Gemeinsinn ist ein Wirtschaftsfaktor!

Die infolge krimineller Handlungen korrupter Ärzte eingebrochene Bereitschaft zur Organspende lenkt den Blick auf das Kernproblem unserer Gesellschaft: Das schwindende Gemeinschaftsbewußtsein. Eine geradezu krankhafte Profitorientierung läßt die Gesellschaft langsam aber unaufhörlich zerfallen. Eine gierig Macht und materiellen Reichtum raffende Minderheit erzeugt eine Mehrheit, die allmählich jeder Aussicht beraubt wird, noch einmal angemessen am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand teilhaben zu können.

Sonderinteressen werden innerhalb und außerhalb des Parlaments ungeniert auf Kosten des Allgemeinwohls wahrgenommen. Das geht bis zur „Unterstützung“ von Gesetzesformulierungen durch Lobbyvereine und deren Vertreter. Wir können ohne Übertreibung den gegenwärtigen Zustand unserer Demokratie eine lobbygesteuerten Parteienoligarchie nennen. Wer zur politischen Klasse gehört oder ihr nahe steht, der profitiert, die anderen zahlen – nicht selten ausbeuterische Preise. Die mittel- und langfristigen Folgen für die Gesellschaft sind verheerend. Es ist zu befürchten, daß ein nach Inkrafttreten des geplanten neuen Wahlgesetzes auf über 700 Abgeordnete aufgeblähter Bundestag den Vertretern von Sonderinteressen noch mehr Raum gäbe.

Hier ist nicht der Platz, alle Beispiele aufzuzählen, mit denen Minderheiten sich auf Kosten der Mehrheit bereichern. Anfangen müßte man im Steuerrecht bei der Abgeltungssteuer, dem Ehegattensplitting und der Schonung von Steuerflüchtlingen. Dann käme das Sozialrecht, daß in weiten Teilen heute eher ein Bestattungsrecht für Benachteiligte genannt werden sollte. Die teure Arbeitslosenverwaltung arbeitet zum Beispiel seit Jahrzehnten ineffizient und vernichtet dabei außer viel Geld unzählbare Qualifikationen und Lebensperspektiven. Unternehmen entlassen ihre Know-how-Träger vorzeitig in den Ruhestand oder überantworten Sie dem Ausplünderungs- und Verarmungsverfahren „Hartz-IV“, das pikanterweise nach einem Vorbestraften benannt wurde, und jammern anschließend über Fachkräftemangel. Zwecks Profitsteigerung sind Lohndrückerei, zeitlich befristete Arbeitsverträge, Scheinselbständigkeit mit Werkverträgen und Ausgliederungen von Betriebsteilen üblich geworden, und Löhne unter Hartz-IV-Niveau werden auf Kosten der Sozialkassen subventioniert. Im Lebensmittelrecht und beim Lärmschutz gestattet erfolgreiche Lobbyarbeit den gleichen Unternehmen, Menschen krank zu machen, die dann ihre Lobbyisten in Stellung bringen, um Beiträge zur Sozialversicherung zu reduzieren, obwohl heute schon klar ist, daß künftig sogar höhere Beiträge notwendig sind, um verbreitete Altersarmut und Notstände in der Kranken- und Pflegeversorgung zu verhindern.

Zukunftsweisende Politik? Fehlanzeige. Die gegenwärtig politische Klasse eifert erkennbar den Vereinigten Staaten nach, mit ihrer Sozialstruktur eines Schwellenlandes und allen häßlichen Begleiterscheinungen im gesellschaftlichen Alltag. Wer gewohnt ist, in Zusammenhängen zu denken und zu handeln, sieht auch die absehbaren wirtschaftlichen Auswirkungen. Eine konsequente Politik für nachhaltiges allgemeines Wohl wäre Treibstoff für die Konjunktur. Anders als die Konjunkturstimuli der Vergangenheit kämen sie aber nicht vor allem der politiknahen Minderheit zugute, sondern der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger.

Von Walther Rathenau, Außenminister in der Weimarer Republik, ist ein Neujahrswunsch überliefert, der auch für den kommenden Jahreswechsel angebracht wäre: „Weniger Rede, mehr Gedanken; weniger Interessen, mehr Gemeinsinn; weniger Wissen, mehr Urteil; weniger Zwiespalt, mehr Charakter.“ Was aus der Weimarer Republik wurde und warum, das wissen die Gebildeten unter den Deutschen. Miserable Vorbilder und schlechte Politik haben auch damals den Zerfall der Gesellschaft bewirkt.

Der Gemeinsinn ist gegenwärtig der am wenigsten entwickelte aller Sinne. Die Aussichten, ihn wieder zu stärken, sind derzeit eher gering. Aber wenn unsere Gesellschaft nicht den sprichwörtlichen Bach hinuntergehen soll, bedarf es einer raschen und konsequenten geistig-moralischen Wende. Das Allgemeinwohl muß oberste Priorität im politischen Handeln erhalten. Deshalb ist es auch so wichtig, daß Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte unter Androhung hoher Strafen auf Heller und Pfennig und mit Angabe des Auftraggebers benennen. Nur so kann die Lobbydemokratur beseitigt werden.

Organspenden sind letztlich auch Leistungen für das allgemeine Wohl. Aber warum sollte einer eine solche Leistung erbringen, wenn sich die Herrschenden nicht im geringsten um sein Wohl scheren? Warum sollte er vielleicht ausgerechnet seinem Ausbeuter das Leben retten? Eine Gesellschaft ist immer eine Veranstaltung auf Gegenseitigkeit! Das scheinen allzu viele Zeitgenossen im Taumel ihrer Raffgier derzeit nicht zu begreifen. Der besorgte Staatsbürger fragt sich, welche sozialen und politischen Verhältnisse sie überzeugen würden.

Ein großer Schritt in die richtige Richtung zur Reanimation des Gemeinsinns wäre eine gerechtere – hier steht aus gutem Grund nicht: gleiche – Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand. Wie das durch ein unbedingtes individuelles Grundeinkommen in Gestalt einer negativen Einkommensteuer bewerkstellig werden kann, untersucht die Abhandlung „Unbedingtes individuelles Grundeinkommen in Gestalt einer negativen Einkommensteuer - Kernstück einer unvermeidlichen Radikalreform unserer Gesellschaft (ISBN 978-3-943788-18-1, eBook, 79 S., 9,95 Euro). Die Studie basiert zwar auf statistischen Zahlen aus den Jahren 2005-07, ist aber in ihren wesentlichen Aussagen nach wie vor hochaktuell. Sie ist in guten (Internet-)Buchhandlungen oder direkt beim Verlag READ – Rüdenauer Edition Autor Digital (www.read.ruedenauer.de) erhältlich.

Ein Zitat aus der Studie zum Schluß: „Eine Art von Sklavengesellschaft, wie sie offensichtlich vielen neokonservativen Nennchri¬sten und Scheinsozialen vorschwebt, in der eine stattliche Millionenzahl von Bürgern dieses Landes in ungesicherten Arbeitsverhältnissen als Tagelöhner nur noch Hungerlöhne verdienen kann, die Mehrzahl der Rentner sich mit dem Vegetationsminimum begnügen muß, und ein riesiges Proletariat von Verhartzten ein gefährliches Unruhepotential darstellt, kann in nie¬man¬des Interesse liegen, der diesen doch immerhin recht friedlichen, demokratischen und rechtssicheren Staat nicht aus den Angeln heben möchte.“

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