Bundestagswahl: Der beste Direktkandidat für Wilhelmshaven heißt Johannes Heesters

Nun hat er meine Erststimme: Johannes Heesters, 105 Jahre alt. Das Klebeetikett mit dem Namen meines Polit-Favoriten habe ich fein säuberlich unter die anderen für mich ungeeigneten Direktkandidaten geklebt. Ich falte den Wahlschein, gehe zur Wahlurne und stecke Johannes Heesters in den Schlitz. Weg ist er - ich strebe dem Ausgang zu.

Weit komme ich nicht. Eine der Wahlhelferinnen stoppt mich.

„Moment“, sagt sie.

Ahnt sie etwas? Will sie mich etwa zusammenfalten, weil ich mich für die Partei der über 100-Jährigen entschieden habe? Keinesfalls. Ich hätte beinahe den Kugelschreiber aus der Wahlkabine mitgenommen.

Das wäre ein Wahl-Drama geworden. In einer Stadt, die dermaßen pleite ist wie Wilhelmshaven, gibt es sicherlich selbst bei Bundestagswahlen keine Ersatz-Kugelschreiber. Man hätte das Wahllokal vorübergehend schließen müssen, die Wahlhelferinnen wären ausgeschwärmt auf der Suche nach einem anderen Kugelschreiber. Sie hätten bei Nachbarn geklingelt, wären zum Kiosk geeilt. Ich bringe den Kugelschreiber in die Wahlkabine zurück. Das Drama findet nicht statt.

400 Meter weiter fragt „Bild am Sonntag“ über frischen Brötchen und leckerem Kuchen liegend „Wer lacht heute Abend?“ Mir ist klar: Johannes Heesters. Doch das ahnt noch niemand. Wahlgeheimnis. Ich schnappe mir einen Becher mit heißem Kaffee. Eine Frau rennt mich von hinten beinahe über den Haufen. Wähler von Johannes Heesters leben offenbar gefährlich. Im letzten Moment kann sie ausweichen, entschuldigt sich.

Wieder zuhause angekommen, erzählt mir mein Radio, dass bei gutem Wetter die Wählerinnen und Wähler weniger zur Abgabe von Proteststimmen neigen als bei Regen. Das mindert die Wahl-Chancen von Johannes Heesters. Die Hoffnung jedoch stirbt zuletzt.

„Bild online“ hat eine Umfrage gestartet. Zweitstärkste Partei wird demnach die FDP. Wenn das so ist, müsste auch ein 105-Jähriger Chancen haben. Steuern senken würde Johannes Heesters sicherlich auch. In dem Alter spielen Schulden des Staates keine Rolle mehr. Atomausstieg ebenfalls nicht. Kündigungsschutz auch nicht. Wer kündigt schon einem Mann, der am 5. Dezember 106 Jahre alt wird? Würde doch nur für negative Schlagzeilen sorgen.

Sieben Sorgen werden die Wahlgewinner plagen, meldet „Bild online“ an anderer Stelle. Die sind ein Klacks für Johannes Heesters. Wenn es eng wird, ist der doch im Maxim. Kein Zweifel: Ich habe die richtige Direktwahl getroffen. Für meine Stimme bekommt mein Wunschkandidat übrigens 70 Cent aus der Staatskasse. Solch eine Summe wird sicherlich auf die Rente angerechnet. Schon ist mir klar: Mit meiner Entscheidung habe ich auch noch die Rentenkasse entlastet.

Der Autor ist Redakteur und Schriftsteller. Bücher bei http://stores.lulu.com/hwilmers

Tjaden schreibt für www.sajonara.de und macht www.2sechs3acht4.de


Über Heinz-Peter Tjaden