ABiD-Landesbeauftragter bescheinigt Baden-Württemberg Fortschritte bei nötigen Behindertenrechten

"Gerade bei leichter Sprache, Blinden- und Behindertengeld oder Partizipation gibt es noch Nachholbedarf!"

"Das 'Ländle' ist in der Umsetzung von Behindertenrechten Vorreiter und Nachzügler zugleich!" - Diesen Befund attestiert der neue Landesbeauftragte im Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland für Baden-Württemberg in einer ersten Stellungnahme nach seiner Berufung durch den Vorstand. Dennis Riehle erklärt: "Gerade, was die Gesetze und Regeln in Bezug auf Transparenz und Kontrolle in den psychiatrischen Kliniken und Behinderteneinrichtungen angeht, haben unsere Bestimmungen durchaus einen vorbildlichen Charakter, wenngleich es in der Umsetzung noch immer hakt. Zwar gibt es Strukturen, die Missstände und Fehlentwicklungen in diesen stationären Institutionen aufklären und verhindern sollen. Gleichzeitig bleiben die Mechanismen gerade durch den Personalmangel weiterhin hinter ihren Erwartungen und Zielen zurück. Menschen mit einer seelischen, körperlichen oder geistigen Erkrankung müssen nämlich das uneingeschränkte Recht auf würdige Behandlung haben. Bevormundende und Zwangsmaßnahmen sind noch deutlich stärker zu reduzieren und dürfen nicht zweckentfremdet werden, um Patienten ruhigzustellen und damit Engpässe in der Personalversorgung zu kompensieren. Wenngleich es viele Beschwerdemöglichkeiten gibt und sich behinderte Personen an diverse Fürsprecher wenden können, sind es die fehlende Niederschwelligkeit und Bekanntheit solcher Ombudsstellen, welche ihre Inanspruchnahme nicht selten verhindern. Wir brauchen zudem mehr unangekündigte Besuche der zuständigen Qualitätskommissionen, die die Einhaltung von Standards entsprechend überwachen", so Dennis Riehle in seinen weiteren Ausführungen.

Im Bereich der Barrierefreiheit bemühe sich die grün-schwarze Koalition in Stuttgart durchaus, die Kommunen in der Realisierung vom Hürdenabbau zu unterstützen und sie zu ermutigen, beispielsweise Haltestellen und Bahnhöfe umzugestalten und für mobilitätseingeschränkte Bürger zugänglich zu machen. Allerdings sei der Investitionsstau groß, weshalb es deutlich langsamer vorangehe: "Letztendlich müssen aber auch Genehmigungsverfahren durch einen Bürokratieabbau beschleunigt werden. Gerade barrierefreie Umbauvorhaben müssen Priorität erlangen und sollen nicht nur durch finanzielle Förderung, sondern auch mithilfe von mehr Planungsstellen Vorrang erhalten". Riehle fordert zudem, dass weitere Anstrengungen unternommen werden, die Verwaltung behindertengerecht zu machen und beispielsweise Formulare, Broschüren und Anträge konsequent in leichterer Sprache bereitzustellen. Gleichzeitig müssen sie auch für Blinde und Sehbehinderte geeignet sein, weshalb in öffentlichen Schreiben und Bekanntmachungen eine größere Schriftart verwendet werden sollte. "Bescheide müssen überdies derart verständlich werden, dass behinderte Menschen ihren Inhalt problemlos nachvollziehen können", sagt Riehle. Auch setze er sich für einen Ausbau an Beratungsstellen ein, die in sozialen und gesundheitlichen Belangen eine erste unabhängige und kostenfreie Anlaufstelle darstellen. "Die IBB sind hierfür ein echtes Leuchtturmprojekt, deren Grundgedanke weiterentwickelt und bisherige Erfolge, aber gleichsam Schwächen, evaluiert werden müssen".

Deutliche Kritik übt der aus Konstanz stammende und dort wohnende Landesbeauftragte an den niedrigeren Leistungen für blinde und behinderte Menschen im Südwesten: "Dass das Blindengeld bei uns im Vergleich mit den anderen Ländern nur im Mittelfeld liegt, ist für das reiche und wirtschaftsstarke Baden-Württemberg beschämend und sollte ganz dringend verändert werden. Auch muss sich die Landesregierung für ein verbindliches Behindertengeld über den Bundesrat einsetzen, damit es zu einer national einheitlichen Regelung kommen kann, die jedem Behinderten pauschalisiert zugutekommt, auch wenn dieser nicht steuerpflichtig ist und damit von den Nachteilsausgleichen beim Finanzamt ausgeschlossen ist. Die Mehrbedarfe im täglichen Leben, die Menschen mit Handicaps sehr regelmäßig benötigen, müssen stärker ins Bewusstsein der Politik gerückt werden. Es wäre schön, wenn Baden-Württemberg hierzu die Initiative ergreifen würde", meint Riehle und erklärt abschließend: "Prinzipiell besteht noch Luft nach oben, was die Umsetzung der UN-Konvention bei uns im Bundesland angeht. Die Chancen zu Partizipation und Teilhabe müssen hier weiter verinnerlicht und zu einer völlig selbstverständlichen Realität werden. Zwar werden Behindertenvertreter in wesentliche Entscheidungen oder Gesetzesvorhaben einbezogen und damit auch angehört. Die Beteiligung sollte aber mehr Verbindlichkeit und Konsequenz bekommen. Allzu oft sind wir noch Bittsteller. Das betrifft gerade diejenigen politischen Entscheidungen, welche nicht auf den ersten Blick mit Barrierefreiheit in Verbindung gebracht werden. Schließlich sind behinderte Menschen von fast jedem Entschluss der Legislative und Exekutive betroffen, weil wir eben ganz normale Bürger und deshalb ein fester Bestandteil in der baden-württembergischen Gesellschaft sein möchten, der nicht um jedes Recht und Anspruch betteln und ringen will".