Kurioser Strafprozess: Galerist soll von ihm vertretene Künstler frei erfunden haben

Vor der I. Großen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg beginnt am Mittwoch, dem 26. Januar 2011 wohl einer der kuriosesten Strafprozesse der bundesdeutschen Justizgeschichte.

Dem freischaffenden Künstler und ehemaligen Kunsthändler Tom Sack (28) wird vorgeworfen, zwei Künstlerlegenden frei erfunden und sich als Galerist bzw. Nachlassverwalter dieser Personen ausgegeben zu haben. Die entsprechenden Kunstwerke - Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle - soll Tom Sack laut Anklage in Wirklichkeit alle selbst gefertigt und mit den mutmaßlich erdachten Namen signiert haben. Ferner sollen wohlklingende Biografien dazu gedient haben, die Bilder unbedarften Kunstsammlern schmackhaft zu machen. Darüber hinaus soll der Angeklagte bei Kunstauktionen auf die Werke der von ihm vertretenen Künstler selbst geboten haben, um deren Marktwert zu manipulieren. Ein Präzedenzfall.

Bei den mutmaßlich erfundenen Personen handelt es sich zum einen um den verstorbenen Rechtsanwalt und Hobbymaler Ernst Cuno, der von 1901 bis 1986 gelebt haben und ein Konvolut künstlerischer Arbeiten hinterlassen haben soll. Zum anderen geht es um den zeitgenössischen Künstler Joe Kapingo, der 1938 in Berlin geboren sein soll und mit Bildern im Stil der Pariser Künstlergruppe CoBrA vor Gericht vertreten sein wird. Insgesamt will die Staatsanwaltschaft 34 Kunstwerke der beiden Maler als Beweismittel präsentieren.

Erst vor wenigen Wochen ist der einstige Kunsthändler vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen des Verkaufs „echter“ Kunstfälschungen zu zwei Jahren auf Bewährung und 400 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Das Urteil ist aber nicht rechtskräftig, da Sacks Anwälte Berufung eingelegt haben.

Strafverteidiger Roman von Alvensleben aus Hameln, der dem Angeklagten während der mehrtägigen Verhandlung zur Seite stehen wird, klärt über die juristischen Hintergründe der Anklage auf: „Die Kunstwerke stellen aus Sicht der Staatsanwaltschaft Urkunden im Sinne des § 267 StGB dar, weil sie von Hand mit Namenszügen signiert sind. Zudem konnte man die Personen Ernst Cuno und Joe Kapingo nach Aktenlage nicht amtlich ermitteln, worin die Staatsanwaltschaft einen Beweis für die Unechtheit der Signaturen sieht. Daher ist gewerbsmäßige Urkundenfälschung in 34 Fällen angeklagt. Es spielt übrigens keine Rolle, dass die 34 Bilder nie zum Verkauf standen und es überhaupt keine Geschädigten gibt. Für die Strafbarkeit der Urkundenfälschung kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich jemand getäuscht worden ist.“

Zwischen der Staatsanwaltschaft Bückeburg und Tom Sack währt schon seit längerer Zeit ein Kleinkrieg der besonderen Art. Der Künstler wurde bereits mehrfach auf die Anklagebank zitiert, weil er neben einem selbst aufgenommenen Video, welches eine bei ihm durchgeführte Hausdurchsuchung zeigt, auch unzählige amtliche Schriftstücke aus laufenden Verfahren im Internet veröffentlicht hat. Darüber hinaus hat er auch mit den Mitteln der Kunst gegen die Ermittlungen protestiert: Im September 2008 porträtierte er den zuständigen Staatsanwalt auf Leinwand und präsentierte das Gemälde im Internet. Es wurde prompt beschlagnahmt. Mit dem Vorwurf „Verletzung des Rechts am eigenen Bild“ scheiterte die Staatsanwaltschaft jedoch in allen drei Instanzen und musste das Gemälde dem Künstler zwei Jahre später wieder zurückgeben.

Die Fälle der Maler Cuno und Kapingo sind mehr oder weniger nur ein Nebenprodukt des gegen Tom Sack durchgeführten Großermittlungsverfahrens wegen „Kunstfälscherei im großen Stil“. Die Bilder waren sogenannte Zufallsfunde und wurden im April 2008 in den Räumen des Angeklagten zusammen mit vielen weiteren Kunstgegenständen und Unterlagen beschlagnahmt. Man hatte aufgrund diverser Hinweise allgemein nach Kunstfälschungen und einer entsprechenden Werkstatt gesucht.

Die Anklageschrift vom April 2009 enthielt ursprünglich 201 Anklagepunkte. Davon wurden jedoch 167 einige Monate später mangels hinreichendem Tatverdacht richterlich kassiert, die Eröffnung des Hauptverfahrens in diesen Punkten abgelehnt. Hierunter war auch der Fall der Künstlerin Cara Gano, die ebenfalls eine Erfindung sein sollte, sich aber als Tom Sacks damalige Lebensgefährtin entpuppte. Der ursprüngliche Umfang des Verfahrens und die damit verbundene Straferwartung waren der Grund für die Anklageerhebung zur Großen Strafkammer des Landgerichts, einem mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Spruchkörper, der für Schwerkriminalität zuständig ist. Gegen Urteile einer solchen Kammer ist nur die Revision zum Bundesgerichtshof möglich. Die Staatsanwaltschaft war offenbar der Meinung, einen ganz großen Fisch im Netz zu haben.

Zu den verbliebenen Vorwürfen äußert sich der Angeklagte so: „Es ist doch geradezu lächerlich zu glauben, jemand würde mit bürgerlichem Namen tatsächlich Joe Kapingo heißen und sei darunter behördlich zu ermitteln. Das ist doch offensichtlich ein Künstlername. Es handelt sich hierbei in Wirklichkeit um einen älteren Herrn aus Berlin, dessen Bilder ich in Kommission hatte. Die Bilder gehören mir also nicht einmal. Und Ernst Cuno war ein Hobbymaler, der nie irgendwo großartig in Erscheinung getreten ist. Ich habe bei einer Haushaltsauflösung ein Paket mit etwa 250 bis 300 Arbeiten für kleines Geld erstanden und quasi vor dem Container gerettet. Es waren ein paar Dokumente dabei, aus denen man ungefähr eine Biografie zusammensetzen konnte. Außerdem ist er schon vor 25 Jahren verstorben, so dass die Anfrage bei der Meldebehörde auch hier logischerweise ins Leere läuft. Die Vorwürfe sind vollkommen absurd und zeugen weder von Kunst- noch von Sachverstand. Man wird mich freisprechen müssen.“

Dass man die reale Existenz einer Person nicht unbedingt am Melderegister festmachen kann, scheint auch die Strafkammer in Erwägung gezogen zu haben und hat vorab einen Professor für Kunstgeschichte der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart um Expertise gebeten. Dieser kommt in einem Gutachten, welches im Wesentlichen die Ergebnisse einer Internetrecherche zusammenfasst, jedoch zu der Überzeugung, dass Tom Sack zumindest bei den Bildern des Joe Kapingo definitiv den Pinsel geschwungen habe: Joe Kapingo sei im Internet nur im Zusammenhang mit Tom Sack zu finden. Besonders wissenschaftlich klingt das nicht. Die eigens nach Stuttgart transportierten Kunstwerke wurden zudem auch nicht labortechnisch auf ihr Alter untersucht, obgleich dies für den Prozess von maßgeblicher Bedeutung ist. Urkundenfälschung verjährt nämlich nach fünf Jahren.

Sollte Tom Sack die streitgegenständlichen Bilder wirklich selbst gemalt haben, so darf man nicht vergessen, dass es in der Weltgeschichte tausende Maler, Musiker, Schriftsteller oder auch Wissenschaftler gibt, die unter einem Pseudonym in Erscheinung getreten sind. Auch vor diesem Hintergrund erscheint eine Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung nur schwer vorstellbar.

Der Prozess wird spannend. Der Eintritt ist frei.

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Zur Person:

Tom Sack, Jahrgang 1982, studierte nach Abitur und Wehrdienst einige Semester Jura in Konstanz am Bodensee. Bereits neben dem Studium handelte er mit Kunst und Antiquitäten. 2004 siedelte er nach Berlin um, wo er seine Tätigkeit ausbaute und gute Umsätze verbuchen konnte. Er betätigte sich dort auch als Galerist. 2006 zog es ihn raus aufs Land. Er ließ sich mit seiner kleinen Familie in Rinteln-Schaumburg bei Hannover nieder, auch um dort die geschäftlichen Aktivitäten weiter ausbauen zu können. Durch die mit den Ermittlungen einhergehenden Umstände und den damit verbundenen Rufschaden sah er sich jedoch bald gezwungen, den Kunsthandel und die Tätigkeit als Galerist aufzugeben. Tom Sack setzt zur Zeit sein Jurastudium an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg fort und übt nebenbei weiterhin seine freiberufliche Tätigkeit als Kunstmaler aus.

Kontaktdaten:

Tom Sack, freischaffender Künstler
Postanschrift: Krausenstr. 17, 06112 Halle (Saale)
Atelier: Rosenstr. 3, 31737 Rinteln (nur nach Terminvereinbarung)
Telefon: 0345/2797391 oder 0176/66500883
E-Mail: info@tomsack.com
Internetpräsenz: http://www.tomsack.com