Buchveröffentlichung: EROTIK UND RELIGION

Ein Religionsphilosoph, ein Evolutionsbiologe, eine Wissenschaftsjournalistin und eine Philosophin schreiben über die Dynamik zwischen religiösen Lehren und erotischen Geschlechterbeziehungen.
Der Religionsphilosoph Anton Grabner-Haider gibt einen Überblick über die religiösen Deutungen der Sexualität und über die Anfänge einer erotischen Lebenskultur bei verschiedenen Völkern der Erde. Schriftliche Zeugnisse über die alten Kulturen deuten darauf hin, dass die meisten von ihnen das sexuelle Erleben als eine Begegnung mit dem Größeren, dem Stärkeren und dem Göttlichen verstanden. Sie verehrten weibliche und männliche Schutzgötter der erotischen Liebe. An Tempeln und heiligen Orten wurden die erotischen Beziehungen der Geschlechter vertieft, Priesterinnen und Priester taten dort ihre Dienste. Die monotheistischen Religionen (Juden, Christen, Moslems) verdrängten schließlich das erotische Erleben aus dem Bereich des Heiligen und des Göttlichen. Bei ihnen steht der männliche Gott der Krieger im Vordergrund. Entsprechend ist das Gottesbild der Juden, der Christen und der Moslems allein männlich, allen feministischen Erklärungskünsten zum Trotz.
Doch seit etwa 150 Jahren erinnern sich westliche Forscher der indischen und chinesischen, der griechischen und römischen Liebeskultur. Und seit ungefähr 50 Jahren bemühen sich Europa und Amerika, die Kunst der Erotik mit den Lehren der Religion zu verbinden; etwa in der Kultur des Tantra, des Dao, der Bhakti, der Shakti u.a. Im Mittelpunkt steht die Gleichwertigkeit der Geschlechter. Grabner-Haider führt auch Beispiele für einen gegenläufigen Trend an und zählt Konfliktfelder der Erotik auf, darunter Prostitution, Menschenhandel und Kinderschändung.
Der Evolutionsbiologe Franz M. Wuketits spricht sich gegen eine religiös begründete Sexualmoral und für die Verwirklichung eines freudvollen Lebens mit ge- und erlebter Sexualität in ihrer gesamten Variationsbreite aus, also jede sexuelle Aktivität, die im Einvernehmen mit allen beteiligten erwachsenen und mündigen Menschen stattfindet. Denn wer ein zufrieden stellendes Leben führt, ist nach anthropologischer Erfahrung seltener für gefährliche politische oder religiöse Ideologien zu begeistern als Menschen, deren Sexualtrieb gewaltsam unterdrückt wird.
Die Wissenschaftsjournalistin Susanna Berndt zeigt auf, dass die repressive Sexualmoral der christlichen Religion das erotische Erleben über Jahrhunderte hinweg mit Sündenangst und Schuldgefühlen verband, teilweise sogar bis zum heutigen Tage verbindet. Sie plädiert für eine freie sexuelle Entfaltung und gibt Impulse, wie sich alte Ängste und Vorurteile abstreifen lassen, um zu einer breiten erotischen Lebenskultur zu finden. Die Philosophin Lisz Hirn erinnert an das mythische Zusammenspiel von Eros und Thanathos (Tod). Doch wer durch eine sinnliche Erotik verbunden ist, strebt nach der Erhaltung des Lebens und folgt nicht den Verlockungen des Tötens. Sie weist darauf hin, dass die christliche Glauben- und Sittenlehre die menschliche Sexualität nicht mehr als schöpferisches Tun begreifen wollte, sondern auf die biologische Fortpflanzung reduzierte. Wer sie zur Befriedigung seiner Lüste missbraucht, landet in der Verderbnis. Inzwischen zeigen wissenschaftliche Studien jedoch, dass Sexualität bei allen Menschen gleich welchen Alters zu beglückenden Erfahrungen führt. Hirn kommt zu dem Schluss, dass es sich bei Sexualität um einen fortschreitenden Prozess in den unterschiedlichen Lebensphasen und mit wechselnden gesellschaftlichen Regelwerken handelt.
Das Buch gibt wertvolle Impulse zu einer moralischen und praktischen Neuorientierung erotischer Beziehungen, auch in Verbindung mit religiösen Überzeugungen. Insgesamt ein interessantes und sehr aktuelles Buch, dem eine breite Leserschaft und Rezeption zu wünschen ist.

Anton Grabner-Haider / Franz M. Wuketits
Erotik und Religion: Mit Beiträgen von Susanna Berndt und Lisz Hirn
Taschenbuch, 168 Seiten, Alibri Verlag, 2015
ISBN-10: 3865691854
ISBN-13: 978-3-86569-185-9
Preis: 14 Euro
Erhältlich im örtlichen und im Online-Buchhandel, Rezensionsexemplare über den Alibri-Verlag

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