis zum 20. des Monats seien alle 15 Ersten SED-Bezirkssekretäre und ihre 13 Stellvertreter aus den Funktionen geworfen und 142 Erste und 97 Zweite Kreissekretäre aus den Ämtern entfernt worden. Die SED soll Angaben zufolge Anfang Dezember mehr als 600.000 der ehemals 2,3 Millionen Mitglieder verloren haben. Gleichzeitig hätten sich über 5.000 „Grundorganisationen“ aufgelöst.

„VERBRECHERBANDE DES POLITBÜROS“

„Zugleich gingen die Massendemonstrationen gegen das Regime weiter. Am 22. November sah sich das Politbüro zu der Ankündigung gezwungen, sich im Dezember mit den Blockparteien, den Gruppen der Bürgerbewegung und den neuen Parteien an einem ‚Runden Tisch’ zusammenzufinden. Am 1. Dezember beschloss die Volkskammer, den Führungsanspruch der SED in Staat und Gesellschaft abzuschaffen.“ In dieser stürmischen Umbruchzeit tagte am 3. Dezember 1989 das SED-Zentralkomitee in Berlin im Beisein des als Regierungschef amtierenden Hans Modrow. Dieser teilte seinen Genossen u. a. das Abtauchen des Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski mit. In einem „Abschiedsbrief“ habe der einstige Chef des dubiosen Unternehmens „Kommerzielle Koordinierung“ wissen lassen, „Guthaben der DDR“ seien im Ausland deponiert worden. Diese seien die „letzte Einsatzreserve bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Staates, die nach meiner Auffassung Ende dieses Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres eintreten wird, um schwerwiegendste volkswirtschaftliche Konsequenzen mildern zu können“. Wie viel die SED letztlich für den späteren Partei-Ersatz PDS, aus dem dann „Die Linke“ wurde, abzweigen konnte, ist noch immer ungeklärt.

Dass die vom Volk verhasste Führungsclique aus Gründen des Machterhalts auch an Wahlfälschungen wie bei der Kommunalwahl vom Mai 1989 festhielt, verdeutlichte Generalsekretär Egon Krenz: „Würden wir jetzt, wie das einige vorschlagen, diese Frage neu aufrollen, Genossinnen und Genossen, ich habe die Furcht, dann räumen wir nicht nur Positionen, die wir noch besitzen, dann können wir ganz nach Hause gehen …“ Hans-Hermann Hertle schreibt im Zusammenhang mit der schließlichen Selbstauflösung der zentralen Führungsgremien am 3. Dezember vor zwanzig Jahren, die das Ende der DDR besiegelten: Für den dramatischen Höhepunkt sorgte der 86-jährige Altkommunist Bernhard Quandt aus Schwerin. Weinend trat der Genosse ans Mikrofon und forderte, mit der „Verbrecherbande des alten Politbüros“ abzurechnen: „Wir haben im Staatsrat die Todesstrafe aufgehoben, ich bin dafür, dass wir sie wieder einführen und dass wir die alle standrechtlich erschießen ….“ Dazu kam es zwar nicht, doch Forderungen wie „SED-Mafia an den Pranger“ beherrschten noch lange die Demonstrationen.

Ein Vierteljahr später, bei den ersten freien Wahlen in der DDR, als die einstige Staatspartei statt der üblichen 99 Prozent nur noch ein knappes Sechstel der Stimmen erringen konnte, glaubten viele den Ungeist der Kadaverphilosophie des Marxismus/Kommunismus für überwunden. Ein Trugschluss, wie etwa das Beispiel Brandenburg zeigt. Passend zu dieser Entwicklung ist ein Spruch, der in der DDR nach dem Ende der alten SED die Runde machte: „Eine Schlange häutet sich, aber Schlange bleibt sie doch.“

Hans Weidenbach


Über DSZ-Verlag

Benutzerbild von DSZ-Verlag

Nachname
DSZ-Verlag

Adresse

www.national-zeitung.de

Postfach 60 04 64
81204 München

Telefon +49 89 89 60 850
Telefax +49 89 83 41 534
E-Mail info@dsz-verlag.de

Homepage
http://www.national-zeitung.de

Branche
Zeitung