„Zukunftsfähige Betreuungs- und Bildungskonzepte brauchen den Dialog der Disziplinen“

„Kinderbetreuung ist nach wie vor eine gesellschaftliche 'Großbaustelle'“, sagt Waltraud Weegmann, Geschäftsführerin der Konzept-e für Kindertagesstätten gGmbH, im Interview. Sie initiierte 2004 den jährlich stattfindenden Bildungs- und Betreuungs-Kongress „Invest in Future“ (www.invest-in-future.de) und bietet damit den Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft eine gemeinsame Plattform.

Stuttgart (eos) - „Passende Betreuung und gute, kindgerechte Bildung von Anfang an: Das ist ein Zukunftsthema für unsere Gesellschaft. Gemeinsam müssen wir dafür tragfähige Konzepte erarbeiten und Finanzierungslösungen finden“, sagt Waltraud Weegmann. Die Geschäftsführerin der Konzept-e für Kindertagesstätten gGmbH und des KiND e.V. Dachverbands veranstaltet seit 2004 gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) den jährlichen Kongress „Invest in Future“ für Kinderbetreuung und Bildung. Das Symposium unter Schirmherrschaft des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther H. Oettinger findet 2009 am 19. und 20. Oktober zum sechsten Mal im Stuttgarter Haus der Wirtschaft statt. Im Interview erklärt Waltraud Weegmann, ihre Kongress-Idee, den Handlungs­bedarf, den es in diesem Bereich gibt sowie das Interesse von Unternehmen an Betreuung und Bildung.

Frau Weegmann, was bewegte Sie als Sie 2004 den Kongress „Invest in Future“ ins Leben riefen?

Weegmann: Ich war damals sicher nicht die Einzige die wahrnahm, dass wir in Deutschland beim Thema Kinderbetreuung eine riesige „Baustelle“ hatten. Die Kinderbetreuungs-Infrastruktur hierzulande passte nicht oder nicht mehr zur Lebens- und Arbeitswirklichkeit vieler Menschen.

Betreuung und Bildung ist ja ein weites Feld. Konzentriert sich „Invest in Future“ auf einen bestimmten Bereich?

Weegmann: Unser Fokus liegt klar auf Betreuung und Bildung für Kinder zwischen null und zehn Jahren. Gerade die frühkindliche Bildung fällt in der öffentlichen Diskussion leider häufig unter den Tisch. 2009 nehmen wir zum Beispiel Krippen, die Kinder unter drei Jahren betreuen, besonders in den Blick. In diesem Bereich gibt es im Moment durch die gesetzliche Auflage an die Kommunen bis 2013 für jedes dritte Kind ab einem Jahr einen Platz in einer Einrichtung oder bei einer Tagesmutter bereitzustellen, besonderen Handlungsbedarf. Neben Grundsatzvorträgen zur Bedeutung und Ausprägung von Bildung in den ersten Jahren, behandeln unsere Referenten beispielhaft, mit welchen Konzepten Kommunen den Ausbau schultern und wie Unternehmen mit eigenem Kinderbetreuungs­engagement einen Beitrag leisten. Ein wichtiger Aspekt ist außerdem die pädagogische Qualität des Angebots. Dazu gehört auch eine passende Architektur, eine durchdachte Raumgestaltung und vielfältige Materialangebote. Die Gewinnerinnen und Gewinner unseres „Invest in Future Award“ werden dazu wegweisende Ideen für Kinder unter drei Jahren vorstellen. Unsere thematische Fokussierung auf die jüngeren Kinder bedeutet aber nicht, dass wir nicht immer auch den großen Bogen spannen und Bildungsbiografien bis hinein in die Berufstätigkeit betrachten. „Invest in Future“ kooperiert dieses wie auch schon letztes Jahr mit dem Zukunftskongress der Offenen Kinder- und Jugendarbeit „Offen für morgen“.

Noch einmal zum Verständnis: Der Ausbau der Krippenplätze in Deutschland ist doch beschlossene Sache. Was gibt es darüber noch zu diskutieren?

Weegmann: Sehr viel. Kommunen kämpfen zunehmend mit finanziellen Engpässen, so dass es vielerorts eine echte Herausforderung ist, die Krippenausbauziele bis 2013 zu erreichen. Da stellt sich dann die Frage, wo zusätzliche Mittel herkommen könnten und ob eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Wirtschaft Entlastung schaffen könnte. Die Sichtweisen und Ziele von Kommunen und Unternehmen sind aber teilweise verschieden und eine Zusammen­arbeit daher nicht ohne Hürden. Parallel zum Ausbau der Zahl der Einrichtungen steht eine pädagogische Neuausrichtung, die durch die Bildungspläne der Länder verbindlich ist. Für viele Einrichtungen und Träger bedeutet das einen echten Systemwechsel, den sie nicht von heute auf morgen bewältigen. Die Beschäftigten vor Ort brauchen dafür neben den obligatorischen Fortbildungen kontinuierlich fachliche Unterstützung bei der Umsetzung in der Praxis. Diese Aufgabe hängt jetzt ebenfalls großteils an den Kommunen, die ja als öffentliche Träger viele Einrichtungen haben. Gleichzeitig stehen, um den gewachsenen pädagogischen Ansprüchen gerecht werden zu können, Forderungen nach mehr Personal für die Einrichtungen im Raum. Das ist nicht nur ein weiterer Kostenfaktor, sondern auch schwierig zu realisieren, weil gut ausgebildete Fachkräfte schwer zu finden sind. Wir müssen also außerdem diskutieren, wie wir für mehr und noch besser qualifizierten Erzieherinnen- und Erziehernachwuchs sorgen können.

Wirtschaftsunternehmen sind eine wichtige Zielgruppe Ihrer Veranstaltung. Wie hat sich die Interessenlage der Betriebe in den letzten Jahren entwickelt?

Weegmann: Wir verzeichnen einen stetigen Zuwachs an Unternehmen, die sich des Themas „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ annehmen. Das zeigen auch die wachsenden Mitgliederzahlen des Unternehmensnetzwerks „Erfolgsfaktor Familie“. Ein vorrangiges Ziel speziell des unternehmerischen Betreuungsengagements liegt darin, Mütter im Arbeitsleben zu halten. Noch immer kehren rund 30 Prozent der Frauen, nachdem sie Kinder bekamen, nicht mehr in den Beruf zurück. Mit eigenen oder unternehmensnahen Kinderhäusern gelingt es Unternehmen nachweislich, Elternzeiten deutlich zu reduzieren, Mütter an den Betrieb zu binden und gleichzeitig die Arbeitsmotivation zu erhöhen. Inzwischen nehmen die Unternehmen aber längst nicht mehr nur die Mütter in den Blick. Auch Unternehmen mit mehrheitlich männlichen Beschäftigten investieren inzwischen in Kinderbetreuung, denn auch die jungen Väter legen verstärkt Wert auf einen familienfreundlichen Arbeitgeber.

Und was ist mit dem Wohl der Kinder? Denken Unternehmenschefs auch darüber nach?

Weegmann: Ja, da gab es eine tolle Entwicklung. Unternehmen und Wirtschaftsverbände machen sich zunehmend für eine bestmögliche Förderung des Nachwuchses stark, nicht zuletzt weil sie deren Fähigkeiten in Zukunft brauchen werden. Ich wünsche mir dabei noch einen engeren Dialog zwischen den Fachleuten aus Pädagogik und Wirtschaft. Einige gut gemeinte Projekte von Unternehmen – gerade im frühkindlichen Bereich – berücksichtigen die Art, wie kleine Kinder lernen, nämlich noch zu wenig. Unser Kongress soll für diesen auch in vielen Detailfragen nötigen Dialog der Disziplinen die Plattform liefern.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Weegmann.
Das Gespräch führte Eike Ostendorf.

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