Das Erschrecken eigener Erkenntnis oder, die schreckliche Erfahrung einer deutschen Nachgeburt

Das Erschrecken eigener Erkenntnis
oder, die schreckliche Erfahrung einer deutschen Nachgeburt

Oeversee, 19.06.2009

VD-N Betrachtungen

Arthur Schlesinger, ehemaliger Berater von Präsident John F. Kennedy definierte einen Intellektuellen im Gegensatz zur deutschen Auffassung eines Studierten mit möglichst einem Dr.-Titel als einen Menschen, der, auch ohne das Thema studiert zu haben, die Fähigkeit besitze, ein Thema, das er neu erführe, zu durchdenken, zu verstehen und darüber mitreden zu können.

In diesem Sinne erschrecke ich als vor mir selbst, da ich nach deutschem Verständnis als Autodidakt mit geschichtlicher Neigung, eben kein Intellektueller bin. Dennoch fühle ich mich berufen, aufgrund des permanenten Verstehens von Dingen, die ich nicht verstehen dürfte, mit zu reden. Mit zu reden bei Denen, die sich berufen fühlen, die deutsche und europäische Geschichte als Privileg ihrer Klasse, in alleiniger Berufung behandeln und beurteilen zu dürfen. Gewissermaßen als Prophet des privilegierten Anspruches von Wahrheitsfindung.

Nie wieder Krieg war auf die Fahnen der Kriegsnachfolgegeneration aller Deutschen wie Europäer geschrieben in dem Urerlebnis der Verwerfungen des Kontinentes aufgrund eines Krieges „mit vielen Vätern“. Heute ist es unbestritten, daß dieser Krieg auch ohne die Nationalsozialisten und Adolf Hilters um Deutschland hervorgegangen wäre. Also Fortsetzung des ersten Waffenganges gegen das Deutsche Reich aus einer Konkurrenzplanung der angelsächsischen Weltwirtschaftsvormachtstellung heraus, die es nicht zulassen wollten, das die deutschen Länder, die so über Jahrhunderte in der Mitte Europas Spielball der Fürstenhäuer der etablierten Nationalstaaten als Folge der Veränderung Europas nach dem Zusammenbruch des römischen Imperiums, wie der Auflösung des römisch-katholischen Reiches deutscher Nation, die Nachfolge antrat. Diese angelsächsische Vormachtstellung in der Welt und Europa unter der Flagge des British Empire, das trotz seiner Differenz mit den USA und eines Freiheitskrieges, den die Deutschen für die USA (von Steuben) gegen Groß Britannien mit entschieden, beließ jedoch die USA in Verbindung mit Kanada, das, auch wenn Quebec als französische Enklave vorhanden war, im Freundeskreis von Groß Britannien. Auch deshalb, weil die englischen Interessen, deren Herkunft, Tradition wie auch Wirtschaftsgrundlagen, eben der neuen Länder, entsprach. Groß Britanniens Empire Zenit war bereits überschritten, als das deutsche Reich antrat, seinen Nationalstaat zu bilden und am Vorbild Preußens eine Gerechtigkeit und Werthaltigkeit des Systems zu etablieren, das nun nicht mehr von den anderen europäischen Mächten, als willfähriger Spielball genutzt werden konnte. Noch Napoleon sagte einst, „die Deutschen sind Gutgläubige, die man aufeinander hetzen könne um sich gegenseitig totzuschießen, stelle man nur den richtigen Mann an die Spitze der ihnen den Befehl dazu gäbe“ (frei zitiert)

Das war nun unter Führung der Preußen und eines Bismarcks vorbei. Und diese Einigung des deutschen Reiches in der Gunst der Stunde in Frankreichs Versailles durch Bismarck ausgerufen, wissend, das es eine schwere Bürde würde, aber innenpolitisch eben so sein musste, führte dann ja auch zu einem für die angelsächsische Macht spürbar zur Konkurrenz. Schon in kurzer Zeit überholten die Deutschen des Reiches unter Führung von Bismarck und den ersten zwei Kaisern, Wilhelm den I. und Kaiser Friedrich, der leider zu früh verstarb, Groß Britannien in der Wirtschafts- und Erfinderleistung, sowie der Industrialiserung. Erst Wilhelm der II., der sich dann als deutschnationaler Großprotz und Elefant im Protzelanladen erwies und eine stümperhafte Politik einleitete ohne auf Bismarcks Diplomatiegeschick hören zu wollen, verspielte das Kapital deutscher Mittelmachtpolitik trotz familiärer Bande zu den europäischen Fürstenhäusern in Großbritannien und Russland.

Was danach kam, war eine kurze deutsche Geschichte, die den Deutschen ihr eigenes Bekenntnis zur Nation nachhaltig austrieb. Eben auch, weil vielleicht Napoleon die deutschen richtig beschrieb und ein Gefreiter aus Österreich intuitiv diesen Nerv aufgrund einer Weltwirtschaftskrise und eines Jochs von Kapitulationsbedingungen, begriff und für sich sinnvoll ein zu setzen vermochte. Und weil eben auch eine Wirtschaftsplanung der Industriellen in Deutschland in ihn ein kalkulierbares Risiko vermutete, das scheinbar beherrschbar sei, auch auf die Gefahr eines erneuten Waffenganges, den man ohnehin für unumgänglich hielt, um eben seine Marktstellung in der Welt zurück zu erkämpfen im wahrsten Sinne des Wortes.

Schauen wir uns nun die wirkliche Entwicklung an, die in englischen Strategiestuben über Europa ausgeheckt wurde um eine leidige Konkurrenz auszuschalten, so ist das Ausschalten voll und ganz im militärischen und nationalethischem Bereich in Erfüllung gegangen. Wirtschaftlich haben jedoch die Strategen in deutschen Wirtschaftkreisen obsiegt. Siehe Quandt, Krupp u. A., die nie von ihren Privilegien von Wirtschaftseinfluß wirklich erlöst wurden. Die deutsche Wirtschaft ist aus dem Kriege stärker denn je hervorgegangen. Denn die Schäden, die die deutsche Wirtschaft im Materiellen erlitten hat, ist durch Wiederaufbau auf Staatskosten und neuen Techniken der Wiederaufbauhilfe, mehr denn je in wirtschaftlichen Vorteil gewandelt, während die angelsächsischen Fabriken und Industrien, dem Fortschritt auf eigene Kosten hinterher laufen durften. Eine für wahr wohl durchdachte Wirtschaftskalkulation geografisch-strategischem Ausmaßes.

Ostpreußens landwirtschaftlichen östlichen Randgebiete waren schon während und nach dem ersten Weltkriege das Armenhaus Deutschlands. So gesehen, ist der Verlust der Länder psychologisch und mental vielleicht schmerzlich, wirtschaftlich gesehen, ist der Verlust jedoch leicht zu verkraften. Denn diese Länder werden von Russland weiter arm verwaltet. Und die Verschiebung der Polen in die deutschen Teilländer, ist für die dort angesiedelten Polen, die eben aus den noch östlicheren Gegenden kamen, wie ein Auswandern nach Paris gewesen. Auch so gesehen ist, trotz des Leides, das die Polen durch die SS in deutschem Namen erfuhren, ebenfalls ein Gewinn. Und vor allen Dingen schützt es Polen heute vor der Aufbereitung der eigentlichen Ursachen, die ohnehin mit Polen zum Kriege geführt hätten. Denn Polen wollte schon im Sommer 1939 wegen Danzig, im Gegensatz zu der Kommission, die die Kapitulationsbedingungen verwaltete, wo Polen sich eben in den vorsätzlichen Vertragsbruch begab und in völliger Fehleinschätzung der Wirklichkeit, mit Deutschland Krieg beginnen.

Diese Probleme von einst, wirken bis heute nach. Genauso die Wiederabtrennung von Österreich aus dem deutschen Reich des Gefreiten aus Braunau führte zu Ergebnissen, die gegen die eigentlichen Planungen und Rückführung deutsch-österreichischer Gebiete, bis heute nachwirken. Hier sei nur die Tirolfrage angesprochen, die erst mit der EU-Entwicklung entschärft werden konnte.

Selbst Elsass-Lothringen, als ehemals „für ewig bestehendes deutsches Reichsgebiet“ ist bis heute nicht eindeutig entschieden wenn auch im europäischem Kontext, diese Frage eigentlich nicht mehr hoch kochen sollte. Auch ist anzuerkennen, daß die Mehrheit der Bevölkerungen dieser Landesteile, sich heute eher zu Frankreich denn zu Deutschland bekennen würde. Aber auch das ist nicht unbedingt eindeutig, gibt es nach wie vor eine starke deutsche Gruppierung. Diese reicht selbst bis nach Belgien hinein, das, sollte es zerbrechen, in Teilen sich zu Deutschland bekennen könnte.

All diese Erkenntnisse und die Tatsache, das Erkenntnis manchmal auch zu Reife beiträgt, hat zu Einsicht geführt, daß Deutschland in der Mitte Europas, wie Helmut Schmidt es seinen SPD-Technokraten ins Stammbuch schrieb, nun einmal von neun Grenzen umgeben ist und die Deutschen mögen sich doch mehr um Ihre Nachbarn kümmern, denn um die Welt. Das bedeutet übersetzt, die deutsche Frage ist ungelöst und harrt der Auflösung. Und diese Auflösung ist in Europa nach wie vor nicht gesichert. Denn Europa hat einen entscheidenden Schönheitsfehler.

Europa setzt sich zusammen aus dem Weströmischen Überbleibsel und dem Oströmischen Überbleibsel. Dieses Osteuropäische Überbleibsel umfasst im Wesentlichen die so genannten romanischen Länder, wie Moldawien, Georgien, Rumänien, Bulgarien, Belorussland, Russland, Ukraine und in Teilen Polen und Slowenien. Die Balkanländer sind nach wie vor geteilt, wie gerade neuzeitlich erlebt.

Demgegenüber stehen die weströmischen Nachfolgegebiete des ehemaligen Nerowingergebietes, das über Paris und Karl dem Großen als katholisch-römisches Reich deutscher Nation dann Frankreich ausbildete, Spanien ohnehin schon zu römischen Zeiten ein eigenes Gebilde darstellte, Portugal als Küstenstreifen erst später Bedeutung erlangte, und als Schmelztiegel beider Europateile immer schon Konstantinopel mit Griechenland stand, das ja so vom osmanischen Reich vor und nach Christi-Zeitrechnung, immer ein Brückenkopf und Zankapfel bildete.

Diese Teilungen und Traditionen wirken bis heute nach. So sind die Annäherungen der befreiten osteuropäischen Gebiete nach Auflösung des Stalinreiches, in Nachwirkung der Blockbildung und Weltkonkurrenz zwischen Russland und den USA heute, diese Länder zwar in den Schoß der EU und bei genauem Hinsehen der NATO eingekrochen, es fehlt jedoch die innere Verbundenheit. Diese Zweckdienlichkeit ohne mentale Tiefe wird jedoch den Tod der europäischen Einigung beinhalten und die EU wird bestenfalls eine offene Handelsgesellschaft bleiben können. Diese wir sich in neue Blockbildungen auflösen, wie von Prof. Peter Glotz kurz vor seinem Tode so treffliche beschrieben.

Es bleiben eigentlich nur noch folgende Konstellationen übrig und die Vision Putin könnte doch noch Wirklichkeit werden. Nämlich die Vision, Russland als europäische Macht mit eurasischer Ausrichtung zu etablieren, Russland an Europa heranzuführen, mit Europa Russlands Hinterland in die Moderne zu führen und Europa Rohstoffsicherheit und militärische Sicherheit zu geben, was die USA auf Dauer eben nicht vermögen. Da sind Engagements und Ausrichtungen der USA gefragt, die schon heute in den pazifischen Raum und nach Südamerika weisen. Das heißt, eine Entlastung ohne Bruch zu Amerika ist unausweislich. Und hinter dieser Entwicklung, die Herr Putin sehr wohl begriffen hat, steht die Loslösung Deutschlands auf dem Speiseplan weltstrategischer Überlegungen. Denn gestützt auf die Haager Landkriegsordnung hat Herr Putin ein Faustpfand in der Hand, mit der er im Handstreich durch Anbietung der Lösung der deutschen Frage und der deutschen Ostgebiete unter sanftem Druck Polen gegenüber, hier eine einvernehmlichen Regelung erzielen kann, die eine Wiederholung der Danzigkrise aus den Jahren 1932 bis 1939, eben vermeiden hilft. Schon hinter diesem Hintergrund ist auch die Ostseepipeline zu verstehen, die von den Polen nicht zu unrecht, kritisiert wurde.

Weiterhin sieht Herr Putin eben auch die Entwicklung einer Erstarkung der Turkvölker unter Führung der Türkei in wirtschaftlicher Anbindung an Europa durch den Brückenkopf in Griechenland, was Russland zwingt, hier eine offene Politik unter Einbindung und Berücksichtigung eurasischer Politik und Bedürftigkeiten wie Begehrlichkeiten der betreffenden Länder, einzukalkulieren. Nicht umsonst steht Russland zwischen den USA, Europa und der NATO in Fragen der Bewertung des Iran. Gleichzeitig greift das auf den ganzen vordern Orient durch, was wiederum Auswirkungen auf die Stellung Israels hat, was wiederum auf Gedeih und Verderb mit Deutschland und Europa, verbunden und geschützt ist.

Dieser Knoten läßt sich eben für Deutschland und Europa nur über die Karte Russland befrieden, jedoch nicht durch die USA. Trotz eines Herrn Obama. Denn der stolze vordere Orient und die Muslime, die eben eine Kulturhoheit hatten, die der Entwicklung des Okzidents weit überlegen war, leiden eben darunter, daß Sie nun hinten an stehen und immer hinten anstehen werden, da ihnen schlicht außer vorübergehendes Öl, schlicht die Recourssen fehlen, hier Schritt zu halten. Ihre Stärke wird also woanders liegen müssen. Z.B. in dem Geld das sie heute verdienen und wieder Handelsmittelpunkt zwischen Asien und Europa werden und so ihre Kulturhoheit bewahren und weiter zur neuen Blüte und Bereicherung für die Welt, führen können. Jedoch wird das ohne Reform des Islam und der gesellschaftlichen Strukturen auf Dauer nicht gehen können.

Aus all diesen Erwägungen und Einsichten, ist aus einem strammen Europäer, der den europäischen Nationalstaat nach wie vor als historischen Anachronismus ansieht und begreift, ein Deutschnationaler geworden im aufgeklärten Sinne. D.h., man kann sich trotz der Betroffenheit der eigenen Geschichte, wieder als Deutscher bekennen und für Deutschland eintreten. Denn es ist doch so. Das ewige Verneinen des eigenen Selbst bis zur Selbstverleugnung führt nur zu Neurosen. Und diese Neurosen hat heute Niemand mehr nötig. Denn wir leben in einem relativ aufgeklärtem Zeitalter, wo die Erfahrung der schlimmen Waffengänge eines Krieges, das unsere Väter und Vorväter zu verantworten hatten, Europa heute einigungsfähig gemacht hat. Einigungsfähig in einem Sinne, der nicht unbedingt in einer europäischen Nationalstaatlichkeit als Ersatz der Nationen einmünden muß, sondern in einem doppelten Verständnis zur eigenen Nation in Europa. Und was für ein Gebilde da letztendlich bei herauskommt und wie man diese neue Form eines politischen Gebildes dann auch immer nennen möge, ist unbenommen. Entscheidend ist nur die Erkenntnis der Überlebensfähigkeit der europäischen Völker und Nationen, die nur in der Besinnung auf sich selbst und damit auch auf Europa, gewissermaßen in einem doppelten Zugehörigkeits- und Schicksalsgefühl, sich ihre neue Zukunft suchen können. Tun sie dieses nicht, wird Europa untergehen wie einst Griechenland zu Rom. Und dieses neue Rom wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht Marakesch, Paris, London, Stockholm, oder Washington heißen.


Über Rainer Kaltenböck-Karow