Warum sind Feste wichtig? - Ein Soziologe über die Notwendigkeit, einmal die Sau rauszulassen.

Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es die berühmt berüchtigten Partykeller, in denen „geswooft“ wurde. Diese Institutionen sind völlig verschwunden, genauso wie Hausbars und sogar die traditionellen Stammtische in den Kneipen verschwinden. Stattdessen „Lunch Beat“, also feiern ohne Alkohol in der Mittagspause, um gestärkt den restlichen Arbeitstag gutgelaunt zu beginnen. Es scheint, als ob das Feiern seinen ekstatischen und archaischen Charakter verliert und zu einem bloßen Event wird. Über diesen Wandel sprachen wir mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo vom Institut für Theoriekultur.

Frage: Was ist Feiern eigentlich? Was macht es mit uns, wenn wir uns darauf einlassen?

Sacha Szabo: Beim Feiern vergessen wir uns selbst. Der Mensch leidet unter dem Wissen um seine Endlichkeit und seine Verletzlichkeit. Dieses Wissen entsteht dadurch, dass der Mensch in Distanz zu sich tritt und sich selbst reflektieren kann. Es gibt ein Bedürfnis diese Kränkungen für einen kurzen Moment zu vergessen. Und innerhalb der Kultur gibt es dafür exklusive Institutionen, das sind die Feste. Dort tritt der Mensch in eine Erlebnisgegenwart. Zukunft und Vergangenheit sind aufgehoben und man vergisst seine Sterblichkeit. Es ist ein Jenseits des Alltags. Es ist der Außeralltag.

Frage: Fehlt uns heute mitunter der Mut über die Stränge zu schlagen? Oder sind wir zu vernünftig, um nicht schon in der Nacht an den Kater am nächsten Morgen zu denken? "Lebenslänglich Aschermittwoch" überschrieb die FAS im Februar eine Geschichte, die eine neue "Zivilisationskrankheit" beschreiben wollte: der freiwillige Verzicht.

Sacha Szabo: Der Mensch hat immer das Bedürfnis nach Unmittelbarkeit. Lacan spricht hier vom Realen. Es ist das Naturhafte, das unmittelbare, das in den Festen aufblitzt. Dieses Selbstvergessen ist notwendig, weil wir dort die unkultivierte Natur erleben, die wir dann symbolisch in Kultur umformen. Und die besondere Eigenschaft des Menschen ist, dass er ein Generalist ist, aber ein exklusiver Spezialist darin, Kultur zu schaffen. Und um das zu leisten, muss er sich von Zeit zu Zeit seiner Naturhaftigkeit exponieren, um Inspiration für seine Kulturleistungen zu gewinnen. Denn nur so kann Realität überhaupt entstehen. Es ist also notwendig mal die „Sau rauszulassen“, um wirklich Mensch zu sein.

Frage: Hat der öffentliche Event das selbst organisierte und zelebrierte Fest abgelöst?

Sacha Szabo: Man kann zwischen dem Fest und der Feier unterscheiden. Die Feier ist formeller, symbolischer, das Fest exzessiver und chaotischer. Beides gehört auch zusammen, so gibt es eine Geburtstagsfeier und ein Geburtstagsfest. Das eine feiert man mit der Familie und das andere mit Freunden. Ein Event ist die erlebnisindustrielle Inszenierung eines außeralltäglichen Erlebnisses. Wenn er gut geplant ist, dann garantiert er eine Erlebnisgarantie. Allerdings fehlt bei diesen Events etwas, was bei den traditionellen Festen vorhanden war, nämlich die Integration in einen Sinnkontext. Traditionelle Feste waren in der Familie, in der Gemeinschaft verankert. Ein Event ist ein singuläres Ereignis in dem man temporär zu einem Wir verschmilzt, aber dies keine dauerhafte Bindung erzeugt.

Frage: Wenn es tatsächlich so ist, dass heute weniger gefeiert wird: Fehlen uns diese Übergangsriten, Gemeinschaftserlebnisse und das Heraustreten aus dem Alltag nicht?

Sacha Szabo: Die Feste verändern sich. Traditionelle Feste verlieren an Attraktivität, weil die dahinterstehenden Sinnhorizonte aus dem Blick geraten. Es gibt aber auch neue Traditionen. Etwas das ich sehr spannend finde ist der Ballermann. Es ist eine Art postmoderner Karneval. Ähnlich dem Oktoberfest oder dem Kölner Karneval, wird dort ein außeralltäglicher Zustand, eine Feiergemeinschaft erzeugt. Und genau das ist das Besondere. Den Ballermann gibt es gerade einmal ungefähr 20 Jahre. Es ist eine neue Tradition und viele Dinge, die man jetzt im Kontext des Ballermanns beschreiben kann, nämlich die Form dieses Phänomen zu regulieren, ist ein Zivilisationsakt und eine Transformierung des Ummittelbaren ins Symbolische, das viele Feste schon hinter sich haben. Ein anderes sehr poetisches Fest sind die Holi-Festivals oder auch Tomorrowland in Belgien. Also alles Beispiele für völlig neue Festphänomene, in denen außeralltägliche Gemeinschaftserlebnisse stattfinden.