Sarrazins Weckruf

Wofür wird der Bundesbanker bestraft?

Querdenker Thilo Sarrazin wird im Bundesbank-Vorstand entmachtet. Müsste man ihm nicht eher dankbar sein?

Der Aufschrei der Empörung von Medien und Meinungsmachern in der Bundesrepublik wegen Thilo Sarrazins Interviews hält an. Und offenbar müssen in dieser Gesellschaft missliebige Meinungsäußerungen stets Sanktionen nach sich ziehen.

Einige wenige Zitate aus dem 15 großformatige Spalten langen Interview, das der frühere Berliner Finanzsenator, seit einem halben Jahr Mitglied des Vorstandes der Bundesbank, in der Zeitschrift „Lettre International“ gab, sind Anlass für allerhöchste Erregung. Insbesondere die Sätze: „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.“ Und: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“

FEHLT ES SARRAZIN AN VERSTAND?

Politiker aller Couleur überbieten sich mit Ausdrücken des Entsetzens und des Abscheus. Die ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) beispielsweise sagte über Thilo Sarrazin: „In vielen Formulierungen und in den dahinter liegenden Gedanken offenbart er sich nicht nur als bornierter Ignorant, was zum Beispiel Integrationsverläufe angeht, sondern vor allem als ein unmenschlicher Verurteiler, und das erschreckt und verstört tief.“ Mehrere SPD-Politiker fordern Sarrazins Ausschluss aus der SPD, darunter die Berliner Bundestagsabgeordnete Eva Högl und der Reiseunternehmer Vural Öger, der seit 2004 für die SPD im Europäischen Parlament sitzt.

Sarrazins unmittelbarer Vorgesetzter, Bundesbankchef Axel Weber, forderte ebenso wie die Bundesbankgewerkschaft seinen Rücktritt als Mitglied des Vorstandes der Bundesbank. Mittlerweile beschloss der sechsköpfige Bundesbankvorstand, Sarrazin trotz seiner unbestritten hohen fachlichen Kompetenz innerhalb der Bundesbank zu entmachten. Man entzog ihm die Zuständigkeit für den Bereich Bargeld-Umlauf. Verantwortlich bleibt er – vorerst? – für das Risiko-Controlling und für den unbedeutenden Bereich Informationstechnologie.

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, bezeichnete die Sätze Sarrazins als „perfide, infam und volksverhetzend“ sowie als „intellektuellen Dünnschiss“. Damit nicht genug, holte Kramer gleich die Nazi-Keule heraus: „Ich habe den Eindruck, dass Herr Sarrazin mit seinen Äußerungen, mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler wirklich eine große Ehre macht“. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, nennt Sarrazins Äußerungen „stigmatisierend und menschenverachtend“. Urheber derartiger Sätze müssten von den Gerichten verfolgt werden. Der Vizechef der türkischen Zentralbank schließlich sagte über Dr. rer. pol. Thilo Sarrazin: „Allah möge ihm mehr Verstand geben.“

ODER SOLLTEN WIR IHM DANKBAR SEIN?

Nur wenige Stimmen wagen es, Sarrazin öffentlich in Schutz zu nehmen. Beispielsweise die jüdischen Publizisten Henryk Broder und Ralph Giordano. Broder erklärte, man könne Sarrazin allenfalls vorwerfen, dass er in seiner Analyse nicht weit genug gegangen sei. Und laut Giordano hat Sarrazin mit seiner Beschreibung der Parallelgesellschaften genau ins Schwarze getroffen. Auch Berlin-Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, wie Sarrazin SPD-Mitglied, nimmt seinen Parteikollegen zumindest vorsichtig in Schutz: „Also ich fand das Interview mit Herrn Sarrazin kein Interview mit einer Bestie“, sagte Buschkowsky. Der Text sei von hohem Intellekt geprägt und weite Teile sollten zum Nachdenken anregen. „Die Empörung über Sarrazin kann ich mir nur so erklären, dass viele das sehr lange Interview gar nicht gelesen haben, sondern nur die wenigen öffentlich zitierten Passagen kennen.“

Ja, was hat Thilo Sarrazin denn nun wirklich gesagt? In seinem Interview geht er auf Fragen ein, die – was jetzt gerne übersehen wird – eine typisierende Betrachtung förmlich herausforderten: „Welche Rolle spielt heutzutage Immigration in der traditionell als Zuwandererstadt fungierenden Metropole?“, „Welche typischen Erscheinungsformen kennzeichnen die verschiedenen Zuwanderergruppen?“, „Welche Impulse können Eliten und Eliteförderung geben?“

Zentrale Kritikpunkte Sarrazins sind die mangelnde Integration vor allem von Türken und Arabern in Berlin. Berlin sei insgesamt belastet durch zwei Faktoren: die 68er-Tradition und den Westberliner Schlamp-Faktor. Es gebe auch das Problem, dass vierzig Prozent aller Geburten in der Unterschicht stattfänden. Viele Eliten und Leistungsträger seien aus Berlin abgewandert.

„UNTERSCHIEDLICHE MIGRANTENGRUPPEN ANSCHAUEN“

Besonders empörend dürften die Äußerungen Sarrazins zur Ausländerthematik sein, weil er nicht aus der „rechten“ Ecke kommt, sondern offenbar durch Verstandesoperationen in vielen Punkten zum ähnlichen Ergebnis gelangt. Und dieses Ergebnis ist überwiegend differenziert. So sagt Sarrazin unter anderem:

„Man muss aufhören, von ‚den’ Migranten zu reden. Wir müssen uns einmal die unterschiedlichen Migrantengruppen anschauen.“

Und da kommen viele bei Sarrazin ausgesprochen gut weg:

„Die Vietnamesen: Die Eltern können kaum Deutsch, verkaufen Zigaretten oder haben einen Kiosk. Die Vietnamesen der zweiten Generation haben dann durchweg bessere Schulnoten und höhere Abiturientenquoten als die Deutschen. Die Osteuropäer, Ukrainer, Weißrussen, Polen, Russen weisen tendenziell dasselbe Ergebnis auf. Sie sind integrationswillig, passen sich schnell an und haben überdurchschnittliche akademische Erfolge.“

Auch was Sarrazin über die Russlanddeutschen (ein in der Wolle gefärbter Nationaler würde natürlich nie „Deutschrussen“ sagen) verkündet, hat Hand und Fuß:

„Die Deutschrussen haben große Probleme in der ersten, teilweise auch der zweiten Generation, danach läuft es wie am Schnürchen, weil sie noch eine altdeutsche Arbeitsauffassung haben. Sobald die Sprachhindernisse weg sind, haben sie höhere Abiturienten- und Studentenanteile usw. als andere. Bei den Ostasiaten, Chinesen und Indern ist es dasselbe.“

Aber nicht alle sind laut Sarrazin so: „Bei den Kerngruppen der Jugoslawen sieht man dann schon eher ‚türkische’ Probleme; absolut abfallend sind die türkische Gruppe und die Araber. Auch in der dritten Generation haben sehr viele keine vernünftigen Deutschkenntnisse, viele gar keinen Schulabschluss, und nur ein kleiner Teil schafft es bis zum Abitur. Jeder, der integriert werden soll, muss aber durch unser System hindurch. Er muss zunächst Deutsch lernen.“

DAS LEBEN DER VÖLKER IST KEIN IQ-TEST

Sarrazin argumentiert eher selten in nationalen Kategorien, sondern liebt es offenbar, von „Schichten“ zu sprechen. Seine Schlussfolgerungen sind aber interessant, etwa wenn er sagt:

„Hinzu kommt das Problem: Je niedriger die Schicht, um so höher die Geburtenrate. Die Araber und Türken haben einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig. Die Lösung dieses Problems kann nur heißen: Kein Zuzug mehr, und wer heiraten will, sollte dies im Ausland tun.“

Bei manchen seiner Betrachtungen lässt Sarrazin allerdings außer Acht, dass das Leben der Völker kein Intelligenzwettbewerb ist und das Recht auf Wahrung der eigenen Identität Maori und Australiden genauso zusteht wie Chinesen und Japanern, auch wenn erstere bei IQ-Tests im Durchschnitt schlechter abschneiden mögen. Vielleicht hat Sarrazin folgenden Satz aber auch nur gesagt, weil er glaubte, damit Stephan Kramer und seine Freunde beruhigen zu können:

„Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. Das würde mir gefallen, wenn es osteuropäische Juden wären mit einem um 15 Prozent höheren IQ als dem der deutschen Bevölkerung. Ich habe dazu keine Lust bei Bevölkerungsgruppen, die ihre Bringschuld zur Integration nicht akzeptieren, und auch, weil es extrem viel Geld kostet und wir in den nächsten Jahrzehnten genügend andere große Herausforderungen zu bewältigen haben.“

EIGENSTÄNDIGER KOPF MIT COURAGE

Eins ist sicher: Sarrazin ist ein extrem eigenständiger Kopf und hat Courage – das ist in Deutschland heute Mangelware. Seine mit kräftigen Ausdrücken gewürzte Kritik an der Zuwanderungs- und Integrationspolitik kann man nicht in jedem Punkt teilen, aber sie war ein Weckruf und hat manchen aus dem Dämmerschlaf gerissen. Sie deckt sich nicht nur weitenteils mit den Ergebnissen zahlreicher empirischer Studien. Auch einer der lautstärksten Kritiker Sarrazins, der SPD-Europaabgeordnete Vural Öger, hatte am 25. Mai 2004 gesagt: „Im Jahr 2100 wird es in Deutschland 35 Millionen Türken geben. Die Einwohnerzahl der Deutschen wird dann bei ungefähr 20 Millionen liegen. Das, was Sultan Süleyman mit der Belagerung Wiens 1683 begonnen hat, werden wir über die Einwohner, mit unseren kräftigen Männern und gesunden Frauen, verwirklichen.“

Natürlich gibt es viele Beispiele erfolgreicher Integration von Türken und Arabern in Deutschland. Allerdings muss es möglich sein, bestehende Missstände auch offen auszusprechen. Es kann nicht angehen, dass der wichtige Themenbereich der Integrationspolitik einfach tabuisiert wird und Menschen, die auf drängende Probleme hinweisen, als verkappte Nazis und Ähnliches diffamiert werden. So offenbart die anhaltende öffentliche Debatte über die Äußerungen Thilo Sarrazins ein erschreckendes Maß an Intoleranz, Verlogenheit und Überheblichkeit jener, die jede ehrliche Diskussion im Keim ersticken möchten.


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