Edward Snowden bald Ehrendoktor der Universität Rostock?

Ein Blogbeitrag bei Peira _Gesellschaft für politisches Wagnis e.V.
Berlin, 31.03.2014: Im November 2013 beschloss die Philosophische Fakultät der Universität Rostock in der Sitzung ihres Fakultätsrates auf Antrag des Dekans Prof. Hans-Jürgen von Wensierski und der beiden Prodekaninnen Prof. Gesa Mackenthun und Prof. Elizabeth Prommer, ein Verfahren in Gang zu setzen, in dem die Möglichkeit geprüft wird, dem US-amerikanischen Staatsbürger Edward Snowden die Ehrendoktorwürde der Fakultät zu verleihen.

Wie einer Presseerklärung der Universität Rostock von 15.12.2013 zu entnehmen ist, begründeten die Dekane ihren Antrag moralisch mit der herausragenden Bedeutung, die der Zivilcourage und dem zivilen Ungehorsam von Herrn Snowdens Handeln zukommt. Des Weiteren wird in der Erklärung ausgeführt, das "die Relevanz seines Handelns für verschiedene fachwissenschaftliche Diskurse, aktuelle gesellschaftspolitische Debatten sowie für die internationalen Beziehungen demokratischer Gesellschaften in einer kosmopolitischen Welt scheint evident.

Wissenschaftlich begründet die Fakultät ihre Entscheidung zu einem Prüfungsverfahren praxistheoretisch (im Sinne von Pierre Bourdieu), indem sie aus dem Handeln selbst ein hohes, wissenschaftlich relevantes Maß an philosophischer Reflexion ableitet.

Das Paradigmenhafte in der ebenso mutigen wie einsamen Entscheidung dieses jungen Mannes liegt darin begründet, dass sie wie unter dem Brennglas gleichermaßen philosophische, verfassungsrechtliche, völkerrechtliche, zivilisationstheoretische und staatspolitische Themen mit den klassischen Fragen nach der Freiheit, den Grundrechten, der Unabhängigkeit und der Zivilcourage des Individuums verbindet.

Soweit bisher sichtbar, resultiert seine Entscheidung zum Handeln aus der tief moralischen Auseinandersetzung mit dem Unrecht seiner eigenen beruflichen Praxis im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes. Herrn Snowdens Entscheidung, seine persönliche Freiheit zum höheren Zweck der Aufklärung über soziale Missstände zur Disposition zu stellen, lässt einen hohen Grad an philosophisch-praktischer Reflexion erkennen.

Edward Snowden, der sich momentan in einer Situation des vorübergehenden Asyls in Russland befindet, soziologisch betrachtet jedoch in einem Zustand der sozialen Verbannung, hat einen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs angestoßen, der auf vielen Ebenen kritische Fragen zum Verhältnis zwischen Individuum und Staat, zu den internationalen Beziehungen demokratischer Staaten, zur Garantie verfassungsmäßiger Grundrechte der Bürger in einer global vernetzten Welt, zur notwendigen rechtsstaatlichen Kontrolle staatlicher Institutionen sowie zum selbstverantwortlichen Umgang der Bürger mit ihren persönlichen Daten und ihren medialen Netzwerken aufwirft und unter dem Signum der globalen NSA-Affäre zusammenbindet.

Die gegenwärtige Debatte um die NSA-Abhöraffäre ist geeignet, die ‚Facebook-Generation’ der Schüler und Studenten am Beispiel eines aktuellen Themas und mit Hilfe eines altersgleichen jungen Mannes aufzuklären und sie für den Wert von Demokratie und die strukturellen Voraussetzungen für individuelle Freiheit und unveräußerliche Grundrechte sensibel zu machen. Als Reflexionsprozess der eigenen Politisierung und des Entschlusses von Edward Snowden, ganz persönlich Konsequenzen zu ziehen und die Auseinandersetzung mit einem übermächtigen Gegenüber zu wagen, macht er die Grundsätze aufgeklärter Diskursethik für unsere Studierenden greifbar und nachvollziehbar.

Als wissenschaftliche Institution, die auch immer in einer besonderen moralischen Verpflichtung gegenüber der Wahrung demokratischer Grundrechte und eines aufgeklärten Menschenbildes steht und die zugleich der politischen und moralischen Bildung ihrer Studierenden verpflichtet ist, sieht die Philosophische Fakultät der Universität Rostock in dieser Diskussion auch die Chance, mit wissenschaftlichen Mitteln zu einer notwendigen zivilgesellschaftlichen Debatte dieser Themen beizutragen.”

Inzwischen ist eine Kommission eingesetzt worden, die mit Hilfe von Experten aus der Universität Rostock und auch von außerhalb die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Ehrenpromotionsverfahrens prüft. Die Liste der sieben Gutachter, die sie gewinnen konnten, liest sich eindrucksvoll: Der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky ist dabei, der Soziologe Ulrich Beck, der Publizist und Frankfurter Professor Micha Brumlik sowie der Direktor des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Prof. Dr. Harald Müller. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der eines der Gutachten zum Antrag auf die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Snowden verfasst hat, sprach von einem „technisch-infrastrukturell-politisch-militärischen Komplex“, angesichts dessen es notwendig sei, die Grund- und Menschenrechte aufs Neue zu formulieren. Es könne keinen Rechtsschutz vor dem Missbrauch privater Daten geben, solange nicht einmal erkennbar sei, wer den Missbrauch begangen habe.

Am 9. April 2014 wird nun der Fakultätsrat entscheiden, ob sich Eward Snowden in Zukunft Dr. phil. h.c. nennen darf.

Siehe auch hier: http://peira.org/edward-snowden-bald-ehrendoktor-der-universitaet-rostoc...

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