Kinderarmut, Altersarmut - Warum die Schwächsten leer ausgehen

Kinderarmut und Altersarmut breiten sich erschreckend aus. Wenn etwas dagegen getan wird, dann nur befristet – um die Wirtschaft anzukurbeln. Kinder und Alte verfügen über keinen mächtigen Interessenverband – sie haben keine Lobby.

Laut dem Dossier „Kinderarmut in Deutschland“ des Bundesfamilienministeriums sind in der Bundesrepublik 2,4 Millionen Kinder armutsgefährdet. Das ist jedes sechste Kind! Nach Berechnung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes leben mehr als 1,7 Millionen Kinder auf dem Niveau der Sozialhilfe. Weitere 200.000 Kinder hätten theoretisch Anspruch auf Hartz IV, für sie werden aber keine Leistungen in Anspruch genommen. Rund sechs Millionen Kinder leben nach Schätzungen des Kinderhilfswerkes in Haushalten mit einem Jahreseinkommen von bis zu 15.300 Euro. Die Wohltätigkeitsorganisation „Die Tafel“ gibt an, dass unter 800.000 Bedürftigen, die von ihr 2007 regelmäßig kostenlos Essen und Lebensmitteltüten erhielten, ein Viertel Kinder waren.

ALS KIND ARM, EIN LEBEN LANG ARM?

Besonders erschreckend ist die rasche Zunahme der Kinderarmut. Das Armutsrisiko von Kindern liegt Studien zufolge heute deutlich höher als noch Ende der Neunziger Jahre. Kinder aus armen oder armutsgefährdeten Familien leiden häufiger als ihre Altersgenossen unter zahlreichen Problemen: Wissenschaftler und Sozialverbände beobachten, dass sie häufig schlecht und ungesund ernährt sind. UNICEF schreibt: „Chronische Krankheiten, Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten haben bei benachteiligten Kindern stark zugenommen“. Kein Wunder: Wenn arme Kinder beispielsweise nicht an Klassenfahrten teilnehmen können, kein Taschengeld und nur gebrauchte Kleidung bekommen, fühlen sie sich sozial ausgegrenzt. Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers stellt klar: „Kinder brauchen jedes Jahr eine neue Jacke und Schreibmaterial für die Schule“.

Doch das ist oft ein Problem. Die Berliner Sozialarbeiterin Mirjam Müller sagt in einem Interview: „Teilweise tragen die Kinder kaputte Schuhe, schlechte Kleidung oder Kleidung, die nicht den Wetterverhältnissen angemessen ist.“ Und sie fügt hinzu: „Die größte Armut ist aber die emotionale: Viele Kinder fühlen sich alleine gelassen und haben keine Bezugsperson.“ In dieses Bild passt, dass nach Studien Kinder aus ärmeren Familien schlechte Bildungschancen haben und damit geringere Chancen, als Erwachsene selbst der Armut zu entkommen. Ein Teufelskreis.

Auch die Lage der alten Menschen in Deutschland ist alles andere als rosig, selbst wenn Finanzminister Peer Steinbrück sich gegen die beschlossene Rentengarantie stark macht und giftet, der derzeitigen Rentnergeneration gehe es so gut wie keiner zuvor. Er übersieht dabei geflissentlich, dass sich das Einkommen der Rentner sehr ungleich verteilt. Zwar gibt es heute erfreulicherweise viele Senioren, die eine Rente beziehen, die ihnen ein würdiges Alter nach einem arbeitsreichen Leben ermöglicht. Aber es gibt leider auch eine beängstigend rasch steigende Zahl von Rentnern, die in bitterer Armut leben und auf die so genannte „Grundsicherung“ angewiesen sind. Und die ist bekanntlich zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel.

DER SCHWINDEL MIT DER ECKRENTE

Die Politiker weisen gerne auf die so genannte Eckrente hin. Die Eckrente ist eine fiktive Rente, die einem Versicherten gewährt würde, wenn er über 45 Versicherungsjahre hinweg stets ein Entgelt in Höhe des Durchschnittsentgeltes aller Versicherten erzielt und dementsprechende Rentenbeiträge geleistet hätte. Die Eckrente beträgt laut Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung 2008 (Zahlen für 2007) im Westen Deutschlands 1078 Euro und im Osten Deutschlands 941 Euro.

Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass durch Arbeitslosigkeit, Mini-Jobs, selbständige Tätigkeiten, Kindererziehungs- und Ausbildungszeiten etc. die Voraussetzungen der Eckrente in der Realität kaum erfüllt werden. So erreichen die für die Eckrente erforderlichen 45 Beitragsjahre lediglich rund ein Viertel der Männer und nur jede zwanzigste Frau.

Dementsprechend erhalten rund die Hälfte der Männer und 95 Prozent der Frauen eine Rente von weniger als 1.000 Euro im Monat. Damit sind die nach außen getragenen Zahlen der Bundesregierung über den angeblichen Wohlstand der heutigen Rentnergeneration Makulatur.

Besonders beunruhigend ist, dass sich die Zahl der Rentner, die auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind, mit rasanter Geschwindigkeit erhöht. Allein von 2003 bis 2005 ist ihre Zahl um mehr als 20 Prozent gestiegen. Rechnet man die dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen hinzu, hat sich die Gesamtzahl der Grundsicherungsempfänger zwischen 2003 und 2005 fast verdoppelt. Auch 2006 und 2007 sind weiter erhebliche Steigerungsraten zu verzeichnen. Und es kommt noch schlimmer: Mit der Rentenreform von 2001 wurde das Rentenniveau der gesetzlichen Rente bis zum Jahr 2030 spürbar abgesenkt. Die Rente wird damit in Zukunft lediglich eine Existenzsicherung darstellen. Die Maßnahmen des Gesetzgebers führen dazu, dass künftig ein Durchschnittsverdiener rund 37 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben muss, um eine Rente knapp über dem Armutsniveau zu erhalten. Bei einem Lohnniveau von zirka 80 Prozent des Durchschnittslohns werden sogar 45 Beitragsjahre erforderlich sein, um eine Rente knapp oberhalb des Grundsicherungsniveaus zu erreichen. Zu beachten ist auch, dass Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie seit 2005 auch die Einkommensteuer die Rente nochmals schmälern.

Klar, dass das einen Peer Steinbrück nicht anficht. Wer selber so gut versorgt ist, kann sich wahrscheinlich die Sorgen und Nöte der von existentieller Armut betroffenen alten Menschen nicht vorstellen. Leider zeigt sich hier wieder einmal: Die Schwächsten gehen bei uns leer aus, denn sie haben keine Lobby. Alte Menschen und Kinder, vor allem bedürftige Senioren und arme Kinder, interessieren die Politiker hierzulande nicht.

LEHRBEISPIEL: HARTZ IV FÜR KINDER

Wie sehr diese Aussage leider zutrifft, zeigt sich auch an dem folgenden, besonders traurigen Beispiel: Mit Einführung von Hartz IV im Januar 2005 kürzten SPD, Grüne sowie CDU/CSU und FDP den Regelsatz von Schulkindern unter 14 auf das Niveau von Säuglingen. Auch der Regelsatz der Jugendlichen von 14 bis 17 wurde um über 11 Prozent auf das Niveau des Regelsatzes von erwachsenen Haushaltsangehörigen abgesenkt. Wie Rainer Roth vom Erwerbslosenforum Deutschland zu Recht anmerkt, bedeutete die Kürzung, dass die herrschenden Parteien ab dem Schulalter biologische Grundbedürfnisse von Kindern, d.h. ihren Wachstumsbedarf, nicht mehr anerkannten. Die alte Sozialhilfe hatte Schulkindern unter 14 Jahren und Jugendlichen noch höhere Beträge zuerkannt. Hartz IV beseitigte das.

SPD, Grüne und CDU/CSU rechtfertigten, wie Rainer Roth weiter ausführt, die Aberkennung biologischer Grundbedürfnisse mit haltlosen Behauptungen. Das sei „gerecht“ und „wissenschaftlich“, würde dem „soziokulturellen Existenzminimum“ entsprechen, würde den Bedarf decken und müsste von den Eltern eben durch Einsparungen bei anderen Ausgaben ausgeglichen werden.

Anfang 2008 bildete sich ein Bündnis gegen Kinderarmut durch Hartz IV, bestehend aus dem Aktionsbündnis Sozialproteste, dem Arbeitslosenverband, dem Erwerbslosenforum Deutschland, dem Rhein-Main-Bündnis und dem Verein „Tacheles“, der sich für die Rechte sozial Benachteiligter und Arbeitsloser einsetzt. Das Bündnis fordert die sofortige Rücknahme der Kürzung der Regelsätze von Kindern ab dem Schulalter. Und es hat im Juni 2008 allen Bundestagsabgeordneten aus CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen die Frage gestellt, warum sie Kindern ab dem Schulalter mit Hartz IV den Wachstumsbedarf aberkannt haben. Es forderte sie auf, sich für die sofortige Rücknahme der Kürzungen einzusetzen. Antworten kamen unter anderem von Merkel, Pofalla (CDU), Seehofer, Singhammer (CSU), Oppermann (SPD), Niebel (FDP), Kurth, Künast (Grüne). Niemand war bereit, sich für die sofortige Rücknahme der Kürzungen bei Schulkindern aus Armutsfamilien einzusetzen. Indirekt wurde die Kürzung gerechtfertigt als Beitrag, „Familien (zu) stärken und ihnen mehr Freiheit (zu) geben, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben organisieren“ (Pofalla), „allen Kindern gleiche Teilhabechancen zu ermöglichen“ (Oppermann), und als „Anreiz, durch Arbeit eigenes Einkommen zu erwirtschaften“ (Niebel). Und bei links stehenden Menschen war, wie Rainer Roth ausführt, die Haltung weit verbreitet, dass es sich nicht lohne, für die Rücknahme einer monatlichen Kürzung von 35 Euro bei Kindern zu kämpfen. Die Medien wiederum wollten die Aberkennung des Wachstumsbedarfs von Kindern durch die herrschenden Parteien nicht zum Thema machen.

WACHSTUM DER WIRTSCHAFT, NICHT DER KINDER

Im Januar 2009 gaben CDU/CSU und SPD schließlich doch nach und nahmen die Kürzung bei Schulkindern unter 14 weitgehend zurück. Etwa zur gleichen Zeit entschied das Bundessozialgericht, dass die geltenden Hartz-IV Sätze für Kinder verfassungswidrig sind. Infolgedessen erhalten seit dem 1. Juli Kinder zwischen 6 und 13 Jahren nunmehr monatlich 246 Euro anstelle bisher 211 Euro. Allerdings – und das ist ein echter Skandal - wurde der Regelsatz nicht angehoben, um das Wachstum von Kindern zu fördern. Vielmehr sollte diese Maßnahme als Teil des Konjunkturpakets II ausschließlich das Wachstum (und die Renditen) der Wirtschaft fördern. Deshalb wurde sie auch bis 2011 befristet. Der Wachstumsbedarf von Kindern ist aber im Gegensatz zur gegenwärtigen Krise nicht befristet,

Nach wie vor hält die Bundesregierung die Kürzung des Regelsatzes von Jugendlichen auf den von erwachsenen Haushaltsangehörigen aufrecht. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung haben Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren einen durchschnittlichen Kalorienbedarf von 2.700 kcal, Erwachsene aber nur von 2.200 kcal. Dieser Aufbaubedarf rechtfertigt, wie in der früheren Sozialhilfe anerkannt, einen höheren Regelsatz als den von erwachsenen Haushaltsangehörigen. Das wird von der Bundesregierung weiterhin abgestritten. Familienministerin von der Leyen gab als Begründung für die Kürzung an, mit höheren Kinderregelsätzen „würde Armut zementiert, weil der Anreiz fehle, Arbeit aufzunehmen“. Die Anerkennung des Wachstumsbedarfs von Jugendlichen fördert also angeblich die Faulheit der Eltern und der Jugendlichen selbst. In Wahrheit steigt die Arbeitslosigkeit, weil bestimmte Drahtzieher eine Finanzkrise vom Zaun gebrochen haben – und nicht, weil es den Kindern hierzulande zu gut ginge.

Dr. Petersen


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