„Wenn uns einer anmacht …“

Explodierende Gewalt in S- und U-Bahnen: Ursachen und Gegenmittel

Deutsche S- und U-Bahnen sind nicht nur oft unverschämt teuer. Die Attraktivität der Bahnen wird auch durch immer neue Fälle sinnloser, brutaler Gewalt in Bahnhöfen und Verkehrsmitteln gemindert. Nach dem beinahe tödlichen Angriff zweier Jugendlicher, Serkan A. (20) und Spriridon L. (18), vom 20. Dezember 2007 auf den pensionierten Realschulrektor Bruno N. in der Münchner U-Bahn haben nur wenige schwere Gewalttaten ein größeres öffentliches Echo gefunden:

12. Juni 2009. Die „20-Cent-Killer“ Berhan I. und Onur K., beide 17 Jahre alt, verprügeln den 44 Jahre alten Dachdecker Thomas M. im Eingang des S-Bahn-Tunnels am Seeveplatz in Hamburg-Harburg so, dass ihr Opfer drei Wochen danach an seinen schweren Kopfverletzungen stirbt.

12. September 2009. Der Geschäftsmann Dominik Brunner wird auf dem S-Bahnsteig in München-Solln von Markus S. (18) und Sebastian L. (17) zu Tode geprügelt. Der 50-Jährige hatte die Täter in der S-Bahn zur Rede gestellt, als sie eine Gruppe von vier Kindern bedrohten und von ihnen 15 Euro verlangten.

2. Mai 2010. Der Nigerianer Emeka Okoronkwo wird am Frankfurter Hauptbahnhof nach einem Handgemenge mit zwei Eritreern, 34 und 26 Jahre alt, erstochen. Er hatte zwei Frauen vor Belästigung schützen wollen.

14. Mai 2010. Ein 19-Jähriger, der im Hamburger S-Bahnhof Jungfernstieg zusammen mit einem Freund auf den Zug wartet, wird von fünf jugendlichen Tätern angepöbelt. Plötzlich zieht einer aus der Gruppe, der 16-jährige Elias A., ein Messer und sticht zu. Der 19-Jährige stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus.

BEI VIELEN FÄHRT DIE ANGST MIT

Abseits der spektakulären Fälle sind Tag für Tag Fahrgäste in Bussen und Bahnen mit angewandter, angedrohter oder latent im Raum stehender Gewalt konfrontiert. Selbst erlebter Fall am vergangenen Wochenende: Ein Betrunkener bepöbelt („Urwald“) am Bahnhofsplatz in München-Pasing einen athletischen jungen Schwarzafrikaner; der Afrikaner geht auf den kaum mehr zurechnungsfähigen Beleidiger los. Ich will dazwischengehen, doch ein Türke (wie ich später erfahre: mit deutschem Pass, Postbeamter, 36 Jahre alt) ist näher dran und kommt mir zuvor, bedeutet dem Angreifer knapp und bestimmt: „Lass ihn! Du siehst doch, dass er betrunken ist!“ Der couragierte Mann erwartet keinen Dank und geht weiter. Der Fall ist erledigt, hätte aber böse enden können. Wer fehlt in der Geschichte? Die Polizei. Weit und breit ist kein Beamter da – obwohl die Auseinandersetzungen am Pasinger Bahnhofsplatz stadtbekannt sind.

Noch eine eigene Beobachtung: Eine aus aller Herren Länder zusammengesetzte Gruppe Jung-Fußballer steigt in die Münchner S 8. Sie sind laut, sprechen das übliche „krasse“ Idiom. Die etwa 16-jährigen Jungen denken stark in ethnischen Kategorien („Was? Der ist so Albaner, ey? Ischwör, wenn isch des gewusst hätt!“). Dann bemerken sie eine junge Frau, die mit ihrer Mutter zum Flughafen unterwegs ist, und sprechen hemmungslos in der dritten Person auf sie ein. Die Frau schaut verunsichert zum Fenster hinaus. Ihre Mutter überlegt sich sichtlich, ob sie etwas sagen soll. Aber die Angst fährt mit, also tut sie es nicht. Ich frage einen Türken aus der Gruppe, wie oft sie in Schlägereien verwickelt sind. „nur manchmal“, meint der, „wenn uns einer anmacht“. Anmachen – ein dehnbarer Begriff.

ALLHEILMITTEL ÜBERWACHUNG?

In Berlin wird fast jeden Tag ein Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel angegriffen. In Hamburger Bahnhöfen und U-Bahnen registrierte die Polizei innerhalb eines einzigen Jahres 1.441 Gewalttaten wie Raub und Körperverletzung. Als Ursache für die Häufung von Gewaltfällen gerade in Bahnhöfen und öffentlichen Verkehrsmitteln nennen Experten wie der Kriminologe Christian Pfeiffer, dass der Konflikt meistens schon in der Bahn beginne. Die anderen könnten nicht weglaufen, wie auf der Straße. Man sei gemeinsam eingesperrt bis zum nächsten Halt. Das provoziere bei Jugendlichen Kraftmeierei und Machogehabe. Die Situation schaukele sich während der Fahrt auf. Und wenn dann die Türen aufgehen, wollten die betreffenden Jugendlichen zeigen, dass sie es wirklich drauf haben.

Lobenswert sei das Konzept, das für Busse in einigen Städten Nordrhein-Westfalens entwickelt wurde. Sollte es während der Fahrt zu Konflikten kommt, drückt der Fahrer einen Knopf. Dann werden sofort auf den Bildschirmen in den Bussen die Kamera-Aufzeichnungen des Vorfalls gezeigt. So wird deutlich gemacht, dass alles dokumentiert wird. Das schreckt viele Täter ab. Sodann hält der Fahrer und öffnet die Türen, damit man raus kann.

Weil in U- und S-Bahn ein Aussteigen auf freier Strecke nicht möglich ist, ist es nach Meinung von Fachleuten umso wichtiger, dass alle Bahnhöfe mit Kameras ausgerüstet werden. Denn das Risiko, bei einer Straftat erwischt zu werden, sei immer noch die beste Abschreckung.

Ein weiteres Problem ist nach Ansicht der Experten der Alkoholmissbrauch. Gerade der Alkoholkonsum Jugendlicher sei deutlich gestiegen – und damit der Anteil angetrunkener Täter. Der Staat müsse unbedingt mehr dagegen tun, dass Alkohol an Jugendliche verkauft wird. Etwa durch den Einsatz von Testkäufern, die schwarze Schafe bei den Verkäufern überführen. Weitere Risikofaktoren seien die Abstumpfung durch brutale Computerspiele sowie die Zusammenballung von stark belasteten Jugendlichen aus Randgruppen in Hauptschulen oder in großstädtischen Jugendzentren.

IMMER BRUTALER

Doch auch diese Erklärungsversuche greifen letztlich zu kurz. Auffällig ist: Die oftmals noch sehr jungen U-Bahn-Schläger wollen meist nichts erbeuten. Professor Hans-Dieter Schwind, Fachmann für Verbrechensverhütung und Vorstandsmitglied des Weißen Rings, stellt fest: „Auslöser sind oft Banalitäten. Die Kinder wissen mit ihrer Freizeit nichts anzufangen, sie erfahren durch Gewalt Freude.“ So geschehen beispielsweise im letzten tödlich verlaufenen Fall vom 14. Mai 2010. Dort stachelte ein Kumpan den Täter mit den Worten an: „Guck mal, der glotzt blöd.“ Schon stach er zu.

Insgesamt zeigt die Statistik, dass die Taten immer brutaler werden. Professor Schwind: „Den Kindern fehlen Hemmschwellen, die durch Mitleid aufgebaut werden. Die haben sie einfach nicht gelernt.“ Dabei verschleiert der Begriff „Kind“ freilich, dass hier oftmals längst polizeibekannte Intensivtäter am Werk sind. Nochmals zum tödlichen Messerangriff vom 14. Mai in Hamburg: Der 16-jährige Täter, Elias A., deutscher Staatsangehöriger mit afghanischem Vater und serbischer Mutter, wird bereits im zarten Alter von 10 Jahren erstmals wegen Körperverletzung auffällig. Er kann jedoch als Kind strafrechtlich noch nicht belangt werden. Es folgen weitere Körperverletzungsdelikte. 2009 bricht er einem Lehrer den Kiefer. Das Strafverfahren wird gegen eine Auflage von 5 Tagen Arbeitsleistung eingestellt. Im Juni 2009 folgt eine gefährliche Körperverletzung vor einem Eiscafé. Im August 2009 schlägt der „Knabe“ mit vier weiteren Tätern drei Männer zusammen. Im Oktober 2009 verprügelt er mit einem Freund zwei Supermarktangestellte aus Wut über ein Hausverbot. Dazu kommt noch eine lange Liste mit Diebstählen, Hausfriedensbruch und räuberischer Erpressung. Viele Anwohner seines Viertels beklagen sich, dass er mit seiner Jugendbande Angst und Schrecken verbreite. Sie wenden sich an die Polizei und die Politik. Leider ohne Ergebnis.

SCHMIDTS WARNUNG: FREIHEIT ODER MULTIKULTI?

Auch wenn Gewalt auf eine Mehrzahl von Bedingungen zurückzuführen ist, fällt bei vielen Taten eine ethnische Komponente auf. Der Konflikttyp „Max gegen Moritz“ – Deutsche unter sich – wurde von dem Kriminologen Pfeiffer schon vor fünf Jahren als „sehr selten“ eingestuft. Von den oben aufgezählten aufsehenerregenden Verbrechen fällt nur die Tötung Dominik Brunners in diese Kategorie.

Alle Vorschläge – mehr Überwachung, härtere Strafen, mehr Polizei – bestätigen nun die alte These, dass Gewalt in der Gesellschaft durch staatliche Gewalt unterbunden werden kann. Und mehr Gewalt dann eben durch mehr staatliche Gewalt.

Das erinnert an die Aussage von Altbundeskanzler Helmut Schmidt in einem Interview des „Hamburger Abendblatts“ vom 24. November 2004 (Titel: Wie viel Anatolien verträgt Europa?“), in dem Schmidt es nicht nur ablehnte, „für die inzwischen beinahe 70 Millionen Türken Freizügigkeit nach Europa herzustellen“, sondern auch erklärte, eine multikulturelle Gesellschaft sei mit der Demokratie nur schwer zu vereinbaren. Schmidt damals: Multikulturelle Gesellschaften könnten nur friedlich in einem starken Obrigkeitsstaat funktionieren.

Mehr Einwanderung bedeutet also mehr Konflikte und zu deren Unterdrückung sind wiederum mehr staatliche Kontrolle und Repression notwendig. Die Situation in S- und U-Bahnen deutscher Metropolen führt folglich zu der Grundsatzfrage: Ist es ein guter Tausch, wenn man den Obrigkeitsstaat braucht, um halbwegs gewaltfreie Abläufe zu ermöglichen?

WO IST NUN DIE POLIZEI?

Was gar nicht geht, ist allerdings auch klar: Unter sich verschärfenden Bedingungen die Bürger allein zu lassen. Denn noch durchgängiger als die ethnische Komponente vieler Konflikte ist die Abwesenheit der Polizei.

B. Schreiber


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