Gleichstellung aller ehelichen und nichtehelichen Kinder im Erbrecht

Nach wie vor gilt eine alte Übergangsregelung, die nichteheliche Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, vom Erbrecht nach ihren Vätern ausschließt. Sie gelten bis heute mit ihren Vätern als nicht verwandt, haben daher auch bis heute kein gesetzliches Erbrecht. Nur die nichtehelichen Kinder, die später geboren wurden, bekamen in der Bundesrepublik bereits 1970 ein gesetzliches Erbrecht.

Die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung wurde vom Bundesverfassungsgericht wiederholt bestätigt. Inzwischen liegt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 28.5.2009 vor, wonach die entsprechende Regelung im Nichtehelichengesetz (NEhelG) gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 iVm Art. 8 EMRK verstößt.

Gleichwohl hat das OLG Stuttgart diese Rechtsprechung des EGMR nicht zur Grundlage seiner Entscheidung vom 24.11.2009 gemacht.

Eine Entscheidung des EGMR bezieht sich auf alle staatlichen Organe und Gerichte. Diese sind grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit sowie unter Beachtung der Bindung an Gesetz und Recht einen fortdauernden Verstoß gegen die Menschenrechte zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen. Eine vom EGMR für konventionswidrig erklärte Vorschrift ist von den Gerichten völkerrechtskonform auszulegen, soweit Auslegungs- und Abwägungsspielräume vorhanden sind. Zumindest muss sich das Gericht mit der Auslegung des EGMR gebührend auseinandersetzen und sie in die Entscheidungsfindung einbeziehen.

Das OLG Stuttgart hat den Erbanspruch eines 1931 nichtehelich geborenen Kindes gegen seinen Vater zurückgewiesen, indem es auf das Vertrauen des Erblassers in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgestellt hat. Der Erblasser war vor der Entscheidung des EGMR, also vor dem 28.5.2009 verstorben. Er habe auf die Verfassungsmäßigkeit des NEhelG vertrauen dürfen, also darauf vertrauen dürfen, dass seinem nichtehelichen Kind gerade kein Erbanspruch zusteht, was ihn von der Erstellung einer letztwilligen Verfügung zu Gunsten anderer von ihm bevorzugter Nachkommen abgehalten hatte.

Diese nicht zufrieden stellende Rechtsprechung soll nun ein Ende haben.

Das Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf vorgelegt.
Geplante Regelung
Ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sieht vor, dass alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder künftig gesetzliche Erben ihrer Väter werden:
• Für künftige Sterbefälle werden alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder ehelichen Kindern gleichgestellt. Sie beerben ihre Väter als gesetzliche Erben.
• Dieses Erbrecht der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder soll aber nicht zu Lasten von hinterbliebenen Ehefrauen und Lebenspartnern gehen. Um deren Vertrauen in die frühere Regelung zu schützen, wird ihnen eine gesetzliche Vorerbschaft eingeräumt. Das bedeutet: Stirbt der Vater, erben zunächst seine Ehefrau oder sein Lebenspartner. Erst wenn auch diese sterben, geht ihr Anteil als sog. Nacherbschaft an die betroffenen nichtehelichen Kinder.
• Bei Sterbefällen, die sich bereits vor Inkrafttreten der geplanten Neuregelung ereignet haben, sind die erbrechtlichen Folgen schon eingetreten. Das Vermögen des Verstorbenen ist bereits auf die nach alter Rechtslage berufenen Erben übergegangen. Um ihr Vertrauen in die entstandene Eigentumslage zu schützen, unterliegt die rückwirkende Entziehung solcher Erbschaften sehr engen verfassungsrechtlichen Grenzen:

o Möglich ist, die Neuregelung auf Todesfälle zu erweitern, die erst nach der Entscheidung des EGMR am 28. Mai 2009 eingetreten sind. Denn seit der Entscheidung können die nach altem Recht berufenen Erben nicht mehr auf ihr Erbe vertrauen.
o Für nichteheliche Kinder, deren Väter bereits vor dem 29. Mai 2009 verstorben sind, muss es aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich bei der früheren Rechtslage bleiben. Eine Ausnahme ist für Fälle geplant, bei denen der Staat selbst zum Erben geworden ist, zum Beispiel weil es weder Verwandte noch Ehegatten bzw. Lebenspartner gab oder weil die Erbschaft ausgeschlagen wurde. In solchen Konstellationen soll der Staat den Wert des von ihm ererbten Vermögens an die betroffenen nichtehelichen Kinder auszahlen.
Momentan erhalten die Länder und Verbände Gelegenheit, zu dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums Stellung zu nehmen.
Maria U. Lottes
Rechtsanwältin, Düsseldorf
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