Stuttgart 21: Widerstandsrecht und Ziviler Ungehorsam

Ein Beitrag von Dirk Werhahn

Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."

Was können Menschen tun, wenn sie den Eindruck haben, staatlichen Akteure agieren wissentlich gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger?

Vornweg: Dieser Beitrag dient der Informationen und der Orientierung. Es handelt sich um keine Beratung und kann nicht für rechtliche Einschätzungen verwandt werden. Bei konkreten Anliegen wenden sich Leserinnen und Leser an einen Anwalt oder an eine Beratungsstelle.

Widerstandsrecht: Die Hürden für einen legitimierten Widerstand sind sehr hoch gesetzt. Der oben zitierte Artikel 20 GG Absatz 4 greift erst dann, wenn die Grundelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die Menschen- und Grundrechte (Menschenwürde, persönliche Freiheitsrechte und Gleichheitsprinzip), das Rechtsstaatsprinzip, das Demokratieprinzip, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verfassungs- und Gesetzesbindung von Legislative, Exekutive und Judikative, das Republikprinzip und das Sozialstaatsprinzip verletzt sind. Am Beispiel von Stuttgart 21 müsste beispielsweise nachgewiesen werden, dass die Staatsgewalt nicht mehr vom Volke ausgeht. Offensichtlich wäre das, wenn demokratische Wahlen verhindert werden würden. Ob das Widerstandsrecht angewandt werden kann, wenn die gewählten Vertreter objektiv den Willen des Volkes nicht mehr umsetzen, kann nicht einfach beantwortet werden.

Ziviler Ungehorsam: Durch einen Verstoß gegen rechtliche Regelungen kann die Bürgerin/der Bürger mit einem Akt zivilen Ungehorsams darauf aufmerksam machen, dass eine Unrechtssituation zu beseitigen ist. Es gibt eine Stufung der Aktionen:

* Protest: z.B. Flugblätter, Märsche, Mahnwachen,
* Funktionale Demonstration: z.B. Seminare, Erklärungen, die die angestrebten Alternativen deutlich machen.
* Legale Nichtzusammenarbeit: z.B. Wahlboykott, Bummelstreik, Zurückweisung ziviler oder militärischer Ämter,
* Legale Rolleninnovation: z.B. Gründung eigener Bildungsstätten, Zeitungen, Hilfsfonds, usw.
* Ziviler Ungehorsam, Offene Missachtung von Gesetzen: z.B. durch Steuerverweigerung, Sitzstreik, Generalstreik,
* Zivile Usurpation: z.B. durch Besetzung von Land oder Häusern, Sit-in an verbotenen Orten, Einrichtung von Selbstverwaltungen usw.

Der zivile Ungehorsam ist weder Straftatbestand noch Ordnungswidrigkeit an sich. Er kann nur mittelbar durch die Sanktionierung der begangenen Gesetzesverletzungen bestraft werden. Bei Stuttgart 21 sind Formen des zivilen Ungehorsams auszumachen: Die Sitzblockaden verstoßen dabei gegen aktuell geltende Recht. Die daran Teilnehmenden haben mit Anzeigen und Geldstrafen zu rechnen.

Fazit: Obwohl die gewählten VertreterInnen im Bezug auf Stuttgart 21 offensichtlich den Willen der Bürgerinnen und Bürger nicht abbilden und umsetzen, dürfte die Anwendung des Widerstandsrecht nicht geboten sein. Sollte sich jedoch herausstellen, dass die politischen Akteure bei der Gesetzgebung und die Verwaltung bei der Umsetzung gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen haben, dann ergibt sich eine andere Grundlage. Ziviler Ungehorsam ist möglich, die Akteure müssen jedoch die entsprechenden Sanktionen hinnehmen.

………… Der Autor ist Mitglied im DVPJ ………………