Intensivtäter integrieren?

Der Fall drang über Hamburg kaum hinaus. Im nüchternen Polizeideutsch hört sich das Vorgefallene so an:

„Am Abend des Freitag, 14. Mai 2010, wurde ein 19-jähriger Deutscher auf dem Bahnsteig der S-Bahn am Hamburger Jungfernstieg durch einen Stich in den Oberkörper tödlich verletzt. Der junge Mann war aus einer Tätergruppe von fünf Jugendlichen heraus angegriffen worden.“

Den tödlichen Stich ins Herz führte Elias A., ein 16-jähriger deutscher Staatsangehöriger serbisch-afghanischer Herkunft. Er ist polizeilich als Intensivtäter registriert, ebenso wie seine beiden Brüder. In fünf Wochen soll Anklage wegen Totschlags gegen ihn erhoben werden.

Symptomatisch: Auch noch viele Tage nach der Tat wollte der Hamburger Senat sich zu dem Fall und der kriminellen Karriere des jugendlichen Täters nicht äußern. Zitat aus der Tagespresse: „Justizsenator Till Steffen (GAL) lehnte eine Stellungnahme zu dem Fall und der Rolle der Hamburger Justiz weiterhin ab. Auch die Sozialbehörde schweigt.“

Dem Opfer vom S-Bahnhof Jungfernstieg, Mel D., kann niemand mehr helfen. Aber aus seinem Schicksal können Lehren gezogen werden. Spiegelbildlich zu jugendlichen Intensivtätern, die in kurzer Zeit immer wieder kriminell in Erscheinung treten, gibt es Intensivopfer, die mehrfach Gewalt erdulden müssen und dem Los von Mel D. manchmal nur knapp entgehen. Wer Mord und Totschlag aus nichtigem Anlass nicht als höhere Gewalt ansieht („Die Gesellschaft muss das hinnehmen“), tut gut daran, ihnen jetzt zuzuhören. Zum Beispiel dem 17-jährigen Florian K. Er besucht ein Gymnasium am Rande einer deutschen Großstadt. Die National-Zeitung hat seine Erlebnisse notiert:

2007: Vor drei Jahren wurde Florian K. nach der Schule am S-Bahnhof von einem türkischen Mitschüler und dessen Clique erwartet. Ein Messer wurde ihm an den Hals gehalten. Florian K. berichtete den Vorfall der Schulleitung – und bekam umgehend Drohmails: Wenn er seine Darstellung nicht zurücknehme, werde er nicht mehr lange leben.

2009: In der Gemeinde, in der Florian K. abends ausgeht, wird er auf dem Nachhauseweg von einem Jugendlichen hemmungslos angegriffen. Sonderbar: Florian ist 1,90 Meter groß und der Angreifer klein. Aus Polizeikreisen erfährt Florian, dass es sich in solchen Fällen zunächst nicht nachvollziehbarer Angriffe häufig um Konsumenten des enthemmenden Medikaments „Tilidin“ handele. Nicht selten wird es von türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen genommen, da Schmerzmittel anders als Drogen nicht religiös sanktioniert sind. Selbst SEK-Beamten gelingt es nicht ohne weiteres, einen Täter zu überwältigen, der Tilidin genommen hat.

2010: Klassenfahrt nach Berlin: Florians Klasse zieht über den Alexanderplatz. Er und zwei seiner Mitschüler werden von drei fremdländisch aussehenden Männern zwischen 20 und 30 Jahren unter einem Vorwand („eine Sache unter Männern“) aufgehalten. Als sich der Pulk der Mitschüler entfernt hat, ziehen die drei Täter Messer und eine Pistole heraus und verlangen von den Jungs Geld und Wertsachen.

Florian K. ist nicht „rechts“. Er ist aufgewühlt. Viele seiner Freunde haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Was den Vorfall aus dem Jahr 2007 angeht, ist man in Florians Umfeld überzeugt, dass der Mitschüler noch am selben Tag von der Schule geflogen wäre, wenn er Deutscher gewesen wäre. Aber die Schule war – durchaus nachvollziehbar – stolz auf den türkischen Oberschüler. Und nun war gerade er delinquent geworden? Aus falscher Scham wurde herumgedruckst – und letztlich gab es kein effektives Nachspiel.

Florian K., selbstbewusst und gutaussehend, sagt:

„Ich bin kein Opfertyp. Wenn mir all das schon passiert, will das was heißen. Seit ich mit der S-Bahn zur Schule fahre, erwische ich mich selber, wie ich Ansichten formuliere, die ich bei mir nicht für möglich gehalten hätte.“ Florian K. fühlt sich als Europäer, war viel im Ausland, „aber das Zusammengehörigkeitsgefühl franst an den Rändern etwas aus“. Auch aufgrund seiner Erfahrungen. Florian ist weit davon entfernt, generell „die Türken“ oder eine andere ethnische Gruppe verantwortlich zu machen. Aber:

„Mich nervt es, wenn immer abgewiegelt wird. Ich darf meine Erfahrungen im Unterricht nicht einmal artikulieren. Viele Ältere sagen nur: So was passiert halt – ‚shit happens’. Die möchte ich mal hören, wenn sie selber betroffen sind!“

Ob bei den Diskussionen unter den Jungs auch mal darüber nachgedacht wird, dass Intensivtäter, die keine deutschen Staatsangehörigen sind, rascher abgeschoben werden sollten? Ja, sagt Florian K. Doch eine befreundete Psychologin, die in der Jugendhilfe arbeitet, habe ihm gesagt, dass selbst das derzeit wenig bringe.

Wir fragen die Psychologin. Sie meint:

„Abschiebung – da lachen viele nur. Die Strafen für eine Wiedereinreise sind zu gering. Der ist nach sechs Wochen wieder da. Und dann wird’s wirklich gefährlich. Weil diejenigen, mit denen der abgeschobene Täter eine Rechnung offen hat, sich in Sicherheit wähnen. Schutzvorkehrungen werden abgebrochen, die Polizei betrachtet den Fall als erledigt.“

Ihre Erfahrungen fasst die Frau vom Fach so zusammen:

„Unabhängig von der Volkszugehörigkeit der Täter gibt es Profile, die mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht behandelt und integriert werden können. Ungünstige Umstände im psychosozialen Bereich spielen da eine Rolle. Es gibt regelrechte lebende Zeitbomben. Leider ist es kein Zufall, wenn häufig Ausländer als Täter auffallen. Das Fehlen protektiver stabiler Bindungen zusammen mit dem immensen Stress, zwischen den Kulturen zu leben, verschärft nachweislich die Pathologie.”

Eine Mauer des Schweigens verhindert eine offene Debatte über die politischen Schritte, die nötig sind, um Florian K. und seine Altersgenossen vor (weiteren) folgenschweren Erlebnissen besser zu schützen.


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