Deutungen und Interpretationen deutscher Wehrmachtgeneräle in britischer Kriegsgefangenschaft

»Herr General, danke, dass Sie mich empfangen haben.«
Mit diesem Satz beginnt Hans Magnus Enzensberger eines seiner fiktiven Interviews in seinem Roman-Essay Hammerstein oder der Eigensinn, in dem er versucht, die Gedanken, Deutungen und Denkweisen einiger Angehöriger der deutschen politischen und militärischen Eliten der frühen 1930er Jahre zu ergründen.
Die Frage auf welche Weise Einzelne oder Gruppen den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg erlebt und zeitgenössisch gedeutet haben fasziniert Schriftsteller wie Historiker gleichermaßen. Die von Enzensberger gewählte literarische Form der Totengespräche, in denen er seinen Dialogpartnern – auch auf der Grundlage der Lektüre von Quellen – Erfundenes, aber Plausibles in den Mund legt, ist ein traditionsreicher Ansatz, sich der historischen Wirklichkeit über Fiktionen anzunähern; dieser Zugang entspricht aber keineswegs den methodischen Anforderungen einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit.

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Die quellenfundierte Erforschung der Erfahrungsgeschichte des Zweiten Weltkriegs steht erst am Anfang und kann bisher nur auf einzelne, thematisch unzusammenhängende Studien
zurückgreifen. Von einem Überblickswerk, das die zeitgenössische Rezeption und Deutung des Krieges durch die Deutschen fundiert thematisiert, ist man zurzeit noch weit entfernt. Die vorliegende Studie soll dazu beitragen, diese Lücke speziell für den Bereich der deutschen Wehrmachteliten, auf der Grundlage einer fundierten Quellenbasis, zu schließen. Dabei wird auf die unlängst ins Zentrum der Weltkriegsforschung gerückte Quellengattung der Abhörprotokolle zurückgegriffen, die die Gespräche deutscher Generäle in britischer Gefangenschaft dokumentieren.2 Diese Zeugnisse stellen gewissermaßen eine wissenschaftlich tragfähige Variation der Enzensbergerschen Interviews dar und bieten der Forschung neue innovative Möglichkeiten, die Perzeptionen, Deutungsmuster und Kommunikationsstrategien deutscher Wehrmachtangehöriger zu rekonstruieren.
Eine eingehende mentalitätsgeschichtliche Untersuchung der Gruppe der Wehrmachtgeneräle wurde in der Vergangenheit wiederholt vehement gefordert, bisher aber nur kursorisch durchgeführt und stellt somit nach wie vor ein Forschungsdesiderat dar. Lediglich einzelne biografische Studien und die richtungweisende Arbeit Johannes Hürters zu den deutschen Oberbefehlshabern an der Ostfront haben sich in der Vergangenheit diesem Bereich gewidmet. Ältere militärhistorische Studien beschäftigten sich gewiss auch mit dieser Personengruppe, jedoch primär aus einer operationsgeschichtlichen Perspektive.
Im Gegensatz dazu soll die vorliegende Arbeit aufzeigen, wie Angehörige dieser Positionselite7 zeitgenössische Situationen während des Zweiten Weltkrieges, aber auch den erwarteten Kriegsverlauf wahrgenommen und gedeutet haben: Welches Bild machten sie sich von den anderen am Krieg beteiligten Staaten? Welche übergeordneten Feindbilder prägten das Denken der Generäle? Wie bewerteten sie die Wehrmacht und ihr Personal? Welche Einschätzung trafen sie über den Verlauf des Kriegs und welche Zukunftserwartung knüpften sie daran? Welche Bedeutung nahm das Selbstverständnis als deutscher Offizier in ihrem Denken ein? Und auf welche Weise positionierten sie sich gegenüber dem Nationalsozialismus und seinen Exponenten?
Diesen Fragen soll in der vorliegenden Studie sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene nachgegangen werden.

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