Fukushima Hintergrund

Schwerer Atomunfall in Fukushima, Japan

Der GaU ist der größte Unfall, den die Betreiber von Atomkraftwerken noch als wahrscheinlich genug annehmen und beherrschen sollen. In Fukushima hat es eindeutig einen Super-GaU, also einen unbeherrschten Unfall gegeben.

Im Folgenden sollen einige Zusammenhänge erläutert werden, die den Leser die laufenden Nachrichten aus Japan besser einordnen lassen.
Teil 1: Grundsätzliche Probleme von Atomkraftwerken, die in Japan zur Katastrophe führten,
Teil 2: Mögliche Folgen einer Erschütterung,
Teil 3: Mögliche Varianten der anzunehmenden Kernschmelze mit ihren Folgen,
Teil 4: Warum und wie kann ein Leichtwasserreaktor überhaupt explodieren?

Teil 1: Grundsätzliche Probleme von Atomkraftwerken, bezogen auf Fukushima

Wenn eine schwere Störung eintritt, kann man grundsätzlich nicht wissen, was genau im Reaktor vor sich geht. Man wusste es in Harrisburg 1979 nicht und auch in Forsmark 2006 nicht. Man kann es nur vermuten und aus externen Erscheinungen vernünftig abschätzen und muss die Maßnahmen auf diese Vermutungen stützen. Insofern ist es glaubhaft, dass auch die Betreiber in Fukushima nichts wirklich wissen.

Ein Atomkraftwerk kann, wenn es einmal in Betrieb genommen wurde, nie wieder vollständig abgeschaltet werden. Der Reaktor Fukushima 1 erzeugt nach seinem Abschalten noch 140 Millionen Watt, die Nachbarreaktoren Fukushima 2 und 3 sogar je 230 Millionen Watt. Diese Wärmeleistung würde den ganzen Reaktor zusammenschmelzen, wenn sie nicht ununterbrochen durch Kühlwasser nach außen getragen würde. Nach einigen Tagen sinkt die Leistung auf 10 Prozent, bei Fukushima 1 also auf 14 Millionen Watt. Die allerdings bleiben praktisch auf unbegrenzte Zeit stehen, so dass eine fortlaufende Kühlung unbedingt nötig ist.

Um den Reaktor nach dem Abschalten zu kühlen, braucht man erstens Wasser und zweitens Strom. Beides darf nicht ausfallen.

Das Wasser wird in Fukushima aus dem Meer herangeführt. Die Leitungen und Pumpen müssen sowohl Erdbeben als auch Tsunami überstanden haben, wenn es eine ausreichende Kühlung geben soll.

Der Strom fällt nur dann aus, wenn erstens die Hochspannungsleitung ins Land unterbrochen ist und wenn zweitens die Diesel-Notstromaggregate, die immer mehrfach vorhanden sind, vollständig ausfallen. Beides ist in Fukushima geschehen. Es wird allerdings berichtet, dass die Notstromdiesel erst anliefen, dann aber ausfielen. Der kritische Moment bei einem Notstromdiesel ist allerdings immer nur das Anlaufen. Dass er später wieder ausfällt, ist ungewöhnlich und kann nur mit einem Fehler in der Elektronik erklärt werden. Wenn der Strom ausfällt, kann ein Reaktor nicht mehr beherrscht werden.

Wenn man sehr gut vorbereitet ist, ist es durchaus möglich, mit externen Mitteln, z.B. fahrbaren Pumpen und Stromaggregaten, die Kühlung sicher zu stellen, wenn die Wärmetauscher im Kühlkreislauf des Atomkraftwerkes noch in Ordnung sind. Für eine solche abenteuerliche Maßnahme fehlt aber meistens die Zeit und die nicht vorgesehene Ausrüstung.

Teil 2: Mögliche Folgen einer Erschütterung

Der Reaktorkern besteht aus Uranstäben, die meistens 1 cm dick und 4 m lang sind. Da Uran der schwerste aller natürlich Stoffe ist, sind solche dünnen und langen Stäbe nur stabil, wenn sie gut aufgehängt sind. Durch eine heftige Erschütterung könnten sich die Stäbe wegen der großen Massenträgheit des Urans aber durchaus ein wenig verbiegen, was die Abstände verändert und möglicherweise die Regelstäbe einklemmt. Ein Atomkraftwerk auf Erdbebengebiet ist daher grundsätzlich ein erhebliches zusätzliches Risiko.

Die Erschütterung kann auch außerhalb des Reaktors wirken, z.B. Leitungen reißen lassen. Um dies zu vermeiden, werden die Rohrleitungen mit Schwingungsdämpfern aufgehängt. Erschütterungen können also nicht nur den Reaktor betreffen, sondern auch andere sehr wichtige Komponenten wie Kühlkreisläufe, Wasserbecken und Wärmetauscher. Schäden an solchen Komponenten können zur Katastrophe führen, auch wenn der Reaktor in Ordnung ist und das ganze Gebäude an sich noch steht. In den meisten Atomkraftwerken ist der Abriss einer Hauptkühlmittelleitung nicht mehr beherrschbar.

Teil 3: Mögliche Varianten eines Kernschmelzunfalls

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Reaktor vor der Überhitzung abgeschaltet wurde, dass heißt, dass die Regelstäbe in das Innere des Reaktors eingefahren wurden. Wenn nicht, ist eine Rettung vor der Kernschmelze undenkbar. Die Reaktoren in Japan wurden beim Erdbeben abgeschaltet.

Variante A: Der Reaktorkern wird mangels Kühlung kurzzeitig überhitzt. Die Hüllen der Brennstäbe platzen. Radioaktives Material gelangt ins Kühlwasser. Das Wasser reagiert mit der heißen Brennstabhülle, wobei freier Wasserstoff entsteht, der, wenn er in andere Teile des Kraftwerkes gerät, dort brennen oder explodieren kann. Außerdem behindert der Wasserstoff, so lange er noch in dem Reaktor verbleibt, durch seine Anwesenheit die Kühlung (wo Wasserstoff ist, kann kein Wasser hinkommen). Nachdem es gelungen ist, den Wasserstoff herauszuholen und die Kühlung wieder in Gang zu bekommen, gelangt relativ wenig Radioaktivität ins Freie. Der Reaktor muss für 20 Jahre still gekühlt werden, bevor man ihn öffnen kann und weiß, was genau geschehen ist.

Variante B: Der Reaktorkern wird mangels Kühlwasser eine halbe Stunde oder länger überhitzt. Dann platzen nicht nur die Hüllen, sondern die Stäbe schmelzen wie Kerzenwachs und tropfen hinunter. Dadurch wird das ganze System im Reaktor zerstört. Wenn unten im Reaktor noch genügend Wasser ist, tropf die heiße Schmelze hinein und bildet Klumpen. Genau das ist in Harrisburg 1979 geschehen. Als man die Kühlung wieder in den Griff bekam, konnte das Wasser durch die Klumpen fließen und diese die nächsten 20 Jahre kühlen. Da der Reaktor in Fukushima aber ein Siedewasserreaktor mit nur einem Kühlkreislauf ist, dürften die Auswirkungen die von Harrisburg übersteigen.

Variante C: Der Reaktor wird so lange nicht gekühlt, dass kein nennenswertes Wasser mehr in ihm ist. Die Schmelze fließt dann auf den Boden des Reaktors und bildet dort einen See. Wenn wieder Wasser und Kühlung zur Verfügung stehen, könnte das Wasser aber nicht in die extrem schwere Schmelze eindringen. Das Uran bliebe weiter ungekühlt und erzeugte weiter vielleicht 100 Millionen Watt. Selbstverständlich würde der Reaktor dann durchschmelzen, und das gesamte radioaktive Inventar gelangte in den Boden. Da es in keinem Atomkraftwerk einen sogenannten „Corecatcher“ gibt, der die Schmelze auffängt und klein verteilt, würde sich die Schmelze eventuell bis ins Grundwasser vorarbeiten und mit einer Dampfexplosion in die Atmosphäre gelangen. Radioaktives Material von vergleichsweise tausend Atombomben könnte so ins Freie gelangen.

Teil 4: Wie kann es in einem Atomkraftwerk zur Explosion kommen?

Der Reaktor in Tschernobyl ist 1986 explodiert. Man kennt auch heute noch nicht den genauen Hergang, aber auf jeden Fall war eine „nukleare Exkursion“ die Hauptursache. Ein wassermoderierter und wassergekühlter Reaktor, wie in Japan oder Deutschland in Betrieb, kann aber unter keinen Umständen nuklear explodieren wie eine Atombombe. Dazu fehlen alle physikalischen Voraussetzungen, die hier nicht aufgezählt werden sollen. Große Explosionen (genauer: Verpuffung) in Atomkraftwerken sind in zweierlei Weise denkbar (und werden entsprechend gefürchtet):

1. Wasser wird in einem zu kleinen Gefäß zu stark erhitzt, so dass das Gefäß platzt. Das ist vor allem bei Siedewasserreaktoren denkbar, denn deren Sicherheitsbehälter reicht nie für die passive Aufnahme des Dampfes bei einer schweren Störung. In Fukushima gibt es nur Siedewasserreaktoren, so wie z.B auch in Krümmel oder Brunsbüttel bei Hamburg.

2. Wasser reagiert mit überhitzten Brennstäben. Dabei wird das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Der Sauerstoff oxidiert die Brennstabhüllen, der Wasserstof wird frei. Wasserstoff ist sehr leicht und sammelt sich immer oben. Er kriecht aber auch relativ leicht durch Verschlüsse. Solange der Wasserstoff im Reaktor verbleibt, fehlt ihm der Sauerstoff zur Explosion, allerdings behindert er die Kühlung, so dass das Personal immer versucht, den Wasserstoff aus Ventilen abzublasen. Dann vermischt sich der Wasserstoff mit der Luft und kann explodieren. Das alles ist sowohl in Harrisburg als auch in Tschernobyl unter anderem geschehen.

In Fukushima hat es eine filmdokumentierte Explosion gegeben. Sie war so groß, dass sie kaum nur expandierten Dampf zur Ursache hatte. Mit großer Wahrscheinlichkeit war es eine Wasserstoffexplosion. Das bedeutet aber, dass der Reaktorkern schon bei „Variante B“ (s.o.) angekommen sein muss.

Klaus Gärtner, schlottermotz@web.de


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"Die Lehre aus Tschernobyl und nun Japan oder: Aufwachen ist angesagt
Die Lehre aus Tschernobyl und nun Japan oder: Aufwachen ist angesagt Flensburg/Tokio/Berlin 12. 03. 2011 www.internet-magazin-les-art.eu Rubrik: Innensichten Redaktionsbeitrag „les Art“ 12.03.201"

Wenn der Artikel "Fukushima Hintergrund" derart viele gelesen wird, sollte der Artikel "Wie in der BRD jeder gegensteuern kann, resp. "Die Lehere aus Tschernobyl und nun Japan oder: Aufwachen ist angesagt" ebenfalls lesen. Denn dort steht, wie man von Atommailnern weg kommt!

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