Anerkennung und Vollstreckung der Urteile deutscher Gerichte in der Ukraine

Nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht ist kein Staat verpflichtet, Entscheidungen, die von Gerichten anderer Staaten erlassen wurden, anzuerkennen und auf seinem Territorium zu vollstrecken. Eine völkerrechtliche Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung des Urteils eines ausländischen Gerichts entsteht nur dann, wenn sich ein Staat dazu durch einen entsprechenden völkerrechtlichen Vertrag verpflichtet hat.

Laut Art. 390 Abs. 1 der Zivilprozessordnung der Ukraine vom 18. März 2004 gilt als Bedingung der Anerkennung und der Vollstreckung einer Entscheidung ausländischer Gerichte das Vorhandensein eines von der Ukraine ratifizierten internationalen Abkommens bzw. die Anerkennung und die Vollstreckung erfolgen auf Grund des Gegenseitigkeitsprinzips. Dabei definiert der vorgenannte Artikel den Begriff der Entscheidung des ausländischen Gerichts als Entscheidung des Gerichts eines anderen Staates oder eine Entscheidung anderer Organe ausländischer Staaten, zu deren Zuständigkeit die Verhandlung in Zivil- und Wirtschaftssachen gehört, oder eine Entscheidung internationaler oder ausländischer Schiedsgerichte.

Die Ukraine hat eine Reihe von internationalen Übereinkommen und bilateralen völkerrechtlichen Verträgen ratifiziert bzw. unterschrieben, die das spezielle und in den meisten Fällen vereinfachte Anerkennungs- sowie Vollstreckungsverfahren vorsehen. Zwischen der Ukraine und Deutschland besteht aber kein entsprechendes Abkommen, das die Fragen hinsichtlich der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen in Zivil- und Wirtschaftssachen regelt.

Die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen ausländischer Gerichte können in der Ukraine auch auf Grund des Gegenseitigkeitsprinzips erfolgen. Dabei wird angenommen, dass das Gegenseitigkeitsprinzip existiert, solange nichts anderes nachgewiesen wurde (Art. 390 Abs. 1 der Zivilprozessordnung der Ukraine). Zu beachten ist hier, dass die Bestimmung des Art. 390 Abs. 1 der Zivilprozessordnung der Ukraine in Bezug auf die Vermutung des Gegenseitigkeitsprinzips mit dem Gesetz der Ukraine „Über die Vornahme von Änderungen zu einigen Rechtsakten der Ukraine hinsichtlich der Regulierung der Fragen des internationalen Privatrechts“ vom 21. Januar 2010 (in Kraft seit dem 16. Februar 2010) eingeführt worden ist. Früher war dieses Prinzip an den konkreten Fall angeknüpft.

Eine ähnliche Bestimmung in Bezug auf das Gegenseitigkeitsprinzip beinhaltet Art. 328 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung Deutschlands, wonach eine der Voraussetzungen der Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts die Verbürgung der Gegenseitigkeit ist. Bei einer solchen Verbürgung kommt es nicht auf eine offizielle Feststellung eines staatlichen Organs oder gar den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem betreffenden Land an. Ausreichend ist vielmehr, dass die Anerkennung und Vollstreckung eines deutschen Urteils in dem entsprechenden Staat auf keine wesentlich größeren Schwierigkeiten stößt, als die Anerkennung und Vollstreckung des anzuerkennenden Urteils in Deutschland.

Insofern steht der Anerkennung der Entscheidungen bzw. Urteile deutscher Gerichte in der Ukraine grundsätzlich nichts mehr im Wege. In der Praxis können aber Schwierigkeiten bei der Anerkennung der Entscheidungen bzw. Urteile ausländischer Gerichte (also nicht nur deutscher Gerichte) entstehen, nicht zuletzt weil sich seit der Verabschiedung des Gesetzes vom 21. Januar 2010 keine Gerichtspraxis bzw. Rechtsprechung zu dieser Frage gebildet hat.

Darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen, dass der Schuldner (sollte es sich um eine Entscheidung in Schuldverhältnissen handeln) versuchen wird, das Fehlen des Gegenseitigkeitsprinzips zwischen der Ukraine und z.B. Deutschland in der Praxis nachzuweisen. Dies kann beispielsweise durch die evtl. entstandene Gerichtspraxis der Nichtanerkennung von Entscheidungen ukrainischer Gerichte in Deutschland nachgewiesen werden.

Ferner ist zu beachten, dass der Antrag auf Anerkennung bzw. auf Vollstreckung der Entscheidung bzw. des Urteils eines ausländischen Gerichts aus gesetzlich vorgesehenen Gründen abgelehnt werden kann, beispielsweise wenn die Entscheidung in einer Sache gefasst wurde, deren Verhandlung ausschließlich durch ein ukrainisches Gericht zu erfolgen hat. So sieht Art. 77 Abs. 1 des Gesetzes betreffend das internationale Privatrecht vom 23. Juni 2005 die ausschließliche Gerichtsbarkeit unter anderem für die Fälle der Verhandlung in Sachen einer Immobilie, die sich in der Ukraine befindet, vor.

Die Entscheidung eines ausländischen Gerichts kann zur Zwangsvollstreckung innerhalb von drei Jahren ab dem Datum ihrer Rechtskraft in der Ukraine vorgelegt werden. Ausgenommen davon bleiben Entscheidungen über die Beitreibung von periodischen Zahlungen. Solche Entscheidungen können zur Zwangsvollstreckung innerhalb der ganzen Zeit des Vollstreckungsverfahrens zur Begleichung der Schulden für die letzten drei Jahre vorgelegt werden (Art. 391 der Zivilprozessordnung der Ukraine).

In der Ukraine wird der Antrag auf Anerkennung bzw. auf Vollstreckung der Entscheidung ausländischer Gerichte vom allgemeinen Gericht am Sitz bzw. Wohnsitz des Schuldners verhandelt. Verfügt der Schuldner über keinen Sitz bzw. Wohnsitz in der Ukraine oder ist sein Sitz bzw. Wohnsitz unbekannt, wird der Antrag auf Anerkennung, bzw. Vollstreckung der Entscheidung des ausländischen Gerichts am Ort des Vermögens des Schuldners in der Ukraine verhandelt.

Auf Grund der Entscheidung des ausländischen Gerichts und des in Kraft getretenen Beschlusses des ukrainischen Gerichts über die Gestattung der Zwangsvollstreckung erteilt das ukrainische Gericht einen Vollstreckungstitel, der dem Vollstreckungsamt zur Vollstreckung zugeleitet wird.

Igor Dykunskyy, LL.M.
Rechtsanwalt, Partner

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Ukraine