Beirut-Reporter.de: Nachrichtenüberblick Beirut/Libanon - Mittag, Freitag, 16. Januar 2009 - Analyse zum Krieg in Gaza

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Nachrichten - Freitag, 16. Januar 2009

13:02 Uhr (Beirut GMT +2)
Die Lage im Gazastreifen ist weitgehend unverändert. Die israelische Armee hat auch in der vergangenen Nacht und am Morgen wieder zahlreiche Ziele in Gaza bombardiert und sich Gefechte mit palästinensischen Kämpfern geliefert.

Die Nachrichtenagentur Agence France Press (AFP) setzt die Zahl der Todesopfer bei bisher 1.109 an. Sie beruft sich auf das von der Hamas Organisation geleitete Gesundheitsministerium in Gaza. Mehr als 5.000 Menschen sollen verletzt worden sein. Die Zahl der Opfer auf israelischer Seite bleibt unverändert bei 13, davon 10 Soldaten.

Israels Außenministerin Tzipi Livni ist laut Medienberichten auf dem Weg nach Washington für Konsultationen mit der US-Regierung über die Lage in Gaza.

02:09 Uhr (Beirut GMT +2)
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat am Donnerstagabend gegenüber Journalisten in Jerusalem gesagt, es würden noch ein paar Tage benötigt, um technische Fragen zu klären, bevor ein Waffenstillstand im Gazastreifen erreicht werden könne. Das meldet die Nachrichtenagentur Reuters.

Analyse zum Krieg in Gaza: Richtungswandel in der asymmetrischen Kriegsführung

Freitag, 16. Januar 2009 - 02:28 (Beirut GMT +2)

Beirut-Reporter.de glaubt, dass Israel mit dem Krieg in Gaza einen Richtungswandel der modernen Kriegführung in der Region Naher/Mittlerer Osten eingeleitet hat. Israel wird aus diesem Krieg stärker als je zuvor hervorgehen. Nicht-staatliche Gruppen wie Hamas oder Hisbollah haben hingegen einen schweren Schlag erlitten.

Was in den vergangenen drei Wochen in Gaza bisher passiert ist, hat Gruppen wie Hamas oder Hisbollah einer der stärksten Waffen der asymmetrischen Kriegsführung beraubt: die mediale Ausschlachtung der Bilder von Opfern, die souveräne demokratische Staaten wie Israel stets in ihren Handlungen einschränken und die genannten Organisationen stärker oder gleichwertig mit einem nominel haushoch oder überlegen Gegner erscheinen lassen. Mit einem Wort: Israel hätte keine Feinde mehr, wenn es 1. keine Kameras gäbe und 2. kein internationales Kriegsrecht.

Moderne Gesellschaften nach westlichem Vorbild fordern von ihren Armeen die Einhaltung ethischer Grundsätze auch im schärfsten Kampf ein. Damit binden sie ihren Soldaten einen Stein ans Bein und zwingen sie schon von Beginn an, mit einem Nachteil in asymmetrische Kriege zu ziehen.

Gruppen wie Hamas oder Hisbollah wissen, dass gerade dies die größte Schwäche von Staaten ist, die auf westlich orientierten Werten aufbauen. Diese Gruppen ziehen eine Kampfführung nach gewissen ethischen Maßstäben aus verschiedenen Gründen erst gar nicht in Betracht (wahlloser Raketenbeschuss von fast immer zivilen Zielen und nie Militäreinrichtungen; Selbstmordattentate in Cafés) und haben damit per se schon einen Vorteil, bevor der erste Schuss gefallen ist.

Israel nun hat im Krieg in Gaza gezeigt, dass es sich noch weniger als sonst um mögliche internationale Reaktionen schert, wenn die Zahl der Opfer unter Zivilisten enorm steigt und auch nicht davor zurückschreckt, Zivilisten zwar nicht gezielt anzugreifen, jedoch Kollateralschäden in hohem Maße zu tolerieren. Die Weltöffentlichkeit hat zwar verhalten empört reagiert, den Verlauf der Kampfhandlungen hat das jedoch nicht geändert.

Die politische Großwetterlage für den Krieg in Gaza war günstig. Die aus dem Amt scheidende US-Regierung Bush hat Israel einen Freifahrtschein ausgestellt, und die großen arabisch-sunnitischen Staaten ließen Israel eine Abschreckungs-Nachricht an Iran ausliefern, die jeglichen Einfluss Teherans in der arabischen Welt zum Stillstand bringen soll. Auch die arabische Straße war ruhiger als in früheren Konfrontationen, wenn es um die arabische Sache ging.

Organisationen wie Hamas oder Hisbollah stehen nun vor einem großen, wenn nicht auf lange Zeit unlösbaren Problem: Ihre Kämpfer können sich nicht mehr hinter Zivilisten verstecken und sie riskieren, die Legitimation ihrer Gefolgschaft zu verlieren, wenn sie sich entweder leichtfertig in einen Krieg mit Israel begeben oder sich eisern weigern, einem Waffenstillstand zuzustimmen und auf Gedeih und Verderb weiterkämpfen wollen, ohne Rücksicht auf Verluste in den eigenen Reihen.

Hisbollah steht zudem im Libanon noch vor dem Problem, dass auch die meisten übrigen Bevölkerungs- und Religionsgruppen es nicht tolerieren würden, wenn Hisbollah erneut grundlos das Feuer auf den gesamten Libanon ziehen würde. Israel hat bereits angedroht, dass das gesamte Land in einem erneuten Krieg zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Ein Bürgerkriegsszenario wäre denkbar, indem Hisbollah von Süden (Israel) und Norden (libanesische Gruppen) eingekesselt werden könnte.

Obgleich Zivilisten und Gefolgschaft dieser nicht-staatlichen Organisationen in solchen Kriegen aus Angst vor Repressalien dergleichen meistens nicht in die Kameras und Mikrofone der Welt sagen, sprechen die Bilder und Augenzeugenberichte aus Gaza Bände über ihre Haltung, die Beirut-Reporter.de aus eigener Anschauung während des Krieges im Libanon 2006 eindeutig stützen kann: Nach außen wurde Zusammenhalt demonstriert, nach innen rumorte große Kritik an Hisbollah, dass sie sich leichtfertig und ohne Not - gewollt oder ungewollt - mit Israel in einen Krieg begeben hatte.

Israel hat aus Sicht von Beirut-Reporter.de im wahrsten Sinne des Wortes sein Abschreckungspotenzial wiederhergestellt und noch erhöht und damit die Scharte des Sommerkrieges 2006 ausgemerzt. Gleichzeitig hat es möglicherweise ein Zeichen gesetzt für andere Staaten, in ihrem Einflussgebiet ähnliches zu tun. Das muss die Zeit zeigen. Sollte dies der Fall sein, würde das gesamte internationale Kriegsrecht ins Wanken geraten, was zu einer Auflösung jeglicher Hemmungen und Regeln in Konflikten führen könnte.

Es stellt sich demnach die Frage, mit welcher Legitimation Regierungen demokratischer Staaten noch aufwarten können (Organisationen, die sich ohnehin nicht an internationale Rechte halten, sowieso), die sich zu dergleichen Kriegsführung entschließen. Und wer sie für Verfehlungen zur Rechenschaft ziehen kann. Die UNO kann es nicht, solange entsprechende Staaten starke, einflussreiche Partner haben, von denen sie Protektion genießen.

Gleichzeitig hat Moral in Kriegen eine untergeordnete Stellung, zumal wenn - wie Beirut-Reporter.de glaubt - ein Land wie Israel sein langfristiges Überleben durch Abschreckung sichern will und muss. Da gibt es nur “wir oder sie”.

Ebenfalls stellt sich die Frage, welchen Sinn Kriegsberichterstattung in Hinsicht auf demokratische Meinungsbildung noch hat, wenn sich angesichts einer sich entwickelnden regellosen Kampfesführung - gemessen an der Weltbevölkerung - kaum jemand um die Regeln und Ergebnisse schert (die weltweiten Proteste während des Krieges in Gaza waren bisher in der Zahl weder bemerkenswert, noch hatten sie irgendeinen Einfluss auf das Geschehen) und die Realität auf dem Schlachtfeld als gegeben hingenommen wird. Journalismus als Wächter über die Mächtigen wäre damit kläglich gescheitert.

Für Politik und Konflikte der Zukunft würde eine Verfestigung und Ausweitung der Ergebnisse des Krieges in Gaza ein schleichendes “back to square one” in die Zeit vor den Genfer Konventionen und totalen Darwinismus bedeuten.

Verschiedene US-Geheimdienste kamen kürzlich in ihren “Global Trends 2025? zu der Schlussfolgerung: “Das internationale System, wie es nach dem zweiten Weltkrieg entstand, wird 2025 fast nicht mehr wiederzuerkennen sein” (Spiegel Online, 20.11.2008). Der Krieg in Gaza 2009 erscheint aus dieser Sicht nach Auffassung von Beirut-Reporter.de fast wie ein Katalysator dieser Prognose.

Beirut-Reporter.de @ Januar 16, 2009

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