Die Fernseh-Bühnen der Selbstdarsteller

Sprachwissenschaftler und Medien-Experten analysieren bei Mainzer Symposium, wie sich Politiker und Wirtschaftsbosse in Talkshows in Szene setzen.

Sonntagabend in Deutschland. Der Tatort ist vorbei, die Polit-Prominenz marschiert auf – früher bei Christiansen, heute bei Will. Millionen Bundesbürger sehen zu, wie Männer (und ein paar Frauen) in Anzügen vor allem eines tun: sich selbst darstellen. Ein Blick auf die Mechanismen der deutschen „Ersatzparlamente“.

MAINZ.
Polit-Talkshows wie „Anne Will“, „Maybrit Illner” und Frank Plasbergs “Hart aber fair” tragen entscheidend zur politischen Meinungsbildung in Deutschland bei. Manche sprechen von Ersatzparlament, wenn sich die üblichen Verdächtigen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zum Tête-à-Tête treffen. In der Tat nutzen die Gäste Shows vor allem als Bühne, auf der sie sich selbst inszenieren.
Nach welchen Gesetzen dies funktioniert, haben Experten aus ganz Deutschland bei einem Symposium zu „Multimodaler Kommunikation in Polit-Talkshows“ diskutiert, das die Linguisten Heiko Girnth und Sascha Michel in Mainz veranstaltet haben.

Nicht der Inhalt entscheidet
Diese „multimodale Kommunikation“ ist typisch für das audiovisuelle Medium Fernsehen: Nicht nur die Sprache transportiert Bedeutung, sondern auch die gebündelten Faktoren wie Mimik, Gestik, Blickkontakt, Körperhaltung, Sitzverteilung und Kleidung. Im Kampf um das Rederecht, Aufmerksamkeit und Sympathie ist meist nicht der politische Inhalt entscheidend, sondern, ob sich ein Redner gut verkauft. Auch, indem er den Gegner schlecht aussehen lässt.
Ein gelungener Auftritt hat auch praktische Relevanz – wo sonst hat ein Politiker die die Gelegenheit, sich vor mehreren Millionen potenzieller Wähler in Szene zu setzen? Und so geben sich die Redner nicht nur mit geringen Aufwandsentschädigungen zufrieden, sondern kämpfen sogar um einen Sitz in einer der illustren Runden. Fritz Kuhn, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, plauderte bei dem Mainzer Symposium aus dem Nähkästchen: „Wenn man in eine Talkshow will, muss man am besten montags oder dienstags für Aufsehen sorgen.“ Also zum Beispiel verkünden, dass alle Hartz IV-Empfänger vor dem Fernseher hängen, wie es jüngst Kuhns Ex-Parteigenosse Oswald Metzger tat. „Im Laufe der Woche brüllt man sich so in die Sendung rein.“
Doch nicht nur das Geschick der Gäste bestimmt über ihren Erfolg: Regie und Kamera haben großen Einfluss darauf, welche Wirkung die Debatte beim Zuschauer hat. Der Chemnitzer Linguist Werner Holly ist überzeugt, dass der Schnitt und die Kameraeinstellung kommentieren, dramatisieren, ja sogar eigene Bedeutung schaffen können.
So kann die Kamera nach einem Argument zum Beispiel auf nickende Köpfe im Publikum schwenken oder aber auf den skeptischen Blick eines anderen Gastes.
Eine frontale Einstellung kann offenes Interesse suggerieren, eine seitliche eher Skepsis. Der Blick von unten signalisiert einen hohen Status des Sprechers. Kamera und Regie bestimmen auf diese Weise, wie der Zuschauer etwas wahrnimmt. „Die Kamera wirkt, ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen“, sagt Linguist Holly. Der Redner hat keinen Einfluss darauf, ob er so in einen positiven oder negativen Rahmen gestellt wird. Deswegen verwundert auch das Bekenntnis von Fritz Kuhn nicht: „Jeder Politiker weiß: Ich muss mit dem Moderator und dem Bildregisseur klarkommen. Und mit denen geht man dann nach der Sendung noch was trinken.“
Für die Sender sind die Talkshows relativ billige Quotenbringer, die mit kleinen Redaktionen auskommen. Entscheidend für die Show-Macher ist der Promifaktor, glaubt der Berliner Medienexperte Jo Groebel: Bekannte Persönlichkeiten hält er für mindestens so entscheidend wie die Sachkompetenz.
Folgende Typen müssen laut Groebel vertreten sein: ein Star-Moderator, der so interessant ist, dass Bild, Bunte und Co. sein Liebesleben auf der Titelseite analysieren. Hinzu kommen der Sympathieträger als Identifikationsfigur und der Lieblingsfeind, über den man sich gut aufregen kann. Die „Betroffenen“ sorgen für die nötige Authentizität – auch wenn sie bei Anne Will auf ein separates Sofa abgeschoben werden. Die Experten sollen für Objektivität sorgen, sind aber meist etwas langweilig.

Gepflegte Kakofonie
Der Mainzer Politologe Jürgen W. Falter ist ein begehrter Experte, allein bei Christiansen saß er 23 Mal in der Runde. Das Phänomen Talkshow nennt er „Wanderzirkus mit wechselnder Besetzung“: Statt echter Gespräche hat er hier die „gepflegte Kakofonie“ kennengelernt.
Dahinter sieht er ein Kalkül der Redaktionen: Denn obwohl sich die Zuschauer über die durcheinanderredenden Politiker aufregen, bleiben sie so bei der Stange. Längere Redebeiträge gelten als Quotenkiller – so wurde es zu Christiansens Markenzeichnen, ihre Gäste just dann zu unterbrechen, wenn sie mal etwas Profunderes von sich gaben.
Der Nutzen der Polit-Runden wird deshalb immer wieder infrage gestellt. Falter hält es für problematisch, dass die Talkshows die prominenten Programmplätze besetzen: „Eine Überdosis Talk frisst die notwendige Aufklärung durch das Fernsehen.“
Fritz Kuhn begrüßt den Boom der Polit-Talkshows: „Es ist eine Verbreiterung der politischen Kommunikation. Man erreicht auch Leute, die sonst nicht viel mit Politik zu tun haben.“
Stephanie Mersmann (Rhein-Hunsrück-Zeitung, 8. 12. 2007)

Die Vorträge des Symposiums sowie zusätzliche Beiträge von ebenfalls renommierten Talkshow-Forscher/-inne/n werden im kommenden Jahr in einem Band publiziert. Nähere Informationen hierzu erhalten Sie unter polit-talkshow@uni-mainz.de.