Die Stunde der toten Augen

Harry Thürk, war in der DDR ein viel gedruckter - und viel gelesener Autor. Dieser logisch erscheinende Doppelschritt ist in Zeiten ideologisch gelenkter Planwirtschaft keine Selbstverständlichkeit gewesen. Da wurde auch gedruckt, was keiner lesen wollte. Und umgekehrt funktionierte es sowieso.
Thürk hingegen pflegte ein Nischenthema, das ein Massenpublikum fand: Spannende Geschichten von fernen, fernöstlichen Kriegsschauplätzen, die der Autor aus eigener Anschauung kannte. Flott geschrieben und mit deftigen Sex-Szenen gewürzt - die Bände schnurrten aus den Regalen.
Dieses Buch, hatte das Zeug, etwas Wahres über die böse Banalität des Krieges zu erzählen - ohne all den geschichtsvergessenen, folgenreichen Schwulst, der die guten deutschen Sozialismus-Erbauer in der DDR postum am liebsten in die Sowjetarmee eingereiht hätte, während die bösen Soldaten Hitlers demnach unmöglich unsere Verwandten gewesen sein konnten.
In Thürks Roman wird dieser ganze ideologische Ballast nicht abgeworfen, er wird einfach weitgehend ignoriert. Nüchtern, manchmal dokumentarisch anmutend, erzählt der Autor von einer Handvoll Elitesoldaten in Ostpreußen, deren Job es ist, hinter den russischen Linien Sabotagakte zu verüben und, wenn alles gut gegangen ist, wieder ausgeflogen zu werden. Es ist das Jahr 1944, die Männer haben keine Illusionen, dass der "Endsieg" noch kommen könnte. Aber sie üben ihr schreckliches Handwerk aus, sie sprengen und töten und hoffen, nicht selbst getötet zu werden.
Lakonisch erzählt Thürk, aber niemals zynisch. Immer ist der Schrecken spürbar, den er selbst im Krieg erfahren haben wird. Seine Soldaten sind keine Monster, aber sie sind sehr von ihrem Menschsein gelöst - durch Umstände, denen sie nicht entkommen. Einer rettet seinen Kameraden vor dem Kriegsgericht, indem er die Feldgendarmen mit ihrem Jeep auf ein Minenfeld schickt. Ein anderer, der Sprengmeister, wird wahnsinnig vor Angst und erschießt sich selbst.
Es ist durchaus nicht anzunehmen, was befürchtet werden könnte: Dass dieser Roman den "Nationalen" und Landser-Romantikern ihren Selbstbefriedigungskult am völkischen Lagerfeuer verschönen könnte. "Die Stunde der toten Augen" ist ein pazifistischer Roman. Und das macht ihn auch heute noch lesenswert.
Die Stunde der toten Augen (hier) von Harry Thürk.

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