ADHS bei Erwachsenen: wie sieht die Behandlung aus?

Neuen Studien zufolge kommt ADHS bei Erwachsenen häufiger vor, als man bisher dachte. Viele Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) stellen sogar erst im Erwachsenenalter fest, dass sie daran leiden. Es war die ganze Zeit da, aber sie wurden nie darauf getestet. Andere wissen schon seit ihrer Kindheit, dass sie es haben. Aber die Symptome – und der Stress, der damit verbunden ist – können sich mit dem Alter verändern.

Oft äußert sich ADHS bei Erwachsenen anders als bei Kindern und Jugendlichen. Ein Erwachsener mag zum Beispiel weniger hyperaktiv sein, dafür aber unter anderen Symptomen leiden. Sie können Probleme damit haben, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren, ihre Impulse unter Kontrolle zu halten ihren Alltag zu strukturieren. Diese Schwierigkeiten können sowohl den Job als auch private Beziehungen und das Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Die gleichen Behandlungen, die für Kinder eingesetzt werden, werden auch zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen eingesetzt. In den meisten Fällen handelt es sich um eine Kombination aus Medikamenten, Verhaltensstrategien, Lebenskompetenztraining und Gesprächstherapie. Dies wird als multimodale Behandlung bezeichnet.

Manchmal wirken die Medikamente, die jemand als Kind eingenommen hat, anders, weil sich das Gehirn, der Körper und auch die Symptome verändert haben. ADHS bei Erwachsenen macht oft andere Fähigkeiten erforderlich, um sich zu organisieren und sich die Zeit einzuteilen. In einigen Fällen muss auch eine Behandlung für zusätzliche Probleme wie Depressionen oder Angstzustände erfolgen. Um ADHS bei Erwachsenen bestmöglich zu behandeln, ist es erforderlich, sich vorab über die Symptome im klaren zu sein. Manchen Betroffenen fällt es schwer, Fristen bei der Arbeit einzuhalten während andere vor allem Schwierigkeiten in der Beziehung zu ihrem Ehepartner oder ihren Kindern haben. Wer sich darüber im Klaren ist, kann sich um eine maßgeschneiderte Behandlung bemühen und kann auch besser beurteilen, ob die Behandlung anschlägt.

In den aktuelle Leitlinien sind Medikamente ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von ADHS bei Erwachsenen. Doch um das am besten geeignete Medikament zu finden, müssen die Betroffenen oft einiges ausprobieren. Was anfangs gut wirkt, ist mit der Zeit vielleicht nicht mehr so gut. Auch wurden viele Medikamente zwar an Kindern gut erforscht, für die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen aber noch nicht.

Stimulanzien sind oft die erste Wahl zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen und wirken in der Regel am besten. Eines der am häufigsten verwendeten Medikamente ist Medikinet® adult mit dem Wirkstoff Methylphenidat. Einen ähnlichen Wirkmechanismus aber in der Praxis weniger Bedeutung hat Elvanse adult mit dem Wirkstoff Lisdexamfetamin (LDX), einer synthetisch hergestellten Prodrug aus der Gruppe der Amphetamine. Bei beiden beginnt man normalerweise mit einer niedrigen Dosis. Dann erhöht man sie alle sieben Tage, bis ein Punkt erreicht ist, an dem die Symptome unter Kontrolle sind, ohne dass zu viele Nebenwirkungen auftreten. Meistens sind lang wirkende Stimulanzien am besten geeignet. Sie wirken 10 bis 14 Stunden, so dass man nicht so häufig Tabletten einnehmen muss. Sobald die richtige Dosierung feststeht, erfolgt eine regelmäßige Nachkontrolle, um sicherzustellen, dass das Medikament weiterhin wirkt und die Nebenwirkungen gering sind.

Die meisten Betroffenen müssen die Medikamente dauerhaft einnehmen, aber einige können sie nach einiger Zeit auch absetzen. Um das festzustellen, kann der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin vorschlagen, einmal im Jahr versuchsweise auf die Medikamente zu verzichten. Um zu verhindern, dass durch den Gewöhnungseffekt langfristig eine Dosiserhöhung erforderlich ist, ist es ohnehin sinnvoll, die Medikation in regelmäßigen Abständen temporär auszusetzen.

In der Regel werden Stimulanzen bei der Behandlung von ADHS bei Erwachsenen gut vertragen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Appetitverlust, Angstzustände, Mundtrockenheit, Kopfschmerzen, Unruhe, Stimmungsveränderungen, erhöhter Blutdruck und Schlafstörungen. Oft lassen sich die Nebenwirkungen durch eine Anpassung der Dosis auf ein erträgliches Ausmaß begrenzen. Stimulanzien haben sich zwar zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen als sehr wirksam erwiesen, sind aber nicht für alle Betroffenen geeignet. Für manche sind schlichtweg die Nebenwirkungen zu stark. Auch Personen die unter einer bipolaren Störung, Angstzuständen, Herzrhythmusstörungen, hohem Blutdruck, Psychosen, Magersucht, Drogenabhängigkeit oder dem Tourettesyndrom leiden, müssen nach einer Alternative suchen.

Wenn Stimulanzien nicht in Frage kommen, ist Atomoxetin (Strattera) eine Möglichkeit. Dies war das erste nicht-stimulierende Medikament, das nur für ADHS zugelassen wurde. Die volle Wirkung setzt nicht ganz so schnell ein wie bei Stimulanzien, aber manche Menschen finden, dass es ihnen gut tut. Man beginnt mit einer niedrigen Dosis und erhöht sie in der Regel alle 5 bis 14 Tage, bis man das richtige Gleichgewicht gefunden hat. Die Nebenwirkungen sind ähnlich wie bei Stimulanzien und können außerdem Verstopfung, einen verringerten Sexualtrieb und Magenverstimmungen umfassen.

Eine weitere Option können bestimmte Antidepressiva sein. Man muss nicht unbedingt depressiv sein, damit ein Arzt diese Mittel gegen ADHS verschreibt. Sie sind zwar in der Regel nicht die erste Wahl zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen, können aber einigen Menschen helfen. Eines der für diesen Zweck am häufigsten eingesetzten Antidepressiva ist Bupropion (Wellbutrin, Elontril, Zyban Retard). Dieser Wirkstoff kommt zum Beispiel dann in Frage, wenn die Betroffenen neben ADHS auch ein Drogenmissbrauchsproblem oder eine Stimmungsstörung haben.

Das richtige Medikament in Verbindung mit einem guten Therapeuten ist eine starke Kombination. Eine Gesprächstherapie kann den Betroffenen und Ihren Familienmitgliedern helfen, mehr über die Auswirkungen von ADHS zu erfahren und besser mit den Problemen umzugehen, die es verursacht. Es gibt viele Arten der Gesprächstherapie. Eine der gängigsten ist die kognitive Verhaltenstherapie. Durch sie sollen die Patientinnen und Patienten lernen, ihre Gedanken und Handlungen so zu ändern, dass sie mehr Kontrolle über ihr Leben haben. Sie kann bei Herausforderungen in Schule, Beruf und Beziehungen helfen und wird eingesetzt, um Probleme wie Drogenmissbrauch und Depressionen anzugehen.

Oft wirkt sich ADHS bei Erwachsenen auch auf das Familienleben aus. Dann kommt eine Eheberatung und/oder eine Familientherapie in Betracht. Die Betroffenen und ihre Familienmitglieder lernen dadurch, besser zu kommunizieren und Muster zu erkennen, die Probleme verursachen können. Die Beratung kann den Angehörigen zum Beispiel helfen zu verstehen, dass die Probleme nicht nur darauf zurückzuführen sind, dass die unter ADHS leidende Person unordentlich oder vergesslich ist.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie haben sich zunehmen auch verschiedene Formen der Teletherapie etabliert, bei denen die Therapiegespräche per Videotelefonie oder auf Textbasis in einem Chat durchgeführt werden. Videokonferenzen können besonders wertvoll für Menschen sein, die in ländlichen Gebieten leben, wo es nicht viele Berater mit den erforderlichen Fähigkeiten gibt. In der Regel benötigen Menschen, die diese Methode nutzen, mehr Sitzungen als bei einer persönlichen Beratung. Wenn die für Videotelefonie erforderliche Tele-Infrastruktur nicht vorhanden ist lassen sich Beratungen auch per E-Mail, Chat oder Direktnachricht durchführen. Sie können auch eine direktere Beratung unterstützen. Die Forschung zu diesem Trend ist noch nicht abgeschlossen. Im Allgemeinen wird er als wirksam und hilfreich erachtet. Es gibt jedoch einige Hinweise darauf, dass eine Chat-Funktion effektiver ist als E-Mail allein.

Praktisch und zielorientiert ist zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen die Arbeit sogenannter ADHS-Coaches. Mit ihrer Hilfe können die Betroffenen praktische Fertigkeiten erlernen, zum Beispiel wie man Pläne macht, Ziele setzt, die Zeit einteilt und organisiert bleibt. Ein Coach kann Anregungen und Tipps geben und dafür sorgen, dass ihre Klienten konzentrieren und motiviert sind, die gewünschten Veränderungen vorzunehmen. Studien zeigen, dass Coaching helfen kann, persönliche Ziele zu erreichen, Stress zu bewältigen und im Leben mehr zu erreichen.

Es kann hilfreich sein, sich mit anderen Menschen auszutauschen, die ähnliche Probleme haben. Eine Selbsthilfegruppe ist eine Möglichkeit, dies zu tun. Um eine ADHS-Selbsthilfegruppe zu finden, kann man zum Beispiel die Website von ADHS Deutschland e. V. besuchen. Diese gemeinnützige Organisation hat Ortsgruppen im gesamten Bundesgebiet. Auf der Website finden sich auch Links zu Online-Selbsthilfegruppen für alle Altersgruppen.

Bei Menschen mit ADHS ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie unter psychischen Problemen wie Angstzuständen, Depressionen und Drogenmissbrauch leiden. Diese Erkrankungen und ihre Behandlung können sich auf ADHS auswirken und umgekehrt. So können zum Beispiel einige stimulierende Medikamente gegen ADHS die Angstsymptome verschlimmern. Wenn jemand unter beiden Erkrankungen leidet, wird der Arzt oder die Ärztin bei der Festlegung des Behandlungsplans darauf achten, welche der beiden Erkrankungen die meisten Probleme verursacht.

Andererseits hat die Forschung herausgefunden, dass die Behandlung von ADHS mit Stimulanzien für Menschen, die auch an einer Drogenabhängigkeit leiden, eine Hilfe sein kann, in Suchtbehandlungsprogrammen zu bleiben. In den meisten Fällen kann der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin Behandlungen für mehr als eine Erkrankung sicher kombinieren. Eine Kombination aus Antidepressiva und Stimulanzien kann zum Beispiel helfen, wenn jemand neben ADHS auch an Depressionen leidet.

Einige ADHS-Symptome können auch Anzeichen für andere Erkrankungen sein oder ADHS-Medikamente können Nebenwirkungen haben, die wie andere psychische Probleme aussehen. Deshalb ist es wichtig, mit dem Arzt oder der Ärztin zu sprechen, wenn in dieser Hinsicht Veränderungen auftreten. In der Regel ist ADHS bei Erwachsenen heute so gut behandelbar, dass die Betroffenen ein weitgehend normales Leben ohne größere Einschränkungen führen können.

Quelle: Behandlung von ADHS bei Erwachsenen