Brasilien: Kein Brot, aber Spiele

Ein Gastbeitrag von Dawid Danilo Bartelt für Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis
Berlin, 10.01.2014 - Der Vertreter der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro sprach 20 Minuten zu den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Im abgedunkelten Showroom des Projekts Porto Maravilha („Wunderbarer Hafen“) drückte er Knopf auf Knopf eines großen Lageplans des Gebiets um den ehemaligen Hafen im Stadtzentrum, um Straßenbahntrassen, Liegeplätze für Schiffe, Museumsneubauten, Hotels, Restaurants und dergleichen aufscheinen zu lassen. Es kam eigentlich alles vor in seinem Referat. Bis auf die 40.000 Menschen, die in den Vierteln Saúde, Gamboa, Santo Cristo leben.

Es sind Menschen unterer Einkommensklassen, die in zumeist heruntergekommenen Häusern des Hafenviertels wohnen. Dass die Stadtverwaltung auf sie nicht so leicht zu sprechen kommt, hat einen einfachen Grund: Viele von ihnen sollen weg. Oder sind bereits zwangsgeräumt. Ihre Wohnungen werden abgerissen, um Platz für Neubauten zu machen: Bürogebäude, Hotels, Apartments. Ob die, die bleiben können, danach noch ihre Miete zahlen können, wenn das Viertel erst einmal schick geworden ist, darf bezweifelt werden.

Rio de Janeiro hat sich auf Großereignisse gleichsam spezialisiert. Für die Veränderungen zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 lautet das Versprechen einmal mehr: die Bevölkerung wird davon profitieren. Betrachtet man Infrastruktur, öffentlichen Nahverkehr und städtische Dienstleistungen, also das, was den Alltag der meisten Menschen prägt und über die Lebenswertheit eines städtischen Gemeinwesens noch vor Grünflächen und Freizeitanlagen entscheidet, so hat sich bisher wenig getan.

Privatisierung des öffentlichen Raumes
Am meisten Bewegung ist noch bei der Modernisierung der völlig überlasteten Flughäfen, die ja nicht direkt zum öffentlichen Nahverkehr gehören. Schaut man auf das Ganze, so hat sich ein Modell durchgesetzt, dass auf die Eventisierung und Privatisierung des öffentlichen Raumes setzt – und damit den Grundprinzipien des so genannten Stadt-Statuts von 2001 zuwiderläuft. Dieses Gesetz von 2001, unter großer Beteiligung der Zivilgesellschaft zustande gekommen, verpflichtet alle Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern auf Stadtentwicklungspläne, in denen u.a. Umweltschutz, die soziale Verpflichtung des städtischen Eigentums und im Enteignungsfall eine rechtzeitige und angemessene Entschädigung festgeschrieben sind. Artikel 2 spricht den Bewohnern das „Recht auf eine nachhaltige Stadt“ zu, einschließlich des „Rechts auf Wohnung, auf Umweltsanierung, auf städtische Infrastruktur, Transport und öffentliche Dienstleistungen, auf Arbeit und auf Freizeit“. Stadtpolitik müsse demokratisch organisiert sein, unter Beteiligung der Bevölkerung bei der Entwicklung und Durchführung von Stadtentwicklungsplänen und –projekten.
Fragt man die zur Zeit wohl aktivste städtische soziale Bewegung, die 12 WM-Volkskomitees und ihre Nationale Vereinigung (ANCOP), so fällt die Bilanz bitter aus: „Das wahre Vermächtnis des Projekts in Rio: eine ungleichere Stadt, die Tausende von Familien entfernt und ganze Siedlungen zerstört haben wird. Den Großteil der Vorteile und Gewinne eignen sich dagegen nur wenige ökonomische und soziale Akteure an“, heißt es in einem Dossier über Megaevents.

Die gemeinnützige Nichtregierungsorganisation Fifa erlaubt sich im Tausch gegen das Premiumprodukt Fußball-WM Eingriffe in die Souveränität der Gastländer. Da einige geltende brasilianische Gesetze den Fifa-Interessen zuwiderliefen, musste Brasilien 2012 ein eigenes WM-Gesetz erlassen. So ist Alkoholausschank in den Stadien verboten, Hauptsponsor Budweiser aber will – und darf nun - Bier verkaufen. Schüler, Studenten und Rentner bekommen normalerweise auf alle Eintrittskarten 50 Prozent Ermäßigung; nun gilt die Ermäßigung nur noch für das begrenzte Kontingent in der billigsten Kategorie. Das Gesetz verhängt den geforderten Bannkreis von zwei Kilometern Durchmesser rund um die Stadien, Trainingsorte und Fanfeste. Das sind riesige Stadtgebiete und bedeutet für die zahlreichen Menschen, die vom Straßenhandel leben, eine erhebliche Beeinträchtigung. Spezielle Straftatbestände sind eingeführt worden, vom „Markenmissbrauch“ bis zum „Terrorismus“, den es bisher im brasilianischen Strafrecht (und auch nicht in der Praxis) nicht gab. Bürgerrechtler befürchten, dass es sich hierbei um die nachhaltigsten Elemente des WM-Vermächtnisses handeln könnte.

Fifa erlaubt sich Eingriffe in Souveränität der Gastgeberländer
Das WM-Gesetz, das Olympia-Gesetz von 2009 und die Differenzierte Ausschreibungsregelung (2011) sind die wichtigsten Elemente eines Sets juristischer Maßnahmen, das ein Ausnahme- und Privilegiensystem für die Megaevents etabliert. Ausschreibungen für Bauvorhaben müssen zum Beispiel nicht mehr öffentlich ausgeschrieben werden, ein Projektentwurf kann entfallen, es muss nicht mehr das kostengünstigste Angebot den Zuschlag erhalten. Nutznießer sind visabefreite Fifa-Funktionäre, Baufirmen, Politiker. Verlieren tut vor allem die öffentliche Hand, denn viele Maßnahmen laufen auf eine Erhöhung der eh schon astronomisch hohen öffentlichen Verschuldung hinaus. Außerdem ist der Staat verpflichtet, gegenüber der Fifa für alle etwaigen Schäden aufzukommen. Damit verliert letztlich die Allgemeinheit.

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