Ehemalige Heimkinder: Missbrauchsopfer unterlag vor Gericht

Dr. jur. Christian Sailer Rechtsanwalt, Am Trabelt 9, 97828 Marktheideneld
e-mail: info@kanzIei-sailer.de, http://www.kanzlei-sailer.de
29. Juni 2012

Missbrauchsopfer unterliegt vor Gericht

Am 28.06.2012 fand vor dem Oberlandesgericht Bamberg der 6 Jahre währende Rechtsstreit zwischen Alexa M. Whiteman und der Diozöse Würzburg sein vorläufiges Ende. Die heute 51-jährige Klägerin war von 1964 bis 1974 in einem katholischen Kinderheim in Würzburg untergebracht, das für viele Kinder die Hölle war. Sie wurden gedemütigt und geschlagen, mussten Erbrochenes aufessen und ständig „Sünden“ beichten. Alexa Whiteman wurde nach ihren Schilderungen einer besonderen Tortur unterworfen, nämlich jahrelangem sexuellen Missbrauch und Vergewaltigungen durch einen Priester. Die Sozialverwaltung hat dies im Rahmen eines Opferentschädigungsverfahrens bereits anerkannt. Nunmehr verlangte Frau Whiteman von der Kirche Schadensersatz.

Doch diese sabotierte eine Wiedergutmachung durch die Einrede der Verjährung. Das Oberlandesgericht gab dieser Einrede weitgehend statt. Soweit die Taten des Priesters (der längst verstorben ist) noch nicht verjährt waren, nämlich für einen Zeitraum von wenigen Monaten im Jahr 1974, hielt das Gericht die Schilderungen der Klägerin über das ihr widerfahrene Unrecht fur lückenhaft und widersprüchlich.

Rechtsanwalt Dr. Christian Sailer der die Klägerin vor Gericht vertrat, kritisiert die Vorgehensweise von Kirche und Justiz:

„Ich habe die deutsche Bischofskonferenz und den Papst gebeten, auf den Würzburger Bischof einzuwirken, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Aus Rom bekam ich überhaupt keine Antwort und von der deutschen Bischofskonferenz wurde ich mit Ausreden abgespeist. Die salbungsvollen Worte von Kirchenfunktionaren über das Leid der Opfer kirchlicher Sexualverbrechen sind ein Hohn, solange die Kirche die Wiedergutmachung dieser Verbrechen mit der Einrede der Verjährung sabotiert.“

Auch das Vorgehen des Gerichts begegnet scharfer Kritik des Anwalts: „Vor kurzem erging eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der darauf hingewiesen wurde, dass die Opfer sexueller Gewalt vielfach in Beweisschwierigkeiten sind und dass die Gerichte darauf Rücksicht nehmen solIten. Das Oberlandesgericht Bamberg ignorierte dies. Obwohl der Klägerin von verschiedenen Gutachtern ihre Glaubwürdigkeit bestätigt wurde, zweifelte das Oberlandesgericht daran: ,Die fehlende Konstanz der klägerischen Angaben, z.B. zum Tatort, Tatgeschehen und dem Zeitraum der Ereignisse spricht dafür, dass jedenfalls erhebliche Erinnerungslücken bei ihr vorhanden sind‘.“

Frau Whiteman selbst ist darüber empört: „Diese Richter waren befangen“. Rechtsanwalt Sailer hat dafür Verständnis: „Wie kann ein Gericht daran Anstoß nehmen, dass jemand nach über 30 Jahren „Erinnerungslücken“ hat, obwohl die Traumatisierung der Klägerin gutachtlich nachgewiesen war und auch vom Gericht für möglich gehalten wurde. Dieses Urteil ist ein schlechtes Omen fur die Behandlung der Überlebenden sexueller Gewalt in kirchlichen und staatlichen Heimen durch die Justiz. Die Richter aus Bamberg glaubten der Klägerin nicht, weil sie es offensichtlich nicht fur möglich hielten, dass in einem kirchlichem Heim Sexualverbrechen in Fortsetzungszusammenhang begangen wurden. Obwohl dies längst tausendfach bewiesen ist!

Der Anwalt prüft jetzt, ob er seiner Mandantin zu einer Revisionsbeschwerde raten soll.


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Nachgedacht

Es ist für den Anwalt natürlich leicht, hier großzügig zu erscheinen, wenn er seine Arbeit auf Kosten anderer gemacht hat.

Missbrauchsopfer unterliegt vor Gericht

Wer das Geld hat, hat die Macht und wer die Macht hat, hat das Recht.

Alexa Whiteman hat Jahre lang gekämpft. Für ihr Recht und damit gleichzeitig für das Recht aller Überlebenden. Sie tat dies in den letzen Jahren mit einem wirklich guten, solidarischen und über alle Maßen zugewandten Anwalt an ihrer Seite. Einem ausgewiesenen Opferanwalt!

Alexa hat verloren – nicht aus Mangel an guten Anwälten, nicht aus Mangel an Beweisen sondern TROTZ alledem. Sie hat diese Berufung verloren, weil da ein Richter saß, der von Anfang an betont hat, er wolle keinen Präzedenzfall schaffen. Und weil – davon bin ich überzeugt – in diesem unseren Staate es immer noch nicht selbstverständlich ist, gegen die Übermacht der Kirche anzugehen. Nicht politisch und – wie man sieht – auch nicht juristisch.

Der Ausgang der Berufungsverhandlung wirft ein grelles Licht auf unser Land und seine Organe. Und macht überdeutlich, wie sehr wir weiterhin ein Kirchenstaat sind, in dem kaum eine bahnbrechende Entscheidung ohne Mitsprache – und entsprechende Zustimmung – der Kirchenfürsten gefällt wird.

Ich respektiere deine Entscheidung, Alexa, nicht weiter vor Gericht um dein Recht zu kämpfen. Ich wünsche dir Mut und Kraft dabei, dein Leben in neue Bahnen zu lenken. Und ich danke dir für all die Kraft und all den Mut, die du in den Kampf der Überlebenden deutscher Kinderheimhöllen investiert hast!