Macht Mädchen mobil!
Pressetext verfasst von pd-f am Do, 2009-03-19 11:18.[pd-f] Keinesfalls nur ein Vorurteil: Mädchen bekommen rosa Räder mit Stützrädern und Rücktritt geschenkt und verlieren mit der Zeit das Interesse am Radfahren. So pauschal das Urteil klingt, die Forschung bestätigt es: Das Fahrrad wird hauptsächlich für Jungen vom Spielzeug zum Hobby. Während 72 Prozent der Jungen zwischen 10 und 19 Jahren laut einer Studie der Zeitschrift „Bravo“ aus dem Jahr 2003 Fahrradfahren zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählten, taten dies nur 48 Prozent der Mädchen. Ist das unveränderliche Veranlagung?
Mitnichten. Das Fahrrad ist für Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts nicht nur Spielzeug und Verkehrsmittel – sondern Schlüssel zur Mobilität, die wiederum essentiell für das Erlernen wichtiger Fähigkeiten und Entwicklungen wie Geschicklichkeit und Körpererfahrung/-gefühl ist, fasst Prof. Dr. Christine Ahrend, Verkehrsforscherin an der TU Berlin, zusammen. Laut Ahrend gestalten Mädchen und Jungen ihre Inanspruchnahme des öffentlichen Raumes („home range“) bis etwa zum Grundschulalter gleich. Ab dem Alter von acht Jahren aber entwickeln sich stark geschlechtsspezifische Unterschiede: Während Jungen ihren öffentlichen Aktivitätsradius stetig und intensiv vergrößern, „verharren Mädchen auf dem Mobilitätsniveau, das sie mit acht Jahren erreichen“, zitiert Ahrend die Professorin Dr. Brigitte Wehland-Rauschenbach in ihrer Dissertation (2000).
Erst das Dreirad – dann Dakar
Mobile Mädchen sind die Ausnahme. Bestes Beispiel dafür ist Rallyefahrerin Jutta Kleinschmidt (bis dato einzige Gewinnerin der Rallye Dakar): „Schon als kleines Mädchen bin ich gerne mit den Jungs um die Wette gefahren, zum Beispiel mit dem Fahrrad.“ Dabei habe sie sich nicht vorschreiben lassen, was ein Mädchen zu tun oder zu lassen hat. Kleinschmidt sieht einen Zusammenhang von Dreirad und Rallye-Boliden: „Ich konnte in der Männerdomäne Motorsport nur deshalb Karriere machen, weil ich sehr früh gelernt habe, meine Rolle und Mobilität klar selbst zu bestimmen und auch zu behaupten.“ Kleinschmidts Haltung zu Mobilität und Selbstbestimmung deckt sich mit der wissenschaftlichen Erkenntnis zur Tragweite kindlicher Mobilität: Eingeschränkte Mobilität wirkt sich nach derzeitigem Forschungsstand defizitär auf die Identitätsbildung und die Handlungskompetenz der Mädchen (und damit späteren Frauen) im öffentlichen Raum aus. Als mögliche Folgen dieses Defizits nennen Psychologen Verinselung, Verhäuslichung und Institutionalisierung.
Mehr Meter – mehr Mut!
Die Betreiberin der Bonner Fahrradschule Lilo Franzen (www.lilofranzen.de) hat eine Erklärung für die unterschiedliche Entwicklung des „home range“. Mädchen reifen ab dem Grundschulalter schneller als Jungen und haben mehr Erfolg im Schulsystem, erklärt die studierte Biologin. Mädchen erhielten Anerkennung für Tätigkeiten wie Malen und Schreiben, beschäftigten sich daher auch intensiver am Schreibtisch. Bei Jungen verhalte sich das umgekehrt: Sie hätten weniger Erfolg und würden daher eher die „Flucht nach draußen“ antreten. Franzen fordert: Man muss allen Kindern vielfältige Mobilitätserfahrungen anbieten und ermöglichen. „Weder Jungen noch Mädchen dürfen in ihrer Mobilität aufgrund der elterlichen Angst vor verschmutzter Kleidung oder kleineren Schürfwunden über Gebühr eingeschränkt werden.“
Lust auf Freiheit
Mobilitätserfahrungen betreffen nicht nur Sport und Wettkampf – es geht um Alltag, Freiheit, Unabhängigkeit – und den Spaß daran. Schauspielerin Wolke Hegenbarth gab im Interview mit der Zeitschrift Brigitte Balance (Ausgabe 1/09) an, am liebsten mit ihrem Faltrad durch Köln zu radeln. „Mit meinem Rad fühle ich mich so schön unabhängig. Ich muss nicht warten, sondern kann selbst entschieden, wann ich wo sein will, ob ich schneller oder langsamer fahre.“ Dabei verlässt sie auch einmal die eigene Komfortzone: „Ich bin Lustmensch. Wenn‘s Spaß macht, darf‘s auch mal weh tun“, erklärt das Vorbild vieler Mädchen. Auf die Frage, was sie denn mit dem Rad bei Regen tue, antwortet sie eloquent: „Regencape! Da bin ich schmerzfrei. Ich fahre auch bei null Grad. Wenn alle Sommer-Radfahrer ihre Räder schon wieder einpacken, pack‘ ich die Lederfäustlinge aus und schwing mich in den Sattel. Ich mag dieses Gefühl einfach zu gern: sich die Luft um die Nase wehen zu lassen und schnell wie der Wind zu sein.“
Ja zu unterschiedlichen Farben, nein zu unterschiedlichen Freiheiten
„Die Kunst ist es, den Kindern Freiräume für Erfahrungen zu lassen, ohne sie großen Gefahren auszusetzen“, so Franzen. „Sie müssen die Chance bekommen, herauszufinden was ihnen Spaß macht. Neben einem geeigneten Umfeld gehört dazu auch das richtige Fahrzeug.“ Die Industrie bietet mittlerweile für jede Entwicklungsstufe des Kindes ergonomisch und kognitiv sinnvolle Fahr- und Spielzeuge an. Bestes Beispiel dafür ist das neue Pukylino (39,90 Euro) des Kinderfahrzeugherstellers Puky (www.puky.de): Es eignet sich für Kinder ab ca. einem Jahr und ist damit die Vorstufe zum „wichtigen Laufrad“ (Franzen). Ralf Puslat, Puky-Geschäftsführer: „Jedes Kind greift fast instinktiv zu jenem Fahrzeug, das seinem Entwicklungsstand entspricht. Eltern sollten dies spielerisch aufgreifen und Betätigungs-Neigungen ihrer Kinder unterstützen.“ Es empfiehlt sich hier nicht, „zwischen Jungen und Mädchen zu unterscheiden; höchstens bei der Farbe, jedoch nicht bei der Bewegungsfreiheit!“
Einmal mehr bestätigt sich auch hier die These, dass Material-Qualität und Fahrfreude unmittelbar miteinander verbunden sind. So schwingt sich Wolke Hegenbarth zum Beispiel nicht in den Sattel eines rostigen alten Klapprades, sondern pedaliert mit einem modernen voll gefederten und leichten Birdy-Faltrad der Darmstädter Firma riese und müller (www.r-m.de) durch Köln.
Optionen schaffen statt Druckaufbau
Angebote statt Forderungen stellen, lautet das Credo. Lilo Franzen erklärt weiter: „Viele Eltern haben klare Vorstellungen, in welchem Alter ihr Kind was können muss. Oft reagieren sie gekränkt, wenn das Kind diesen Benchmarks nicht nachkommt. Das ist ein grundfalscher Ansatz; nur individuelle Beobachtung und Behandlung wird dem Kind und seiner Entwicklung gerecht.“ Ein generalisierter Anspruch verursache oft eine Überschätzung und Überforderung des Kindes. Mädchen hätten ein stärkeres Bedürfnis als Jungen, zu gefallen. Hier führt Überforderung schnell zu Tränen.
Übrigens ist Jutta Kleinschmidt noch heute mit dem Fahrrad unterwegs und immer noch voll auf einer Höhe mit dem anderen Geschlecht: 2004 fuhr sie das Race Across America (RAAM), ein Rennen über 5.000 km quer durch die USA. „Hierfür braucht man natürlich ‘ne Menge Selbstbewusstsein – und genau das gilt es ganz besonders bei Mädchen zu fördern“ erklärt Kleinschmidt gegenüber dem pressedienst-fahrrad und redet Eltern ins Gewissen: „Die Begeisterung eines Kindes ist das Wichtigste, was Eltern fördern können“, erklärte die Abenteurerin.
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