Angie, Maggie und die Krise - Vom Steinzeit-Kapitalismus und der deutschen Bewunderung für die Eiserne Lady

London/Borken - Drei Jahrzehnte ist her, seit Margaret Thatcher als erste Premierministerin des Vereinigten Königsreichs die Regierungsgeschäfte in der Londoner Downing Street übernahm. Über ein Jahrzehnt sollte sie dort die Fäden ziehen und Großbritannien vor allem wirtschaftlich auf Vordermann bringen. Als sie ihr Amt antrat, „nach jenem düsteren Streikwinter, wurde sie von vielen Leuten noch immer nicht ernst genommen“, schrieb Lord Ralf Dahrendorf in der Weltwoche http://www.weltwoche.ch. „Früher oder später, hieß es, würden die Granden der Konservativen Partei sie beiseite nehmen und sagen: ‚Margaret, was Sie tun, ist in Ordnung, aber es wäre besser, Sie überließen den Job jemandem, der über mehr Erfahrung verfügt und besser mit der Partei zusammenarbeitet.’ Stattdessen schickte sie die Granden in die Wüste“, so Dahrendorfs Beitrag aus dem Jahr 2005.

Die Eiserne Lady hat bis heute gewiss nicht nur Fans, vor allem in Deutschland fallen die Urteile über sie sehr differenziert aus. „Thatcherismus: das klingt nach sozialem Kahlschlag, nach Steinzeit-Kapitalismus und politischer Konfrontationsstrategie – alles keine Vokabeln, mit denen sich deutsche Politiker, egal welcher Richtung, gern bedenken lassen“, stellt Dominik Geppert in seinem Buch „Maggie Thatchers Rosskur – Ein Rezept für Deutschland?“ fest. Gleichwohl „hat sich in jüngster Zeit die Wahrnehmung Thatchers verschoben. Sie erfährt derzeit in allen politischen Gruppierungen – teils klammheimliche, teils unverhohlene – Bewunderung.“ Das schrieb Geppert 2003. Mittlerweile regiert eine Frau die Republik, die vor ihrer Wahl zur Kanzlerin sogar einmal mehr Freiheit für den Einzelnen wagen wollte, doch der Vergleich der beiden Damen kann nur hinken. Noch einmal Geppert: „Die Britin begann bald nach Übernahme der Parteiführung, sich konsequent als Vorkämpferin und rücksichtslose Verfechterin einer marktradikalen Reformpolitik zu profilieren, während die Deutsche bisher auf Kontinuität setzte, Beharrungskräften gegenüber duldsam auftrat, keinen radikalen Kurswechsel einleitete.“

Und wer Angela Merkel als „liberale Revolutionärin“ bezeichnen würde, wie Andreas Kratschmar in seinem Beitrag im Sammelband „Stichwortgeberinnen“ http://www.verlagnoir.at die englische Premierministerin nennt, verkennt die Realitäten der Großen Berliner Stillstandskoalition. Mit den liberalen Theorien von John Stuart Mill, Friedrich August von Hajek und Milton Friedman schien Thatcher zudem ungleich konsequenter und fundierter zu Werke zu schreiten als die deutsche Kanzlerin. Und was sie tat, tat sie entscheiden: „Die Staatsschulden wurden abgebaut. Die Macht der Gewerkschaften wurde durch neue Gesetze gebrochen, Staatsbetriebe privatisiert, Subventionen gestrichen“, schreibt Kratschmar. Stück für Stück erholte sich die britische Volkswirtschaft in den Thatcher-Jahren vom Niedergang der der vorangegangenen Jahrzehnte.

Was sie heute tun würde, in einer der größten Krisen, die die moderne Ökonomie erlebt hat? Sie würde als Verfechterin des freien Wettbewerbs kaum den staatlichen Mammutprogrammen das Wort reden, die die Staatsschulden ins Utopische befördern und den Menschen das Gefühl vermitteln, der Staat werde das Krisen-Kind schon schaukeln. Ebenso wenig wäre sie wohl an der Spitze der Protektionisten zu vermuten, die derzeit wieder auf dem Vormarsch sind. Insbesondere im Mittelstand kommen Heilsversprechen durch Marktabschottung nicht gut an. „Protektionismus verspricht der heimischen Wirtschaft vielleicht eine kurzfristige Entlastung. Doch die Hoffnung, dass man durch Abschottung und Autarkie keine Krisen mehr zu befürchten habe, ist trügerisch und falsch. Wer den Wettbewerb und den freien Handeln ausschalten will, der legt die Axt an unser Wirtschaftswachstum. Denn in abgeschotteten Märkten wird es keine nennenswerten Innovationen mehr geben“, warnt beispielsweise Christoph Hadder, Geschäftsführender Gesellschafter des weltweit tätigen Unternehmens Nießing Anlagenbau http://www.niessing.de aus dem westfälischen Borken. Gerade die müssten unterdessen in der produktionsärmeren Krisenzeit vorangetrieben werden: „Wir besinnen uns klar auf unsere Stärken und konzentrieren uns darauf, in unserem Segment bei technischen Innovationen ganz vorn dabei zu sein“, so Hadder.