FH St. Pölten holt "Mariazellerbahn" vom Abstellgleis

Betriebssimulation zeigt das Potenzial der berühmten Eisenbahn

St. Pölten, 03.11.2010 – Die Mariazellerbahn rollt bald in eine betriebsame Zukunft – mit schnellerem Tempo, nostalgischen Dampfloks und einem Taktfahrplan. Diese Erfolg versprechenden Zukunftsaussichten sehen WissenschaftlerInnen der Fachhochschule St. Pölten. Welche konkreten Maßnahmen zum Erfolg führen, analysierten sie anhand einer Betriebssimulation am Studiengang Eisenbahn-Infrastrukturtechnik. Dabei wurden die Auswirkungen von betrieblichen und baulichen Maßnahmen auf die geschichtsträchtige Mariazellerbahn simuliert – ganz ohne in den tatsächlichen Schienenverkehr einzugreifen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die berühmte Schmalspurbahn nicht nur für Nostalgiefahrten eignet, sondern sogar das Potenzial zur S-Bahn hätte.

Über 21 Viadukte, durch 19 Tunnel, hinauf auf 890 Meter Seehöhe: Seit mehr als 100 Jahren bringt die Mariazellerbahn PendlerInnen, TouristInnen und PilgerInnen vom niederösterreichischen St. Pölten in den 84 Kilometer entfernten steirischen Wallfahrtsort Mariazell. Dabei gleicht die knapp zweieinhalbstündige Fahrt in der historischen Schmalspurbahn einer nostalgischen Panoramafahrt. Das liegt nicht nur an der malerischen Landschaft, sondern auch an der Infrastruktur und den Bahnhöfen: Diese wurden seit ihrer Errichtung in den Jahren der k. u. k. Monarchie wenig verändert und können ihr Alter nicht verbergen. Jetzt steht die Übernahme der Regionalbahn durch das Land Niederösterreich bevor; das bietet die Gelegenheit, sich über die Streckensanierung Gedanken zu machen. Dass diese sogar mit wirtschaftlicher Attraktivität einhergehen kann, zeigen ExpertInnen der FH St. Pölten.

Im Rahmen einer Bachelorarbeit am Studiengang Eisenbahn-Infrastrukturtechnik wurden dazu die Infrastruktur und der Betrieb dieser einzigartigen Bahnstrecke genauer unter die Lupe genommen. Auf Basis einer Betriebssimulation konnten Maßnahmenvorschläge entwickelt werden, deren Umsetzung der Mariazellerbahn als Nahverkehrsmittel und auch als Touristenattraktion mehr Bedeutung geben würden. So könnte die Mariazellerbahn in Zukunft für PendlerInnen eine echte Alternative zum Straßenverkehr darstellen – und gleichzeitig TouristInnen und WallfahrerInnen ein historisches Erlebnis aus dem Dampflokzeitalter in malerischer Landschaft bieten.

Da fährt der Zug drüber
"Unsere Analyse zeigt, dass eine Modernisierung in zwei getrennten Stufen erfolgen kann. Das ermöglicht eine budgetgerechte Planung und Umsetzung: In einer ersten Stufe sollten gewisse Mindestanforderungen des modernen Fahrgastes erfüllt werden – wie z. B. moderne Fahrzeuge und komfortable Haltestellen. Ein Taktfahrplan würde dann die Attraktivität der Bahn enorm steigern. Dazu sind bauliche Maßnahmen notwendig, die wir mit unserer Simulation klar definieren konnten. Durch eine optimierte Streckenführung wäre als zweite Stufe sogar ein S-Bahn-ähnlicher Betrieb möglich", erklärt Philipp Mackinger, Autor der Bachelorarbeit an der FH St. Pölten.

Zu den baulichen Maßnahmen, die für einen Taktfahrplan nötig wären, gehören zum einen die Renovierung der Langsamfahrstellen und der Um- und Ausbau der Kreuzungsbahnhöfe. Dadurch kann an vielen Stellen schneller gefahren werden. Zum anderen müsste der Betrieb auf einen "Signalisierten Zugleitbetrieb" umgestellt werden. Das bedeutet, dass die Bahnhöfe mit Rückfallweichen, Lichtsignalen und Gleisfreimeldeanlagen ausgestattet werden müssen. So können einzelne FahrdienstleiterInnen dann zentral mit einer Fernsteueranlage die gesamte Strecke bedienen – und bei unerwarteten Störungen rasch und effizient reagieren. Insgesamt garantiert das einen zuverlässigen Betrieb und regelmäßige Zugsfolgen – zwei für PendlerInnen sehr bedeutende Kriterien. Gleichzeitig würde diese Neuerung die optimale Kombination von planmäßigem Verkehr und touristischen Sonderfahrten ermöglichen.

Auf Basis dieser Neuerungen könnte dann sogar ein weiterführender Ausbau bis hin zum S-Bahnverkehr passieren. Diesem steht nicht einmal die besonders schmale Spurweite der Mariazellerbahn im Wege. Denn, wie Vergleiche aus der Praxis zeigen, kann die maximale Fahrtgeschwindigkeit auch auf diesen Spurweiten bedeutend angehoben werden. Auf Streckenteilen der Mariazellerbahn, wie etwa zwischen St. Pölten und Loich, sind sogar zwischen 70 und 100 Kilometer pro Stunde möglich. Die dafür notwendigen Umbauten würden nicht einmal die ganze Strecke betreffen, wie DI Dr. Bernhard Rüger, Fachexperte von der FH St. Pölten, ausführt: "Die engsten Kurven müsste man begradigen, an einigen Stellen schlankere Weichen einbauen und Trassierungen optimieren. Bedenkt man aber, dass die Strecke ohnehin saniert werden muss, um einen Weiterbetrieb zu gewährleisten, relativiert sich der Aufwand durch die Vorteile eines S-Bahn-ähnlichen Verkehrs."

Kundenstrom
Tatsächlich könnten Teile der Modernisierung der Mariazellerbahn auf einer – zur Zeit der Erbauung – revolutionären Ingenieurleistung aufbauen: Die Bahnstrecke wurde als eine der weltweit ersten ihrer Art elektrifiziert. So könnten moderne Elektrotriebwagen zum Einsatz gebracht werden. Diese sind besonders spurtstark und schaffen sogar im Winter die Bergstrecken mit Leichtigkeit. Zusätzlich würden die Fahrgäste darin auch viel komfortabler reisen. Die Anschaffung einer neuen Fahrzeugflotte bedeutet aber keinesfalls, dass die Originallokomotiven, die zum Teil schon seit 1911 tagtäglich im Einsatz sind, in Zukunft am Abstellgleis verrosten werden. Ganz im Gegenteil – sie könnten vermehrt für spezielle Nostalgiefahrten genutzt werden. Das würde das touristische Angebot noch attraktiver machen und mehr TouristInnen und Eisenbahnfans auf die Strecke locken.

Insgesamt könnten diese Maßnahmenvorschläge die Mariazellerbahn zu einem effizienten und modernen Nahverkehrsmittel machen – das wirtschaftlich attraktiv auf der Schmalspur unterwegs ist. Die Arbeit des Studiengangs Eisenbahn-Infrastrukturtechnik zeigt damit auch den smarten Einsatz von spezieller Simulationssoftware auf, die rasch und kostengünstig realistische Alternativen für technische und betriebswirtschaftliche Probleme liefern kann.

Weitere Details zum Taktfahrplan und zu den Vorteilen der Maßnahmen für die Bevölkerung werden sehr gerne vom Studiengang Eisenbahn-Infrastrukturtechnik zur Verfügung gestellt.

Über die Fachhochschule St. Pölten
Die Fachhochschule St. Pölten ist Anbieterin praxisbezogener und leistungsorientierter Hochschulausbildung in den Bereichen Technologie, Wirtschaft und Gesundheit & Soziales. In mittlerweile 14 Studiengängen werden mehr als 1800 Studierende betreut. Neben der Lehre widmet sich die FH St. Pölten intensiv der Forschung. Die wissenschaftliche Arbeit erfolgt innerhalb der Studiengänge sowie in eigens etablierten Instituten, in denen laufend praxisnahe und anwendungsorientierte Forschungsprojekte entwickelt und umgesetzt werden.

Pressetext zum Download verfügbar unter: http://www.fhstp.ac.at/ueberuns/presse/presseaussendungen

Kontakt FH St. Pölten:
DI Dr. Bernhard Rüger
Fachhochschule St. Pölten
Studiengang Eisenbahn-Infrastrukturtechnik
Matthias Corvinus-Str. 15
3100 St. Pölten
T: +43 / (0)2742 / 313 228 – 713
E: bernhard.rueger@fhstp.ac.at
W: http://www.fhstp.ac.at/et

Redaktion & Aussendung:
PR&D – Public Relations für Forschung & Bildung
Mariannengasse 8
1090 Wien
T: +43 / (0)1 / 505 70 44
E: contact@prd.at
W: http://www.prd.at