Guttenbergs Flucht in Afghanistan

Es war nur Maskerade: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg besuchte am 16. Juli 2010 das Feldlager der Bundeswehr in Kundus. Dann wollte der Minister Kräfte der deutschen „Schnellen Eingreiftruppe” außerhalb des Feldlagers – in Baghlan – sehen. Aber die Soldaten wurden von „Aufständischen“ angegriffen. Kein Soldat wurde bei dem Angriff verletzt, doch der Hubschrauber mit dem CSU-Politiker kehrte um.

Da stellen sich mehrere Fragen: Bewies der Kriegsminister auf diese Weise wirklich „Solidarität mit der Truppe in Afghanistan“? Muss, wer seine Untergebenen in einen Krieg beordert, nicht das gleiche Risiko wie sie zu tragen bereit sein? Warum, mit anderen Worten, zieht Guttenberg sich zurück, wenn es kritisch wird, nicht aber unsere Soldaten?

Während der Minister kein Problem mit seiner persönlichen Ohne-mich-Strategie hatte, meinte er in Afghanistan vor US-Militär:

„Schwierige Monate liegen vor uns. Aber es gibt keine Alternative zu diesem Einsatz.“

In Italien sagt man bei solcher Rhetorik mit einem Zitat aus dem Gedicht „Agli Eroissimi“ (An die größten Helden) des Bologneser Poeten Olindo Guerrini ironisch:

„Armiamoci e partite!” Also: Bewaffnen wir uns und dann marschiert!

MIT DER HAUT DER ANDEREN

Der unauffällige Wechsel vom Wir zum Ihr kennzeichnet jene, die „mit der Haut der anderen den Helden machen”.

Zum Beispiel mit der Haut der vier Bundeswehrsoldaten, die am Montag bei einem Sprengstoffanschlag auf eine deutsch-afghanische Patrouille im Norden Afghanistans verletzt wurden. Und wir wollen auch nicht nur von den 1.937 toten westlichen Soldaten, davon 43 Bundeswehrangehörige, reden, sondern auch von den über 10.000 getöteten Zivilisten und „Aufständischen“.

Inzwischen hat selbst die Bild-Zeitung in Sachen Afghanistan umgeschaltet und das Buch „Ruhet in Frieden, Soldaten!” lanciert, in dem am Einsatz am Hindukusch kaum ein gutes Haar gelassen wird. Zu Guttenberg hat den Spagat fertiggebracht, das „streitbare Buch” vorzustellen. In geradezu zynischer Manier forderte er bei der Präsentation des Bandes einen breiten Diskurs über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan in der Bevölkerung. Dabei ist die Meinungsbildung längst abgeschlossen und das Ergebnis lautet: Raus aus Afghanistan! Da kann der Minister doch mittlerweile praktisch fragen, wen er will.

LIEGT’S NUR AM KALIBER?

Ob zu Guttenberg selber noch an einen „Sieg“ glaubt? Kaum. Aber er lässt sich als fest eingebundener Atlantiker keine Zweifel anmerken. Sogar Wunderwaffen kommen allmählich ins Spiel. Das Verteidigungsministerium schwärmt von der nun verfügbaren „Panzerhaubitze 2000”:

„Im deutschen Feldlager in Kundus ließ sich der Minister auch die Panzerhaubitze 2000 vorführen, die die Bundeswehr dort vor einigen Tagen erstmals eingesetzt hatte. Mit den Panzerhaubitzen 2000 stehen seit einigen Wochen erstmals schwere Artilleriegeschütze im Feldlager. Am vergangenen Wochenende wurde mit den Haubitzen während eines Gefechts erstmals scharf geschossen. Das Geschütz sei ‚eine wichtige Waffe, um dort wirken zu können, wo man wirken muss’, sagte zu Guttenberg, der die Verlegung der Haubitzen nach Kundus im April angeordnet hatte. Die 155-Millimeter-Kanone kann bis zu 40 Kilometer weit schießen und selbst auf diese Entfernung auf 30 Meter genau treffen.“

Wie absurd! In einem asymmetrischen Krieg wie dem im Afghanistan erhöht sich mit dem Kaliber doch vor allem die Zahl der zivilen Toten und damit der Hass. Es ist bekanntlich viel leichter, in ein Land bewaffnet einzufallen als wieder herauszukommen. Noch schwieriger ist es, mit Anstand wieder herauszukommen und ohne ein Chaos zu hinterlassen. Ein Verteidigungsminister, der glaubt, er könne mit schwerer Artillerie in Afghanistan etwas verbessern, hat entweder keine Ahnung von den geistigen Ursachen des Konflikts oder eine ganz andere Agenda.

„AFGHANISTAN WIRD DIE NATO STÄNDIG BENÖTIGEN“

Wie NATO-Generalsekretär Rasmussen denkt Guttenberg offenbar nicht daran, mit dem Krieg aufzuhören. Rasmussen setzt auf „weitere Militäroffensiven“, die „unweigerlich zu heftigeren Gefechten führen” werden, und er rechnet mit „steigenden Opferzahlen” an der Afghanistan-Front. Diese auf Eskalation setzende Einstellung war eine denkbar schlechte Voraussetzung, um auf der Afghanistan-Konferenz in Kabul einen Weg für den „Übergang zu afghanischer Verantwortung und Teilhabe” zu finden. Rasmussen verhehlt auch gar nicht, dass die NATO das Land auf Dauer kontrollieren will:

„Selbst wenn unsere Truppen in eine unterstützende Rolle wechseln, wird Afghanistan die ständige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft benötigen – einschließlich die der NATO.”

London, das über jahrhundertelange Erfahrung mit so genannten „Aufständischen“ verfügt und dabei auch auf Kanonen setzte – notfalls um die Insurgenten davor zu binden wie beim Sepoy-Aufstand 1857 – will nur noch bald raus aus Afghanistan. Aus dem Irak haben sich die Briten bereits zurückgezogen, bis Jahresende sollen erste Armeeeinheiten auch aus der umkämpften afghanischen Region Sangin abgezogen werden. 2014 soll in Afghanistan für die Briten Feierabend sein. Und für uns?


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