Die Bilderberg-Gruppe: Private Gesprächsrunde oder „geheime Weltregierung“?

(von Katharina Dreiling – OPTIMUS Redaktion) Helmut Schmidt, Egon Bahr, Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Angela Merkel, Peer Steinbrück, Olaf Scholz, Jürgen Trittin und Christian Lindner … Die Liste der auserlesenen Teilnehmer vergangener Bilderberg-Konferenzen erstreckt sich über Jahrzehnte.
Ob deutsche Spitzenpolitiker oder einflussreiche Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik, Adel und Journalismus des nordamerikanischen und westeuropäischen Raums, auch 2015 trifft sich die Bilderberg-Gruppe unter dem geschützten Dach des österreichischen Interalpen-Hotels in den Bergen Tirols; so hieß es jüngst in einer Pressemitteilung der österreichischen Landespolizeidirektion Tirol. Dass der Tagungsort schon früh bekannt gegeben wurde, ist unverkennbar ein Hinweis darauf, dass die Aktivitäten und Treffen der Gruppe seit einigen Jahren sehr viel stärker beobachtet werden und ins öffentliche Interesse gerückt sind. Nüchtern betrachtet handelt es sich um ein Treffen hochgestellter Persönlichkeiten, das vor 60 Jahren aus dem Interesse erwuchs, die Beziehungen zwischen Westeuropa und den USA zu verbessern. Die Konferenz und deren Inhalte unterliegen, wie bei ähnlich global ausgerichteten und diskret operierenden Organisationen, der Chatham House Rule. Eine Regelung, die die Freiheit und Anonymität der Mitglieder gewährleisten soll. Was damals als rein informelle Gesprächsplattform der internationalen Mächte gedacht war, wird heute zunehmend als „mächtigste Elite der Welt“ karikiert. Traut man den Schlagzeilen, dann werden Regierungswechsel beschlossen, Pläne für die Zukunft der Weltgesellschaft geschmiedet oder die Weltwirtschaft heimlich angekurbelt. Solche Behauptungen erfahren eine rasante Verbreitung in der massenmedialen Diskussion und bestimmen, was wir als Leser über die Bilderberg-Gruppe wissen und was uns weiterhin verborgen bleibt. Die vergangenen Jahre zeigen, dass die Debatte um den Einfluss der Bilderberger bislang noch im Trüben fischt, weil kaum eine seriöse wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen vorliegt.
Wie man sich dem verschwiegenen Thema aus sozialwissenschaftlicher Perspektive annähert, führt Björn Wendt in seiner Studienarbeit „Die Bilderberg-Gruppe – Wissen um die Macht gesellschaftlicher Eliten“ vor. Während es der Berichterstattung an Objektivität und Transparenz fehlt, unternimmt der studierte Soziologe den seltenen Versuch einer theoretisch und methodisch fundierten Untersuchung. Mit ruhiger und wohlinformierter Stimme bewegt er sich in dem Spannungsfeld des gesellschaftlichen Diskurses über die Macht der Elite-Gruppe. Die Frage, wie Journalisten, Politiker und Verschwörungstheoretiker ihr Wissen über die Macht der Bilderberg-Gruppe konstruieren, bildet dabei den Kernpunkt in Wendts Arbeit. Ausgehend von einem Gerüst aus klassischen, marxistischen und pluralistischen Elitetheorien nähert sich Björn Wendt seiner Fragestellung, indem er zahlreiche Dokumente und Daten heranzieht: Angefangen bei journalistischen Beiträgen über politische Stellungnahmen bis hin zu verschwörungstheoretischem Material erfolgt eine empirisch qualitative Sichtung der öffentlichen Erzeugnisse. Diese Differenzierung erlaubt es dem Autor, spezifische Zensurmechanismen der unterschiedlichen Akteursgruppen hinsichtlich ihrer Berichterstattung aufzudecken. Seine Ergebnisse ergänzt Björn Wendt abschließend durch die Betrachtung des wissenschaftlichen Feldes. Dabei gewährt der Autor dem interessierten Leser tiefe Einblicke in bisher vernachlässigte Quellen zur Organisationsstruktur, Finanzierung und Rekrutierung sowie zu Ablauf und Themen der Bilderberg-Konferenzen. Auch auf eine vollständige Auflistung ihrer Mitglieder von den Anfängen bis zum Jahr 2012 wird nicht verzichtet.
Mit kritischem Blick und methodischer Sicherheit stellt Björn Wendt aufschlussreiche Erkenntnisse auf dem Gebiet der „Elitenforschung“ vor und setzt zudem wichtige Impulse für eine vertiefende Diskussion und Untersuchung eines unzureichend thematisierten sozialen Phänomens. Wer also den Meldungen über „heimliche Weltregierungen“ und „mächtige Eliten des Planeten“ überdrüssig ist und sich stattdessen einem wissenschaftlich fundierten und transparent gestalteten Deutungsmodell der Macht der Bilderberg-Gruppe widmen möchte, ist mit der Arbeit von Wendt richtig gerüstet.

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