Opferrente: Für einen Lebensabend in Würde

„Nie wieder ins Heim!“

„Es geht nicht um das Sühnen einiger Ohrfeigen a la Mixa“, so Helmut Jacob zu den lauter werdenden Forderungen von Heimopfern der Nachkriegsjahzehnte nach einer Opferrente. Unlängst traf sich die „Freie Arbeitsgruppe JHH 2006“, die seit 4 Jahren Gewalt und Verbrechen an behinderten Kindern in Volmarstein dokumentiert, mit ehemaligen Mitschülern. Ein Gesprächspunkt war die Erarbeitung einer Resolution „Forderungen an Politik und Kirche“. Gruppensprecher Jacob „Volmarstein hat das Leben vieler Kinder negativ beeinflusst.“ Drei Kinder hätten sich laut Eingeständnis der ESV durch die erlebte Gewalt eine Sprachbehinderung zugezogen. Andere misshandelte Kleinkinder zeigten heute Sozialisationsstörungen und hätten keinen Platz in der Gesellschaft gefunden. „Unterlassene und falsche medizinische Versorgung ließen manche Kinder das Heim behinderter verlassen, als sie eingewiesen wurden“, so Jacob, „aufgrund zertrümmerter Trommelfelle sind einige Ehemaligen schwerhörig, andere plagen sich bis heute mit Schmerzen, finden Tag und Nacht keine Ruhe, weil sie orthopädisch misshandelt wurden.“ Wieder andere seien in psychologischer Behandlung oder hätten eine solche dringend nötig. „Viele Lebensplanungen gerieten völlig aus den Fugen,“ führt Jacob aus, „manche MitschülerInnen konnten entweder ihren Wunschberuf nicht erlernen oder nicht berufstätig sein und sind darum arm.“

„Weil die Evangelische Kirche als Träger und die staatlichen Behörden als Aufsichtsorgane versagt haben und damit sogar gegen den Artikel 1 des schon gültigen Grundgesetzes massiv verstoßen haben“, ergänzt Klaus Dickneite, Pressesprecher der FAG, „fordert die „Freie Arbeitsgruppe JHH 2006“ eine monatliche Opferrente von 400 Euro bis zum Lebensende.“ Damit sich Staat und Behörden dieses Geld nicht zurückholen, verlangt die Gruppe eine Nichtanrechenbarkeit auf andere Leistungen.“ Dickneite: „Sonst wären die Opfer von damals die Opfer von morgen. Christel und Eberhard Flügge, damalige Mitarbeiter auf den Kinderstationen: "Die Opferrente ist lange überfällig; sie kann dazu beitragen, dass die Opfer im Alter nicht in ein Heim müssen." Sie fügen hinzu: "Das kann man keinem, der diese Grausamkeiten erlebt hat, zumuten."

Heftig kritisiert Helmut Jacob das Diakonische Werk von Deutschland und die Landesregierung NRW: „Beide Institutionen haben vor 50 Jahren als Träger und/oder Aufsichtsorgan völlig versagt, sie lassen so Jacob, „die Evangelische Stiftung Volmarstein die Suppe auslöffeln und das ist ein weiterer Skandal im Rahmen staatlicher und kirchlicher Aufarbeitung.“ Dies zeige „das andere Gesicht der Evangelischen Kirche und der Behörden, die Kinder hätten schützen müssen.“ Die Gruppe „ist entsetzt darüber, dass die Evangelische Kirche Deutschlands noch immer keinen Opferfonds eingerichtet hat“.

Resolution der Freien Arbeitsgruppe JHH 2006

Vier Jahre Forschungsarbeit - von April 2006 bis März 2010 - haben bestätigt, dass in den 50er und 60er Jahren im Johanna-Helenen-Heim der damaligen Orthopädischen Anstalten Volmarstein Gewalt und Verbrechen stattgefunden haben. Behinderte Kleinkinder und Schulkinder wurden mehr oder weniger Opfer dieser Gewalt. Diese Kinder mussten physische, psychische und teils sexuelle Gewalt erfahren. Es haben Menschenrechtsverletzungen in großem Umfang und nicht nur vereinzelt auch Isolationsfolter stattgefunden. Einzelne Kinder mussten Zwangsarbeit leisten. Ein Kind wurde bestraft, wenn es diese Zwangsarbeit nicht zur Zufriedenheit der Diakonissen leistete. Über Jahrzehnte hinweg bleibende Schäden bei Heimkindern sind unter anderen: Hospitalismus, psychische Schäden, Hörschäden, Sprachbehinderungen, medizinische Schäden aufgrund von Falschbehandlungen, Sozialisationsschäden.

Diese Taten und Tatsachen sind zweifelsfrei und mehrfach bestätigt inzwischen dreifach dokumentiert:

1. Der damalige Diakonenschüler Karl-Joachim Twer zeigt in seinem Praktikumsbericht vom Februar 1965 gravierendes Fehlverhalten und Taten der Gewalt durch Mitarbeiterinnen auf den drei Kinderstationen im Johanna-Helenen-Heim in Volmarstein auf.

2. Die „Freie Arbeitsgruppe JHH 2006“ veröffentlichte im November 2008 eine Dokumentation ihrer Ergebnisse der ihnen vorliegendenen Erinnerungen ehemaliger Heimkinder unter dem Titel: „Zusammenfassung der Aufarbeitung der Grausamkeiten, Brutalitäten und Verbrechen an behinderten Kleinkindern und Kindern in der Zeit zwischen 1947 und 1969 in verschiedenen Häusern der damaligen Orthopädischen Anstalten Volmarstein.“

3. Die Historiker Dr. Ulrike Winkler und Prof. Hans-Walter Schmuhl legten im März 2010 ihre Forschungsergebnisse in Buchform vor. Titel: „Gewalt in der Körperbehindertenhilfe - Das Johanna-Helenen-Heim in Volmarstein von 1947 bis 1967“.

Die Heimopfer verlangen Wiedergutmachung. Zu diesem Zweck haben sie nachfolgende Resolution verabschiedet, die
- an den Runden Tisch Heimkinder (Vorsitz: Frau Dr. Antje Vollmer)
- an den Runden Tisch sexueller Missbrauch (Vorsitz: Frau Dr. Christine Bergmann)
- an die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) (Herr Präses Nikolaus Schneider)
- an das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche (Diakonie-Präsident Herr Klaus-Dieter Kottnik)
- an die Bundesrepublik Deutschland (Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel)
- an das Land Nordrhein-Westfalen (Ministerpräsidentin Frau Hannelore Kraft)
gerichtet ist.

Der Wortlaut der Resolution:

Forderungen an Politik und Kirche:

1. Opferrente für alle Geschädigten in Höhe von 400 € monatlich bis zum Lebensende
2. Individuelle Wohnformsicherung (im Einvernehmen der Betroffenen) zur Verhinderung erneuter stationärer Unterbringung
3. Nichtanrechenbarkeit jeglicher Geld- und Sachleistungen für Entschädigungen und Wiedergutmachungen auf bisherige oder zukünftige Leistungen der verschiedenen Sozialleistungträger.

Volmarstein, den 21. 8. 2010
Freie Arbeitsgruppe JHH
58300 Wetter

http://www.gewalt-im-jhh.de/hp2/Sechstes_Treffen_der_Freien_Ar/sechstes_...