Wenn die Freiheit des Dichters die historische Wahrheit auf den Scheiterhaufen schickt: „Die letzte Hexe“ von Uwe Gardein

Von Christine Gaßel, HAUK MEDIEN ARCHIV

„Die Haare des Engels färben sich schwarz, das Kleid wird rot, die Beine grün bestrumpft, das weiße Pferd wird ein Rappe. "Ich bin es", sagt Lucifer, „ich!“ Maria Anna beginnt zu schreien.“ Es ist das letzte bewusste Auftreten der letzten verurteilten Hexe Deutschlands, Maria Anna Schwegelin, in diesem Buch über ihr Leben. Ein düsterer Roman ist es, den Uwe Gardein da über die wahre Geschichte der Schwegelin geschrieben hat, durchsetzt von Grausamkeit, Aberglauben, Angst und Wahnsinn. Es ist die Darstellung einer Zeit des Umbruchs und einer im Dunkel der Vergangenheit alleingelassenen Frau ohne Halt und Hoffnung. Streckenweise fühlt man sich selbst als Teil der verdrehten Psyche Maria Annas, die überall das Übernatürliche sieht, in Visionen des Paradies, Marienerscheinungen, Zaubernächten und Heimsuchungen des Teufels. Doch der sprunghafte Stil des Autors, der Wechsel von Ort und Zeit, die Einschübe anderer Personen und nicht zuletzt die auf lange Strecken in Gegenwartsform geschriebene Darstellung zehren auch an den Nerven des Lesers. Zu unstet ist die Schilderung, weniger ein Roman als eine abstrakte Zeichnung einer Zeit und einer Seele.

Als Kind einer Mutter, die selbst unter Hexerei- und Mordverdacht stand, wächst die junge Frau als Magd, schlechter gestellt als selbst das Vieh, auf einem Bauernhof im Allgäu auf. Der Aberglauben, der sich trotzdem der Aufklärung, auch in der Mitte des 18. Jahrhunderts bei der einfachen Bevölkerung gehalten hat, ist ihr ständiger Begleiter. Aus Liebe zu einem Kutscher trifft sie zum evangelischen Glauben über, doch in ihrem zutiefst katholisch erzogenen Herz gewinnt in diesem Schritt, in diesem Verrat, der Wahn überhand. Verraten von ihrem Geliebten sieht sie sich selbst als Hure des Teufels, eine Schande, die sie künftig immer begleitet. Sie wird zur Landstreicherin, einer vor vielen in der andauernden Hungersnot, und endet schließlich auf der Feste Langenegg, einem Auffang- und Arbeitslager für das heimatlose Gesindel. Eine eifersüchtige Mitinsassin bezichtigt sie schließlich der Hexerei. Es kommt zum Prozess unter dem Fürstabt von Kempten.

Soweit die als „historischer Roman“ betitelte Darstellung Gardeins. Historisch ist sie insofern, als es tatsächlich eine Maria Anna oder Anna Maria Schwegelin gab, die 1775 im Allgäu der Hexerei bezichtigt und verurteilt wurde. Sie war wirklich im Arbeitshus Langenegg, allerdings berichten die Prozessakten, dass sie ein schweres Beinleiden hatte – ein wildes Leben im Wald, wie von Gardein beschrieben, wäre ihr unmöglich gewesen. Sie gesteht unter eindringlicher Befragung, aber ohne Folter die so genannte „Teufelsbuhlschaft“, einer der Hauptbestandteile des Hexereiverbrechens, und wird zum Tod durch das Schwert verurteilt. Der Roman dagegen schickt die letzte Hexe – wohl um den Erwartungen des Publikums zu entsprechen – statt dessen auf den Scheiterhaufen. Die Hinrichtung wird dem Leser dennoch vorenthalten, der Kaufmann Brugger berichtet nur, Erzählungen von dem Spektakel gehört zu haben.

So eindringlich Gardein die Zeit und die Empfindungen der Personen auch schildert – etwa im Mönch Emmeran, einem Vertreter moderner Ansichten, oder im Fürstabt selbst, der zwischen den Wünschen der fortschrittlichen Städter und rückständigen Bauern hin und her gerissen ist – so frei ist sein Umgang mit dem historischen Schicksal der Maria Anna Schwegelin. Wie die Geschichtsforschung bereits in den 1960er und 70er Jahren festgestellt hat, war die Allgäuerin keineswegs, die letzte Hexe, die in Deutschland hingerichtet wurde. Kurz vor der Urteilsvollstreckung forderte der Fürstabt eine Wiederaufnahme des Verfahrens, das über Jahre verschleppt wurde, bis die Schwegelin 1781 im Gefängnis verstarb. Angeblich war der Beichtvater des Abts dafür verantwortlich, der ihm ins Gewissen geredet hatte. Gardein allerdings greift dieses mysteriöse Detail nicht auf, lieber schickt er seine Protagonistin in voller Erfüllung aller Vorurteile über die düstere Zeit der Hexenverfolgung in den Feuertod – aber das ist die Freiheit des Dichters.

Uwe Gardein: Die letzte Hexe – Maria Anna Schwegelin. Historischer Roman. Gmeiner Verlag 2008.

Zur historischen Forschung:
Wolfgang Petz: Die letzte Hexe. Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin. Campus Verlag 2007.

09.04.2008: | | |

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