EU-Polizeidaten für die USA

Quelle: http://www.3mind.info/?q=node/511

Deutsche Polizeidaten für die USA

Die Bundesrepublik Deutschland und die USA schließen ein Abkommen über den Austausch von Daten aus Polizeidatenbanken. Vorbild dafür ist der Vertrag von Prüm, dem auch Österreich angehört. Die USA und Deutschland sehen den Vertrag als Pilotprojekt. Auch andere EU-Staaten sollten schon bald entsprechende Abkommen mit den USA abschließen.
Am Dienstag unterzeichnen Deutschland und die USA ein bilaterales Abkommen, das nach dem Vorbild des Vertrags von Prüm [2005] gestaltet ist. Dieser Vertrag regelt unter anderem den gegenseitigen Zugriff der Behörden auf Informationen aus DNA- und Fingerabdruck-Datenbanken. Ziel des Abkommens sei es, die Bekämpfung von Terrororganisationen und Schwerverbrechern zu erleichtern.

Pilotcharakter für die ganze EU

Zur Paraphierung des Abkommens treffen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble [CDU] und Justizministerin Brigitte Zypries [SPD] mit ihren Amtskollegen in Berlin zusammen, dem US-Heimatschutzminister Michael Chertoff und dem US-Justizminister Michael Bernard Mukasey. Das Abkommen muss noch vom deutschen Bundestag ratifiziert werden. Dieses Abkommen ist das erste seiner Art, das ein "Prüm-Staat" mit den USA abschließt.
Schäuble sagte dem Berliner "Tagesspiegel", dass der Vertrag auch "Pilotcharakter" für die anderen EU-Staaten habe. Schäubles Innenministerium erarbeitet nun einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung des Abkommens in Deutschland. Ziel sei es, das Gesetz noch im laufenden Jahr in Kraft treten zu lassen. Justizministerin Zypries zufolge ist mit der Verabschiedung des Gesetzes aber erst 2009 zu rechnen. US-Heimatschutzminister Chertoff und US-Justizminister Mukasey begrüßten das Abkommen als wegweisend. Deutschland nehme damit eine Führungsrolle ein, sagte Chertoff bei der Paraphierung in Berlin.
Laut Mukasey werden mit anderen europäischen Ländern bereits Vorgespräche über eine ähnliche Regelung geführt. "Das ist ein wunderbares Modell", sagte er.

Vorerst nur deutsche Daten betroffen

Eine Sprecherin des deutschen Innenministeriums sagte auf Anfrage von ORF.at, dass sich das Abkommen ausschließlich auf den Datenaustausch zwischen Deutschland und den USA beziehe. Sie sagte, Daten aus österreichischen Systemen seien davon nicht betroffen. Allerdings können deutsche Behörden über das im Prümer Vertrag etablierte Verfahren Daten aus den Mitgliedsländern abrufen.
Deutschland und Österreich nehmen bei der polizeilichen Zusammenarbeit eine Vorreiterrolle ein. Seit Dezember 2006 tauschen die Behörden beider Länder Daten aus polizeilichen DNA-Datenbanken aus. Seit dem 4. Juni 2007 sind auch die Fingerabdruck-Datenbanken gemäß den Abmachungen im Prümer Vertrag vernetzt. Das wiederum war das erste Abkommen dieser Art weltweit.

Hit/no hit

Der Zugriff auf Daten im Rahmen des Prümer Vertrags geschieht im "Hit/no hit"-Verfahren. Eine ermittelnde Behörde kann beispielsweise nachsehen, ob eine bestimmte DNA-Probe bereits in einer Datenbank eines Mitgliedslandes vorhanden ist. Gibt es eine Übereinstimmung, kann die Behörde die persönlichen Daten zur fraglichen Probe anfordern.
Im Einzelfall, so eine Aussendung des deutschen Bundesinnenministeriums, könnten nach Maßgabe des jeweils geltenden nationalen Rechts im Einzelfall auch ohne Ersuchen personenbezogene Daten übermittelt werden. Voraussetzung dafür sei, dass "Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen terroristische Straftaten oder Straftaten, die hiermit in Zusammenhang stehen, begehen werden oder eine Ausbildung zur Begehung von terroristischen Straftaten durchlaufen oder durchlaufen haben". Ein entsprechender Passus findet sich auch im Prümer Vertrag - allerdings abzüglich der Hinweise auf die Ausbildung von Terrorverdächtigen.
Übermittelt werden hierbei, so das Innenministerium, Daten zur Identifizierung der Person [Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Fingerabdrücke] sowie Informationen zu Umständen, die den Terrorismusverdacht begründen.

Datenschützer skeptisch

Wenn der Prümer Vertrag auf die USA übertragen werde, sei kein gleichwertiger Datenschutzstandard garantiert, sagte der oberste deutsche Datenschützer Peter Schaar am Dienstag im Deutschlandfunk. Das US-Datenschutzgesetz gelte nur für US-Bürger und für Personen, die sich dort langfristig aufhalten. Es gelte "ausdrücklich nicht für Daten, die aus dem Ausland kommen".
Durch das Online-Verfahren könnten die USA eine weitere Datenquelle erschließen. Sämtliche Demonstranten, Schwarzfahrer und Asylbewerber würden dann außerhalb Europas erfasst. Bei der Einreise in die USA würden ohnehin Fingerabdrücke gespeichert, sagte Schaar. Bei möglichen Straftaten sei also eine Identifizierung möglich. Es sei daher nicht notwendig, den USA zusätzlich die Daten der Kriminalbehörden zu übermitteln.

Keine Definition der Bedingungen

In einer Aussendung vom Dienstag unterstrich Schaar nochmals seine Kritik: "Hier wurde ein weit reichender Informationsaustausch zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vereinbart, u. a. mit gegenseitigem Online-Zugriff auf die Fingerabdruckdateien und auf die DNA-Dateien. Dagegen bleiben die Datenschutzvorkehrungen weit unter dem Niveau, das bei Datenübermittlungen in Europa üblich ist. So fehlt eine unabhängige Datenschutzkontrolle, und die Regelungen zur Zweckbindung sind unzureichend."
In den USA gebe es allein 17.000 unabhängig voneinander agierende Strafverfolgungsbehörden. Deshalb sei es bedauerlich, dass man sich nicht auf eine nationale Kontaktstelle für die Anfragen einigen konnte. Außerdem werde in dem Abkommen darauf verzichtet, genauer zu definieren, was nun genau unter den Bedingungen der schwerwiegenden Kriminalität und des Terrorismus zu verstehen sei, die mit dem Abkommen bekämpft werden sollten. Schaar: "Deshalb ist zu befürchten, dass nicht nur Daten von Terrorverdächtigen oder Kriminellen betroffen sein werden."

Schnell durch die Institutionen

Auf Anfrage von ORF.at bestätigte Dietmar Müller, Sprecher des Bundesdatenschutzbeauftragten, die grundsätzlichen Bedenken seiner Behörde im Zusammenhang mit dem US-Vertrag. Bürger hätten keine Kontrollmöglichkeiten, es bestehe gegenüber den US-Behörden auch kein Anspruch auf Auskunft.
Der Prümer Vertrag sei weiterhin im Zusammenhang mit der Ausweitung des Schengen-Raums zu sehen, die Verbesserungen zur polizeilichen Zusammenarbeit sollten dazu dienen, den Wegfall der Grenzkontrollen zu kompensieren. Das gelte im Fall des Abkommens mit den USA aber nicht, da die USA ihre Grenzkontrollen ständig verschärften und ohnehin von jedem Reisenden Fingerabdrücke abnehmen würden.
Kritik übte der Sprecher auch daran, wie das Abkommen in Deutschland selbst durch die Institutionen gebracht werde. Der Bundestag habe nur noch die Möglichkeit, das Abkommen zu akzeptieren oder abzulehnen. Letzteres sei aber, so Müller, unwahrscheinlich.

Kritik der SPÖ

Der Salzburger Nationalratsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Datenschutzrats, Johann Maier [SPÖ], nahm in einer Aussendung vom Dienstag zu dem deutschen Vertrag Stellung.
Die SPÖ-Fraktion stehe zwar voll hinter dem Vertrag von Prüm, lehne aber den "Alleingang Deutschlands ab, der den USA erlauben würde, Zugriff auf diese EU-Daten zu erlangen". Innenminister Günther Platter [ÖVP] solle "verhindern, dass die USA an diese Daten gelangen".
Eine Anfrage von ORF.at zu diesem Thema beim Innenministerium läuft.

Prümer Probleme

Dem Prümer Vertrag selbst können die USA nicht ohne weiteres beitreten. Artikel 51 des Werks sieht vor, dass der Beitritt "allen Staaten, die Mitglied der Europäischen Union sind", offensteht.
Außerdem müssen die beitretenden Staaten ein Datenschutzniveau aufweisen, das dem Übereinkommen des Europarats vom 28. Jänner 1981 über den Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten entspricht. Die USA sind diesem Übereinkommen nicht beigetreten.