Die Russen in Rudolstadt. Das erste Jahr der Besetzung (1945 - 1946)

Eine kritische Betrachtung der russischen Besatzungszeit war in der DDR aus ideologischen Gründen nicht möglich. Wirklich brauchbare Vorarbeiten liegen also nicht vor. Eine Auseinandersetzung mit den SED-geprägten Darstellungen geschieht an dieser Stelle nicht. Ich folge stattdessen eng den zeitgenössischen Quellen, die ein überraschend ungeschminktes Bild der damaligen Verhältnisse zeichnen, das sich von der verordneten DDR-Meinung diametral unterscheidet. Insofern betrete ich Neuland. Dazu gehört auch der weitgehende Verzicht auf Erinnerungsberichte, die ich für weniger zuverlässig halte als Originalquellen. Zeitzeugenaussagen (ZZ) werden nur dann herangezogen, wenn die schriftlichen Quellen offensichtliche Lücken aufweisen.

Die sowjetische Besatzungsherrschaft 1945´46.
Dargestellt an der thüringischen Kreisstadt Rudolstadt
Frank-Eberhard Wilde
Verlag Der Neue Morgen

http://www.new-ebooks.de/ebooks/23555

Ob zu unserem Thema russische Quellen – z. B. in Moskau – in größerem Umfang vorliegen, konnte ich nicht überprüfen. Die Besatzungsherrschaft beruhte auf der unteren Ebene häufig auf mündlichen Befehlen (vgl. SBZ-Handbuch S. 41), die ihren Niederschlag in Protokollen der deutschen Verwaltung gefunden haben. Da die Sowjetische Militäradministration (SMA)1 eine punktgenaue Umsetzung ihrer Anweisungen verlangte, spiegelt sich in den deutschen Quellen der Wille der Besatzungsmacht sehr deutlich wider. Freilich blieben Motive und Hintergründe der Besatzungspolitik den deutschen Stellen auf der kommunalen Ebene damals weithin verborgen; insofern fanden sie auch keinen quellenmäßigen Niederschlag. Ihre Aufhellung kann daher nicht das Anliegen dieser Arbeit sein.
Auf der Faktenebene hingegen überrascht die Fülle des Quellenmaterials, sodass die Hoffnung besteht, zwar kein vollständiges, aber doch hinreichend zutreffendes Bild der russischen Besatzungsherrschaft in Rudolstadt zeichnen zu können, das in seinen Grundzügen auf das Gesamtgebiet der SBZ zu verallgemeinern sein wird. Angesichts der Tatsache, dass die Besatzungsherrschaft in alle Bereiche des öffentlichen Lebens wirkte, ließe sich unter dem gewählten Thema freilich auch eine lokale Gesamtgeschichte der Jahre 1945/?46 schreiben, also unter Einbeziehung z. B. des städtischen Verwaltungshandelns, des Entstehens und Agierens der vier Parteien, der sozialen Verhältnisse, der Versorgungs- und Wohnungslage, der Bildung von »Massenorganisationen« usf. Es soll aber hier auf das »primäre« Handeln der Besatzungsmacht abgestellt werden. Ein Grenzfall sind die Komplexe Landwirtschaft und Bodenreform. Einige Beispiele des Hineinregierens in Landwirtschaftsfragen werden genannt, die Bodenreform bleibt dagegen ausgeklammert. Sie geht zwar eindeutig auf Druck der Besatzungsmacht zurück, ihre Durchführung lag aber weithin in der Hand der deutschen Kommunisten. Darum gehört sie eher in eine Geschichte der KPD bzw. der Landwirtschaft.


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Erhard Coch ist Autor verschiedener Bücher und Essays.