Federn und federn lassen

Optimal justiert sind Federungen am Fahrrad eine feine Sache. Der pressedienst-fahrrad erklärt, was es dabei zu beachten gibt und wie die Einstellung funktioniert.

Komfort beim Radfahren steht hoch im Kurs: Die meisten Trekking-, Alltags- und Reiseräder werden mit einer Federung verkauft – Mountainbikes sowieso. Sei es, um bei schneller Geländefahrt optimale Bodenhaftung und Traktion zu erreichen; sei es, um im Stadtverkehr auch mal ein Schlagloch oder eine Bordsteinkante mitnehmen zu können. Immer wieder kommt es jedoch vor, dass die Federung nicht den gewünschten Effekt hat – man spürt die Federung gar nicht oder überfordert sie schon bei kleinsten Unebenheiten. Was ist da bloß passiert?
„Wer ein Fahrrad erwirbt, kann optimale Funktion der Federung nur erwarten, wenn Gabel und Hinterbaudämpfer von vornherein professionell auf Fahrer und Einsatzzweck abgestimmt wurden“, erklärt Dirk Belling vom Federungs-Spezialisten RockShox (www.rockshox.de). Das beginnt bei der Wahl des Federwegs: Einfache Gabeln fürs Tourenrad weisen teilweise nur drei Zentimeter Einfederung auf, am Downhill-Bike können es schon mal 25 cm sein. Während mancher beim Brötchenholen schon für die Minimal-Federung auf den Bordstein dankbar ist, stellen Profi-Biker hohe Ansprüche ans Ein- und Ausfederungsverhalten ihrer Dämpfungselemente.

Kleine Kinder federn schlecht
„Wichtig ist erst einmal das Körpergewicht“, erläutert Mario Moeschler vom Mountainbike-Hersteller Haibike (www.haibike.de). „Die Federung darf natürlich nicht so hart sein, dass die Kraft, die zu ihrer Aktivierung notwendig ist, größer ist als die Gewichtskraft des Fahrers.“ Beispiel Kinderrad: Hier kommen oft genug extrem einfache Federgabeln zum Einsatz, deren innere Reibung so groß ist, dass sie kein bisschen nachgeben – es sei denn, Papa setzt sich drauf. „Deshalb verbauen wir überhaupt keine Federgabeln“, erklärt Ralf Puslat vom Kinderradhersteller Puky (www.puky.de).

Negativfederweg
Als Indikator dafür, dass die Federung richtig eingestellt ist, dient der Negativfederweg (englisch: „Sag“). Das Fahrergewicht muss die Federung um einen bestimmten Prozentsatz zusammendrücken, der je nach Fahrradtyp variiert – beim Cross-Country-Rennmountainbike sind es zehn bis 15 Prozent, beim langhubigen Downhillbike über 30 Prozent. Der Negativfederweg hat verschiedene Aufgaben: Beim Fahren durch Schlaglöcher sorgt er dafür, dass die Gabel binnen Bruchteilen einer Sekunde durch Ausfedern das Schlagloch ausgleicht, der Fahrer gleitet mit einem seichten Absacken über das Loch hinweg. Je mehr Federweg und Negativfederweg eine Gabel ausweist, desto besser wirkt dieser Effekt.
Zum anderen sorgt der „Sag“ dafür, dass der Gesamtfederweg überhaupt ausgenutzt werden kann – „auf schweren Strecken durchaus so weit, dass die Federelemente auch mal durchschlagen“, so Haibike-Teamfahrerin Elisabeth Brandau.

Einfache Einstellung
Um den Negativfederweg einzustellen, braucht es nur einen Zollstock und einen Kabelbinder. Am hinteren Dämpfer eines vollgefederten Fahrrades übernimmt ein auf dem Dämpferkolben sitzender O-Ring die Aufgabe des Kabelbinders. Und so wird’s gemacht: Man schiebt Kabelbinder beziehungsweise O-Ring im ausgefederten Zustand ganz nach unten, also dahin, wo das Standrohr der Gabel ins Tauchrohr beziehungsweise der Dämpferkolben in den Dämpfer gleitet. Setzt man sich nun aufs Rad, werden Kabelbinder bzw. Ring durch das Eintauchen verschoben. Steigt man ab, federt das Element wieder aus; der Weg, um den sich unsere Messfühler nach oben geschoben haben, ist der Negativfederweg. Nun muss man nur noch den Gesamtfederweg kennen, den man der Produktbeschreibung entnimmt, oder auf die oben beschriebene Weise ermitteln kann – indem man Gabel oder Dämpfer mehrfach mit vollem Gewicht einfedert. Mit Kenntnis dieser beiden Werte lässt sich der Federdruck mittels einer Dämpferpumpe jetzt passend einstellen.
Bike-Profis wie die Haibike-Teamfahrer erwarten von ihrer Federung deutlich mehr Einstellungsmöglichkeiten; für sie ist zusätzlich die Zugstufe wichtig, mit der das Ausfederungsverhalten kontrolliert wird. Von hier an wird’s dann richtig kompliziert: Bei manchen Gabeln und Dämpfern lassen sich auch die Progression (die Veränderung der Federhärte während des Einfederns) und das Losbrechmoment einstellen. Doch um hier Unterschiede wahrzunehmen, muss man schon sehr erfahren sein.

Der Komfort zählt
„Am Alltags- und Reiserad ist der Negativfederweg ebenso wie die Federvorspannung vor allem eine Sache des individuellen Komfortbedürfnisses“, erklärt Heiko Müller von riese und müller, einem führenden Hersteller voll gefederter Alltags- und Reiseräder (www.r-m.de). „Um die 25 Prozent liegt hier der Richtwert für den Negativfederweg“, so der Ingenieur. „Besonders wichtig ist natürlich, ein Reiserad nach dem Beladen an das höhere Gesamtgewicht anzupassen“, erklärt Müller. Kritisch sieht er die Verwendung einfachster Federgabeln an vielen Trekkingrädern. „Bei vielen Modellen gibt es nicht einmal eine funktionierende Federvorspannung, gleichzeitig ist der tatsächliche Federweg minimal und das Losbrechmoment hoch.“ Solche Gabeln federn mit ihren drei bis fünf Zentimetern allenfalls gröbste Stöße ab. Da sie keine Zugstufendämpfung besitzen, die das Ausfedern kontrolliert, knallen sie dabei häufig mit lautem Klacken in ihren Anschlag. Das Darmstädter Unternehmen bietet Reise- und Stadträder ausschließlich voll gefedert und mit 26-Zoll-Laufrädern an. „Ein Hauptgrund dafür ist, dass mit dieser Rad-Größe der optimale Querschnitt aus Fahrdynamik, Geometrie und Ergonomie erreicht werden kann“, erklärt Müller. Besonders durch die Produktvielfalt bei den
Mountainbikes sind Federgabeln für 26-Zoll-Räder in größerer Auswahl und besserer Qualität zu erhalten.“

Stützen, die federn
Vor mehreren Jahren lagen voll gefederte Trekkingräder noch voll im Trend, doch inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass nur Spezialhersteller wie riese und müller mit durchaus hochpreisigen Produkten auf dem Markt bestehen können. Das Standard-Trekkingrad der Gegenwart weist keinen gefederten Hinterbau mehr auf, sondern ist zwecks Komfortgewinn mit einer Federsattelstütze ausgerüstet. „Wer eine Federstütze nachrüstet, sollte auf Qualität achten“, rät Rolf Häcker, Entwickler beim Komponentenhersteller Humpert (www.humpert.com). Einfache Modelle würden aufgrund der hohen inneren Reibung und oftmals schlechten Lagerführung oft nicht sinnvoll funktionieren, erklärt Häcker. „Oder das Spiel der Gleitlagerung ist so groß, dass die Stütze bei jedem Pedaltritt hin und her wackelt und irgendwann verkantet.“ Er empfiehlt 20 Prozent Negativfederweg für die Federstütze; ideal sind Exemplare mit austauschbaren Elastomer-Einsätzen, die durch unterschiedliche Härtegrade genau aufs Körpergewicht des Nutzers abgestimmt werden können. „Ein Modell wie die X-Act SP 9.0 stellt ihre 40 mm Federweg dann wirklich allen Nutzern zur Verfügung“, so Häcker.

Zu viel Technik, das alles?
Wer dem Thema Federtechnik skeptisch gegenübersteht, kann natürlich auch auf simplere Weise Komfort gewinnen. Eine Luftfederung der besonderen Art bietet Reifenproduzent Schwalbe (www.schwalbe.com) mit dem Big Apple an, einem leicht laufenden Ballonreifen in 50 oder 60 mm Breite. „Der passt zwar nicht in jedes Rad, doch bieten zahlreiche Hersteller auf die dicken Reifen hin optimierte Modelle“, erklärt Carsten Zahn von Schwalbe.
Aus gutem Grunde lege man beispielsweise beim Fahrradhersteller Utopia (www.utopia-fahrrad.de) alle Rahmen für die fetten Reifen aus, erklärt Geschäftsführer Ralf Klagges. „Kombiniert man die flexiblen Eigenschaften von hochwertigen Stahlrahmen mit den dicken Reifen, erreicht man einen Fahrkomfort, der durch geringes Systemgewicht, wenig Wartungsbedarf und hoch dynamisches Ansprechverhalten punktet.“ So bewege sich eine gute starre Stahlgabel horizontal bis zu vier Zentimeter, erklärt Klagges, dämpfe also frontale Schläge und solche von schräg unten, wie sie etwa durch kleine Stufen verursacht werden. „Gerade für unsere Klasse der Genuss-Reise- und -Stadträder halte ich den Ballonreifen für die ideale Federung“, so Klagges weiter – „und eine einfache Luftpumpe reicht, um sie einzustellen.“
Dem entgegnet Heiko Müller, dass neben dem Komfort auch fahrdynamische Aspekte beachtet werden müssten und „nur eine Vollfederung maximale Fahrsicherheit bietet. Schließlich sind Formel 1 Autos nicht gefedert, um es dem Fahrer bequem zu machen, sondern um sicher hohes Tempo zu fahren.“
Für den Fachjournalisten Caspar Gebel schließt sich hier der Kreis: „Auch bei technischen Themen wie der Federung gibt es keine für alle Radler verbindliche Empfehlung. Federung und Fahrrad kann man durchaus philosophisch betrachten. Fakt bleibt aber: Ohne richtige Einstellung bleibt die beste Federung unter ihren Möglichkeiten!“


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