Grundgesetz ausgehebelt: Hamburger Landgericht verbietet Kommentar über einen Gerichtsbeschluss

„Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten... Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher..."

Hat am 5. Mai 1965 im "Spiegel" gestanden. In einem Leserbrief von Paul Sethe, der zu den fünf Gründungsherausgebern der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gehörte.

Doch dann kam das Internet - und diese Abhängigkeit nahm wieder ab? Nicht vor der Kammer 25 des Hamburger Landgerichtes. Richter Schulz hat gestern die Veröffentlichung eines Kommentars verboten. Den veröffentlichte ich am 17. Dezember 2009 in meinem blog http://familiensteller.blogspot.com, in dem ich mich kritisch mit einer Drogentherapieeinrichtung aus Lüneburg auseinandersetze.

Anlass war ein Beschluss des Hamburger Landgerichtes vom 9. Dezember 2009, mit dem einer Ex-Klientin eine bestimmte Behauptung per Einstweiliger Verfügung verboten wurde. Ich setzte diesen Beschluss ins Netz und fügte diese Anmerkungen hinzu: "Nun haben auch mir ehemalige Klientinnen berichtet, dass sie erlebt haben, was R. S. per Beschluss bestreiten will. Solche Aussagen liegen mir in schriftlicher Form vor, andere sind telefonisch gemacht worden."

Anschließend wies ich darauf hin, dass diese Aussagen aber nicht ausreichend seien, um den Beschluss vom 9. Dezember 2009 wieder zu kippen. Notwendig seien Versicherungen an Eides Statt. Die trudelten danach schnell ein.

Frohgemut fuhren ehemalige Klientinnen und Klienten, die in den Zeugenstand treten wollten, am 20. April 2010 nach Hamburg. Richter Schulz hatte wohl mit einem gewissen Ansturm gerechnet, zur Bewachung der Angereisten forderte er zwei Schwarzgekleidete an, die während der Verhandlung im Saal verharrten.

Unser Anwalt bestand auf Vernehmung der Zeuginnen und Zeugen, vorher werde er keine Anträge stellen. Außerdem verwies er auf die Versicherungen an Eides Statt, die dem Gericht vorlagen. Doch Richter Schulz stellte sich taub. Er beendete die Verhandlung mit einem Säumnisurteil.

Dagegen legten wir Widerspruch ein. Über den wurde gestern verhandelt. Mit dem gleichen Ergebnis wie am 20. April 2010. Mein Kommentar ist weiter verboten. Auch der Hinweis, dass ich die Trägerin der Drogentherapieeinrichtung unzählige Male um Stellungnahmen zu meinen Berichten und Kommentaren gebeten habe, fiel vom Richtertisch ins juristische Nirgendwo.

Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes flatterte hinterher. Er lautete bis zum 2. November 2010 noch: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."

In einem Interview mit dem Medienmagazin "journalist" hat mein Anwalt meinen Fall so geschildert (Juni-Ausgabe 2010):

Können Sie aus Ihrer eigenen Praxis einen aktuellen Fall schildern?

Ich vertrete gerade jemanden, der wahrheitsgemäß über eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg berichtete, die gegen eine Bloggerin erlassen wurde. Es geht dabei um Vorwürfe, die eine Therapie-Einrichtung für ehemalige Drogenkranke betreffen. Die Bloggerin hatte nach Meinung der Richter durch ihre Äußerungen einen angeblich unwahren – das heißt, einen von ihr zu beweisenden – Eindruck erweckt. Mein Mandant hat die ihr verbotenen Äußerungen nicht einmal wiederholt, sondern nur den verkürzten Unterlassungstenor. Außerdem hat er erwähnt, ihm lägen schriftliche Aussagen von Zeugen vor, welche den verbotenen Eindruck bestätigen. Diese Zeugen waren vor Gericht sogar präsent, und es gibt eidesstattliche Versicherungen, die den Richtern vorliegen. Mein Mandant hat nicht einmal geschrieben, für wie glaubhaft er die Zeugen hält – nicht einmal, was diese genau sagen. Trotzdem hat die Zivilkammer 25 des Landgerichts Hamburg auch gegen meinen Mandanten eine einstweilige Unterlassungsverfügung erlassen.

Und warum? Weil die unstreitig wahre Berichterstattung meines Mandanten den Eindruck erwecke, den man der Bloggerin verboten hatte. Das widerspricht einigen Urteilen, die etwa Rolf Schälike, der Betreiber der Prozessberichterstattungs-Website "Buskeismus", erstritten hat. Demnach darf man den Tenor einer verbotenen Äußerung zum Zwecke der Berichterstattung wiederholen, wenn man sich die verbotene Äußerung nicht zu eigen macht. Sogar Äußerungen, die einem selbst verboten sind, darf man wiederholen, wenn man sich formal distanziert.


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Grundgesetz ausgehebelt

Marie Luise Rinser:
auch in der Demokratie: gibt es Gesetze und Verordnungen, die gegen die Menschlichkeit verstoßen, brich Sie!

Über Heinz-Peter Tjaden