Lösen Konservierungs-, Farb- und Geschmacksstoffe in Lebensmitteln Darmentzündungen aus?

Was macht den Darm krank:
Lösen Konservierungs-, Farb- und Geschmacksstoffe in Lebensmitteln Darmentzündungen aus?
Mehr als 300.000 Menschen leiden in Deutschland an einer CED, einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Während früher die meisten Betroffenen ihre ersten Symptome im Alter zwischen 20 und 40 Jahre hatten, sind zumeh­mend mehr Kinder betroffen. Die Erkrankung hat zum Teil genetische Ursachen, aber auch Umweltfaktoren werden für den Ausbruch der Darmentzündung verantwortlich gemacht.

Das Universitätsklinikum Schleswig Holstein und die Asklepios Klinik in Hamburg wollen den Ursachen der CED mit Hilfe einer groß angelegten Zwillingsstudie auf den Grund gehen, um die Krankheit besser zu verstehen und auch um besser Therapien entwickeln zu können.

Für das „Experiment Natur“ wurden bislang 194 Zwillingspaare, von denen ein oder beide Geschwister an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkrankt ist, untersucht und umfassend befragt. Im Herbst 2011 gab es einen kurzen Zwischenbericht. Es haben sich schon jetzt einige erstaunliche Ergebnisse gezeigt:

Überraschend für die Studienleitung war u.a. die Tatsache, dass die älteren Zwillinge signifikant häufiger erkrankten, als die jüngeren Geschwister. Hierfür gibt es noch keine zufriedenstellende Erklärung. Einfacher zu erklären ist die Tatsache, dass die erkrankten Teilnehmern deutlich häufiger Antibiotika eingenommen hatten.

Deutlich erkennbar ist aber auch der Einfluss der Ernährung auf den Ausbruch der Erkran­kung. So hatten beispielsweise die betroffenen Zwillinge deutlich mehr verarbeitete Lebens­mittel verzehrt, wie z.B. Wurstwaren. Genau in diesen Lebensmitteln finden sich vermehrt Konservierungs-, Geschmacks- und Farbstoffe. Daher rät Prof. Raedler seinen Patienten auch mehr frische,vollwertige Nahrung zu sich zu nehmen und möglichst auf synthetische Zusatzstoffe in den Lebensmitteln zu verzichten.

Diese Erkenntnis hat aber schon jetzt Auswirkungen auf die Therapie der CED. Das gilt besonders für die langfristige Basismedikation wie z. B. mit dem antientzündlich wirksamen Mesalazin. Dieses wird in der Hamburger Asklepios Klinik nur noch in einem Präparat verabreicht, das wenig Zusatzstoffe, keine Farb- und Geschmacksstoffe sowie keine Laktose enthält.

Die Studie wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und durch Spenden finanziert.

Dr. med. Martina Spehlmann
Studienleiterin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Kiel - Klinik für Innere Medizin 1
Schnittenheimstraße 12
24105 Kiel
Martina.Spehlmann@uksh.de

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Interview mit Prof. Andreas RaedlerChefarzt der Inneren Abteilung Gastroenterologie des Asklepios Klinikums, Hamburg

Herr Prof. Raedler, worum geht es in der aktuellen Zwillingsstudie, die Sie an der Asklepios Klinik gemeinsam mit der Universitätsklinik in Kiel durchführen?

Wir haben in den letzten Jahren 194 Zwillingspaare untersucht, von denen einer eine chronische Darmentzündung wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa hat. Dabei haben wir sowohl sehr junge als auch ältere Zwillings­paare aus Deutschland, aus der Schweiz und aus Österreich untersucht.

Das Zwillingskollektiv, das wir bisher gesammelt haben, wird dafür sorgen, dass wir sowohl sehr viel mehr über die Krankheiten Morbus Crohn und Colitis ulcerosa erfah­ren, aber auch über die Therapie, und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil wir mit den Zwillingen auf sehr effektive Art und Weise herausfinden können, was der genetische Hintergrund dieser Erkrankung ist. Das interessiert uns im Moment bei allen Erkrankun­gen. Und zweitens, weil man mit den Zwillingsstudien sehr viel sauberer feststellen kann als in anderen Kollektiven, die man vergleicht, welche äußeren Faktoren für den Aus­bruch der Erkrankung verantwortlich sind. Und wir wissen ja, die Hälfte sind genetische und die andere Hälfte sind äußere Faktoren. Bei den Zwillingen, von denen der eine krank ist und der andere gesund, ist der Gesunde sozusagen die Normalkontrolle des Kranken.

Welche Ergebnisse zeigen die Untersuchungen bisher?

Die ersten Ergebnisse, die wir hinsichtlich von äußeren Risikofaktoren gewonnen haben, haben uns teilweise sehr erstaunt.

Zum Beispiel hat sich herausgestellt, dass der erstgeborene Zwilling signifikant häufi­ger erkrankt. Das kann man wirklich nur schwer erklären, und da bemühen wir uns sehr drum, das zu erhellen.

Ein zweiter wichtiger Faktor sind Antibiotika. Es gibt nachweislich deutliche Unterschiede bei den Zwillingen, von denen einer erkrankt ist, wie viele Antibiotika vor dem Ausbruch der Erkrankung genommen wurden. Die Betroffenen waren eindeutig ein Patientenkollek­tiv mit mehr Antibiotika-Episoden.

Aber auch Essgewohnheiten haben einen wesentlichen Einfluss auf die Erkrankung. Wenn Sie zum Beispiel den Patienten nur über die Vene ernähren und der Darm keinen Kontakt mit dem Nahrungsbrei hat, dauert es ein paar Wochen, und dann ist die Krank­heit sozusagen zur Ruhe gekommen und keine Entzündung mehr zu sehen. Wenn der Patient dann wieder beginnt zu essen, kommt die Krankheit sofort wieder.

Wir wissen auch, dass die Erkrankung zuerst ihre Gipfelhäufigkeit in Nordamerika hatte, dann in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in Mittel- und Nordeuropa, und jetzt sind Schwellenländer in Osteuropa, China, Südafrika davon betroffen. Daher vermuten wir, dass es sich bei der CED, der chronisch entzündlichen Darmerkrankung, um eine Life-Style-Erkrankung handelt. Western-Lifestyle plus Ernährung - da liegt der Schluss nahe, die Erkrankung könnte mit der industrialisierten Kost zusammenhängen.

Bei unseren Untersuchungen fiel uns besonders auf, dass sehr stark industriell verän­derte Kost wie z.B. Wurstwaren von den betroffenen Zwillingen unterschiedlich häufig konsumiert wird.

Was in unseren Lebensmitteln macht unserem Darm so zu schaffen, dass es der Aus­löser einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung sein könnte?

Dass das Erscheinen dieser Krankheit im letzten Jahrhundert zusammenfällt mit der Tatsache, dass unser Immunsystem mit so vielen Fremdsubstanzen konfrontiert wird, die neu synthetisiert worden sind und die es noch nicht kennt, ist auffallend. Ein kausaler Zusammenhang zwischen diesen neuen Stoffen und der chronisch entzündlichen Darmerkrankung drängt sich auf.

Wenn man sich überlegt, was „moderne“ und „industrialisierte“ Kost ist, kommt man natürlich in erster Linie auf synthetische Konservierungs-, Farb- und Geschmacksstoffe, die es früher in unseren Lebensmitteln nicht gab.

Unser Immunsystem ist kompetent für alles, was es seit Jahrtausenden auf diesem Planeten gibt. Das haben wir von unseren Altvorderen gelernt.

Nun sind aber in den letzten 100 Jahren von der organischen Chemie über fünf Millionen Substanzen neu synthetisiert worden, und davon - schrecklich - über 50.000 in unserer Nahrung. Mit den neu synthetisierten Konservierungs-, Farb- und Geschmacksstoffen kann unser Immunsystem nicht immer adäquat umgehen. Konfrontiert mit diesen Substanzen zeigt unser Immunsystem bei einigen Menschen eine Überreaktion, so dass eine Entzündung im Darm entsteht.

Welche Konsequenzen hat der Zusammenhang zwischen synthetischen Stoffen und Lebensmitteln?

Die logische Folge aus diesen Beobachtungen ist es, möglichst wenige dieser künstli­chen Stoffe mit der Nahrung aufzunehmen. Daher empfehlen wir unseren Patienten, sich vollwertig mit frischen Lebensmitteln zu ernähren und Konservierungs- und Süßstoffe, Aroma- und Farbstoffe möglichst zu meiden.

Hat die Tatsache, dass Sie beispielsweise Konservierungs-Farb-und Geschmacks­stoffe als Auslöser vermuten, einen Einfluss auf Ihre Therapie?

Die bisherigen Studienergebnisse haben in unserer Klinik in der Tat auch Auswirkungen auf die Gabe von Medikamenten.

Obwohl wir ja nicht wissen, welche Substanzen für die Entzündung im Darm verantwort­lich sind, gehen wir davon aus, dass je reiner die Substanzen sind, desto übersichtlicher die Konsequenzen sind, und desto geringer ist die Gefahr, dass man nicht nur nützt mit Medikamenten, sondern auch schadet.

Das gilt besonders für die langfristige Basismedikation der chronisch entzündlichen Darmerkrankung z.B. mit dem antientzündlich wirksamen Mesalazin. Wir verabreichen hier nur noch ein Präparat mit wenig Hilfsstoffen, das frei von Farb- und Geschmacksstof­fe und frei von Laktose ist.

Zwar sind die Laktosemengen in Medikamenten gering, so dass eigentlich keine körper­lichen Nebenwirkungen zu erwarten sind. Allerdings löst die Erwähnung dieses Zusatz­stoffes auf dem Beipackzettel bei Patienten, die eine Laktose-Intoleranz haben, oft ein großes Misstrauen aus. Das kann dann dazu führen, dass die Medikamente nicht mehr regelmäßig eingenommen werden. Und die aus diesen Ängsten folgende Verminderung der Therapietreue kann dem Patienten dann längerfristig schaden.

Wie wird es weitergehen mit Ihrer Studie?

Wir haben bislang 194 Zwillingspaare in die Studie eingeschlossen. Der Erfolg der Stu­die wird sehr viel größer, wenn wir die 194, die im deutschsprachigen Raum rein sta­tistisch noch existieren müssen, auch motivieren könnten, mitzuhelfen. Daher suchen wir weiterhin nach eineiigen Zwillingspaaren, von denen einer an einer chronischen Darmerkrankung leidet.

Die teilnehmenden Zwillinge profitieren sehr von ihrer Teilnahme: erstens weil sie mehr über die Krankheit erfahren, zweitens weil sie uns dabei unterstützen, dass wir bes­sere Therapien entwickeln können, und drittens weil sie sehr gern an unserem Zwil­lingstreffen teilnehmen, das wir alle zwei oder drei Jahre in Hamburg organisieren. Das faszinierendste für sie ist dabei, andere Zwillinge kennenzulernen und die besondere Lebenssituation von Zwillingen miteinander zu besprechen.

Übrigens: jetzt, wo ich durch die Arbeit mit den Zwillingen nicht nur zum Experten geworden bin für chronisch entzündliche Darmerkrankungen, sondern auch für Zwillinge, würde ich mir wünschen, auch einen eineiigen Zwilling zu haben. Ich will Ihnen auch sagen warum: weil man einen Menschen auf der Welt hat, der einen richtig gut versteht. Das ist das, was wir uns sonst eigentlich immer wünschen.

Das Video mit dem Interview mit Prof. Raedler finden Sie auch unter dem Titel “CED-Zwillingsstudie” bei Youtube.

Prof. Dr. med. Andreas Raedler
Chefarzt der Inneren Abteilung Gastroenterologie des Asklepios Westklinikum Hamburg-Rissen
Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg
Suurheid 20
22559 Hamburg
www.ced-hospital.de