Realismus und Naturalismus in der Literatur

Europa im 19. Jahrhundert war der Brandherd vieler Revolutionen und Kriege und gleichzeitig in der Blüte des industriellen Aufschwungs. Viele Menschen kamen zu neuem Wohlstand, noch mehr jedoch verarmten in den überfüllten Städten.

Wie in jeder Epoche führten auch diese historischen Entwicklungen zu Veränderungen in Kunst, Kultur und nicht zuletzt der Literatur. So bildete sich Mitte des 19.Jahrhunderts die geistige Strömung des Realismus und wenig später der Naturalismus heraus. Vom Realismus spricht man von 1848 bis etwa 1885. Die Epoche des Naturalismus wurde von 1880 bis 1900 festgelegt.

Die grundlegenden Prinzipien beider Strömungen waren die gleichen. Beide hatten als Leitfaden die Darstellung der Wirklichkeit. Es sollte das Leben und die Umgebung so wieder gegeben werden, wie sie ist. Subjektive Eindrücke sowie Beschönigungen sollten vermieden werden. Häufig wollten die Autoren das harte Leben der Bevölkerung beschreiben. Daher wurden als Spielorte oft Dörfer oder kleine Gemeinden und als Akteure Menschen mit einfachen, nicht-akademischen Berufen gewählt.

Um einen objektiven Eindruck zu vermitteln, versuchten Schriftsteller dieser Epoche aus der neutralen Perspektive zu schreiben, das heißt, keine persönliche Wertung erkennen zu lassen, und aus der Sicht eines Außenstehenden zu berichten.

Wichtig für beide Strömungen war die Darstellung der Entwicklung eines Individuums, nicht einer Gruppe oder Bevölkerungsschicht. Den Realismus kann man als eine Art gemäßigten Naturalismus bezeichnen, denn die Realisten stellten zwar die Welt möglichst real dar, gingen aber im Gegensatz zu den Naturalisten selten auf negative Themen ein.

Geprägt von Darwins Erkenntnissen der Evolution und neuen Errungenschaften der Technik bezogen sich naturalistische Werke mehr auf Naturwissenschaften. Sie waren der Beweis für die Wirklichkeit. Naturalisten waren aufgrund wachsender sozialer Missstände sehr pessimistisch eingestellt und machten viele Probleme des Alltags zum Thema ihrer Schriftstücke. Der Naturalismus diente mehr der Aufklärung, Kritik und Provokation.

Beide Literaturströmungen wollten sich klar von der Klassik und der Romantik abheben, bei denen die Darstellung einer problemlosen Welt, beziehungsweise die Flucht aus der Realität, Gegenstand sämtlicher Werke war.