Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch erzählen Teil 2 Anusha Pee aus Nordrhein-Westfalen

Elisabeth Keller im Gespräch mit Opfern von sexuellem Kindesmissbrauch

Hans Georg van Herste, Autor, Schmerztherapeut, Lebensberater, Herausgeber, war selbst Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch, häuslicher Gewalt und Psychoterror. Seit seiner Jugendzeit macht er Übergriffe gegen Opfer von sexuellem Missbrauch und Diskriminierungen gegen Frauen und Homo- und Transsexuelle öffentlich.
Seine Bücher und Dokumentationen schlugen hohe Wellen, da er kein Blatt vor den Mund nimmt, Tathergänge nicht verniedlicht und eine deutliche Sprache spricht. Obendrein hat er die „Insel-Methode“ erdacht, um Opfern und Betroffenen vor Ort zu helfen.
Diese Vorgehensweise hat ihm nicht nur viel Anerkennung eingebracht, sondern auch viel Ärger, da sich Täter und ihre Helfer und Sympathisanten nicht gern auf die Schliche kommen lassen. Neben Beschimpfungen übelster Art wurde auch eine Verleumdungskampagne großen Stils gegen ihn losgetreten, um ihn unglaubwürdig zu machen. Diese Verleumdungsprofis wussten genau, dass die Worte „Sekte, Sex und finanzielle Ausbeutung“ ihr Ziel nicht verfehlen würden.
Trotzdem hat sich Hans Georg van Herste nicht von seinem Weg abbringen lassen. Die Entwicklungen der letzten Zeit haben ganz klar bewiesen, dass „seine“ Opfer nicht allein sind, dass sie keine Märchen erzählen, und dass seine Aussagen zur Häufigkeit und zur Vorgehensweise der Täter absolut der Wahrheit entsprechen.

Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, Opfer, die von Hans Georg van Herste begleitet wurden, die keine Angst vor der Öffentlichkeit haben und anderen mit ihrer Aussage Mut machen wollen, zu befragen.

EK Wie alt sind Sie heute?

AP Vierzig

EK Was machen Sie beruflich?

AP Ich bin selbstständig

EK Wer waren die Täter?

AP Mein Vater war der Täter.

EK Wusste Ihre Mutter davon?

AP Ja, die war sogar ab und zu dabei. Sie hat nichts unternommen, weil sie Angst vor meinem Vater und seinen Wutausbrüchen hatte. Sie ist einmal dazwischen gegangen. Dann hat er sie zu Boden geschubst und danach hat sie nichts mehr gemacht.

EK Was hat er mit Ihnen gemacht?

AP Anfangs musste ich zuschauen, wie er meine älteren Schwestern vergewaltigt hat. Als die ihm dann irgendwann zu alt wurden, kam auch ich an die Reihe. Meine nächst ältere Schwester hat sich aus Mitleid mehrmals angeboten, um mich zu schonen, wurde aber mit der Zeit immer öfter von ihm abgelehnt. Er trank viel und war dann unberechenbar. So nahm er mich im Keller, auf dem Dachboden, im Wald, egal, wo es ihm gerade passte.

EK Welche Gefühle hatten Sie dabei?

AP Es war eklig und sehr schmerzhaft. Ich hatte ständig Angst, weil er furchtbar toben konnte, wenn er betrunken war. Er kontrollierte uns auf Schritt und Tritt. Ich fand es schlimm, dass er nach außen hin immer den Heiligen mimte, dauernd zur Kirche rannte und mit entrücktem Gesichtsausdruck die Psalmen herunterbetete und eigentlich ein Schwein war. Anderen gegenüber überschlug er sich vor lauter Nettigkeit und Hilfsbereitschaft und zuhause residierte er wie ein Despot. Dauernd wurden wir zur Kirche getrieben, damit er zeigen konnte, wie gläubig wir alle waren. Diese frömmelnden Typen, die da überall herumliefen, waren mir einfach nur zuwider.

EK Wie viele Personen haben sie mit Ihnen auf diese schreckliche Weise vergnügt?

AP Nur mein Vater. Das hat aber auch völlig gereicht.

EK Ist Ihnen das allein passiert?

AP Wie ich schon sagte, auch meine Schwestern wurden von ihm missbraucht.

EK Wie alt waren Sie als alles begann?

AP Ich denke, ich muss so drei gewesen sein.

EK Wann endeten die Übergriffe?

AP Als ich in die Pubertät kam.

EK Haben Sie es jemandem erzählt?
AP Damals nicht. Wir Schwestern hatten so viel Angst, dass wir uns nicht mal trauten, untereinander darüber zu reden.

EK Haben Sie die Täter konfrontiert?

AP Ich hatte das meiste verdrängt. Erst auf der Beerdigung meines Vaters, als wir alle in der Kirche saßen und ich diese Heiligtuerei wieder um mich herum spürte, kamen mir die ersten Bilder hoch. Ich litt mein Leben lang unter einem Zählzwang. In jedem Raum, den ich betrat, musste ich irgendetwas zählen. Manchmal war es das Muster der Tapete, manchmal die Anzahl der Zimmerecken. Hatte ich alles gezählt, begann ich von vorn. Als wir nach der Beerdigung wieder in meinem Elternhaus angekommen waren, fiel mir ein, dass ich als Kind immer die Marmeladengläser im Kellerregal gezählt hatte, wenn er mich von hinten vergewaltigte, um mich abzulenken. Jetzt wurde mir klar, woher ich diesen Zählzwang hatte.
Ich erzählte sofort von meiner Erkenntnis. Meine Mutter winkte nur ab. Meine nächst ältere Schwester war ganz interessiert. Sie hatte unter Hospitalismus gelitten, eine Schwester hatte einen Selbstmordversuch hinter sich. Auch meine Mutter hatte einen solchen gemacht. Leider kam kein Gespräch zustande, weil zu viel Trubel im Haus herrschte.
Mithilfe meines Mannes habe ich die Erinnerungen aufgearbeitet. Nach ein paar Wochen schlug er ein Treffen mit der ganzen Familie vor. Meine Mutter, mein Bruder und zwei meiner Schwestern stimmten zu. Meine nächst ältere Schwester blieb dem Treffen fern. War sie am Beerdigungstag noch ganz angetan, so erklärte sie nun, sie würde mit dem Schlechtmachen meines Vaters nichts zutun haben wollen.
Als meine älteste Schwester und ich unsere Erinnerungen auf den Tisch packten, bekam meine Mutter einen hysterischen Anfall. Sie schrie herum, das wäre alles nur Einbildung. Mein Mann hätte mir alles nur eingeredet. Der sähe an jeder Straßenecke nur Missbrauchsopfer und Täter. Mein Vater hätte zwar gesoffen und ab und zu mal über die Stränge geschlagen, angefasst hätte er uns niemals.
Während mir meine älteste Schwester und auch mein Bruder beipflichteten, hielt sich meine andere Schwester bedeckt. Sie hätte nur vage Erinnerungen und würde nichts dazu sagen.
Im Endeffekt haben wir drei keinen Kontakt mehr zu unserer Mutter. Die anderen Schwestern haben den Kontakt zu uns abgebrochen und obendrein dafür gesorgt, dass auch unsere Patenkinder keinen Kontakt mehr wollen. Der arme Opa hätte eine solche Behandlung nicht verdient. Meine Mutter wollte sogar gerichtlich gegen uns vorgehen.

EK Haben Sie Anzeige erstattet?

AP Nein, da der Täter ja verstorben war.

EK Was ist daraus geworden?

AP Nachdem ich alles aufgearbeitet habe, geht es mir sehr gut. Meine dauernden Pilzinfektionen sind völlig verschwunden und ich muss auch nicht mehr alles zählen. Ich bin um Klassen selbstbewusster geworden. Früher wäre ich nicht fähig gewesen, einen eigenen Betrieb zu führen. Heute unterstütze ich gemeinsam mit meinem Mann Opfer.

EK Warum sprechen Sie jetzt darüber?

AP Ich spreche nicht nur jetzt darüber. Ich spreche schon viele Jahre darüber. Leider ist es oft so, dass viele Menschen nichts davon wissen wollen. Bei Missbrauch dreht man sich lieber schnell weg. Ich habe dadurch viele Kunden verloren, aber auch einige dazu gewonnen. Ich bin seit vielen Jahren selbst eine „Insel“ und das passt Tätern und Mitwissern natürlich nicht. Ich finde es schade, dass so viele Opfer schweigen oder sogar die Täter verteidigen. Mir ist im Laufe der Jahre klar geworden, dass jedes Opfer, das schweigt, den Täter unterstützt. Obendrein würde ich mich sehr freuen, wenn noch mehr Opfer ihr Schweigen brechen würden. Nur durch die Aufarbeitung der vergangenen Erlebnisse ist ein glückliches Leben möglich.

EK Liebe Frau Pee! Vielen Dank für das Gespräch

Buchtipp

Hans Georg van Herste
Das Mutter(un)tier
ISBN: 9783837093926
108 Seiten
9,80 Euro
Der Autor stellt in diesem Buch ein Thema vor, das bisher gern totgeschwiegen wurde. Gut 80% aller Mütter, in deren Haushalt sexueller Kindesmissbrauch praktiziert wird, wissen darüber Bescheid, ohne etwas zu unternehmen. Der Auto erklärt an realistischen Beispielen aus seiner Praxis die Hintergründe dieser Verhaltensweise und bietet Lösungen an.

AnhangGröße
Anusha Pee 300dpi.JPG599.67 KB