Gerechtigkeit für Indianer?

US-Regierung stimmt Entschädigungszahlung zu

Die USA lassen sich feiern. Für eine Einigung in einem jahrelangen Rechtsstreit, in dem es um Entschädigungszahlungen für Indianer ging. 3,4 Milliarden Dollar (rund 2,3 Milliarden Euro) sollen die Indianer vom amerikanischen Staat erhalten. Dieser Verhandlungsdurchbruch, so heißt es, sei auch ein ganz persönlicher Erfolg für Präsident Obama, der in seinem Wahlkampf versprochen hatte, sich für die Interessen der Indianer einzusetzen. Obama: „Ich bin stolz, dass meine Regierung heute diesen Schritt unternommen hat.“

VIELE OFFENE FRAGEN

Doch bei näherer Betrachtung wirft die Einigung gravierende Fragen auf. Worum genau geht es? Die amerikanische Regierung hat sich am 8. Dezember 2009 nach 13 Jahren Prozessdauer mit Interessenvertretern von mehr als 300.000 indianischen Ureinwohnern geeinigt. Diese hatten Entschädigung für entgangene Einnahmen unter anderem aus der Förderung von Öl und Erdgas auf eigenem Land gefordert, das seit 1887 vom Innenministerium verwaltet wird. Nach indianischer Tradition gehörte das Land in den Stammesgebieten allen gemeinsam. Das 1887 verabschiedete so genannte Dawes-Gesetz erlaubte es jedoch der US-Regierung, Land zu beschlagnahmen, aufzuteilen und an einzelne Stammesmitglieder zu vergeben. Land mit reichen Rohstoffvorkommen gelangte dabei aber oft in den Besitz von Privatunternehmen.

Eigentümer dieser Ländereien blieb der amerikanische Staat. Und dieser nutzte sie auch wirtschaftlich. So wurde auf den Ländereien, die eigentlich den Indianern übertragen waren, Bergbau und Viehzucht betrieben. Vielfach wurde durch die amerikanische Regierung auch Öl und Gas gefördert und Holzwirtschaft betrieben. All dies geschah angeblich in treuhänderischer Weise. Denn die Profite sollten an die Indianerstämme verteilt werden.

Doch dabei, so die Klage der Indianer, ging es alles andere als mit rechten Dingen zu. Immer wieder habe die amerikanische Regierung die Indianer um ihren gerechten Anteil an den Einnahmen aus der wirtschaftlichen Nutzung der Indianer-Ländereien geprellt. Schon seit geraumer Zeit werfen die Indianerstämme der Regierung vor, das Land nicht transparent zu verwalten. Sie glauben, dass ihnen weit mehr gehört, als ihnen die Regierung auszahlen würde.

GEZIELTE AUSROTTUNG

Wer die Geschichte kennt, wundert sich kaum über diese Vorwürfe. Im 19. Jahrhundert war es üblich: Der weiße Mann unterwirft die Indianer und bietet ihnen dann Friedensverträge an, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Das Land geht an die Weißen, die Indianer verlieren ihre Heimat, ihre Identität und ihre Würde. Das Massaker von Wounded Knee im Jahre 1890 markiert den endgültigen Sieg der Weißen über die Indianer. In der Folge lebten sie in Reservaten und waren von Lebensmittelrationen der Weißen abhängig. Denn die Reservatsländerein bestanden zumeist aus unwirtlichen Flächen. Auch war nicht zuletzt durch die gezielte Ausrottung der Bisons die Nahrungsgrundlage der Indianer entzogen worden.

Auch im 20. Jahrhundert setzte sich die Ausbeutungspolitik fort. Wie wenig das Leben und die Würde eines Indianers zählten, zeigt sich auch an einer Vielzahl weiterer Punkte. Beispielsweise war bis 1920 die Vergewaltigung einer Indianerin straffrei. Erst mit dem Indian Self Determination Act von 1968 erhielten die Indianer einen Teil ihrer Rechte wieder zurück. Ihr Leben ist jedoch nach wie vor geprägt von Rassendiskriminierung und Armut. Bis in die siebziger Jahre wurden indianische Kinder häufig früh aus ihren Familien gerissen und in meist kirchliche Internate gesteckt. Dort durften sie nicht ihre Stammessprache sprechen und mussten das Christentum annehmen. Später kamen seelische und körperliche Misshandlungen an die Öffentlichkeit. Junge indianische Frauen wurden teilweise unter Zwang sterilisiert.

Obwohl sich ihre Lage während der letzten Jahrzehnte verbessert hat, leben zahlreiche Indianer nach wie vor in bescheidenen Verhältnissen, besonders in den Großstädten. Doch auch das Leben in den Reservaten ist von Armut geprägt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Gesundheitswesen schlecht und der Alkoholismus weit verbreitet. Lediglich durch den Betrieb von Spielcasinos kamen einige Stämme zu einem gewissen Wohlstand. Laut Statistik leiden die Indianer noch immer stärker als die weißen Amerikaner unter Alkoholismus, Herzproblemen, Diabetes und anderen physischen und psychischen Problemen, die oft mit geringer Bildung einhergehen und eine Folge der sozialen wie kulturellen Entwurzelung vergangener Jahrzehnte darstellen.

MILLIARDEN-BETRUG

Nach Berechnungen der Indianervertreterin Elouise Cobell hat die USRegierung bei der „treuhänderischen“ Nutzung der Indianer-Ländereien die indianischen Stämme seit 1887 bis heute um insgesamt 137 Milliarden Dollar betrogen. Derzeit sind dem US-Innenministerium rund 56 Millionen Hektar Land unterstellt. Durch die Verpachtung von Farmland, Minen und Öl- und Gasförderstellen wurden im Jahr 2009 rund 298 Millionen Dollar (rund 200 Mio. Euro) für 384.000 Indianer verdient.

Die nunmehr getroffene Einigung sieht vor, dass mehr als 300.000 Angehörige von Stämmen vor allem in North Dakota, South Dakota, Oklahoma und Montana 1,4 Milliarden Dollar als Ersatz für vergangene und künftige Ansprüche erhalten. Die übrigen zwei Milliarden bilden einen Fonds, damit die Indianerstämme das parzellierte Land, das in vergangenen Generationen in immer kleinere Einheiten unterteilt wurde, zurückkaufen können, um dieses – ganz in der Tradition ihrer Vorfahren – gemeinschaftlich zu nutzen. Außerdem soll für bis zu 60 Millionen Dollar eine Stiftung für die Berufs- oder College-Ausbildung von Indianern eingerichtet werden. Jetzt muss die Entscheidung noch vom US-Kongress und einem Bundesrichter gebilligt werden. Wenn der Vergleich angenommen wird, ist die Zahlung die höchste, die je in einem solchen Fall an Indianer geleistet wurde.

Ursprünglich hatten die Indianervertreter sogar 47 Milliarden Dollar Schadensersatz gefordert. Im Vergleich dazu nimmt sich die von der US-Regierung unter Präsident Obama angebotene Gesamt-Entschädigungssumme von 3,4 Milliarden Dollar äußerst bescheiden aus. Die Interessenvertreter der Indianer haben sich nur deshalb auf diese Summe eingelassen, weil der Druck aus den eigenen Reihen wuchs, die Sache endlich zu einem Abschluss zu bringen. Immer mehr mögliche Empfänger der Vergütungen verstarben. Auch blockierte der Kampf um die Entschädigung andere dringende Anliegen der Indianer, wie zum Beispiel eine verbesserte Wasserversorgung und bessere Bildung.

Wie schwierig der Kampf der Indianer um Gerechtigkeit war, zeigt sich schon daran, dass die US-Regierung noch vor kurzem, nämlich unter Präsident George W. Bush, alles Mögliche und Unmögliche getan hat, um diesen Prozess zu hintertreiben und eine Einigung zu unterbinden. Royce Lambert, der Richter, der damals den Fall verhandelte, sah sich gezwungen, zwei US-Innenminister wegen Missachtung des Gerichtes abzumahnen. Die Folge war, dass Bush den Richter wegen angeblicher Befangenheit von dem Fall abziehen ließ. Es war evident, dass der Bush-Regierung nahestehende Ölfirmen und andere Unternehmen, die an der Bewirtschaftung und Ausbeutung der Indianer-Ländereien prächtig verdienten, nicht zu einem gerechten Teilen bereit waren. Die Interessen der Indianer zählten in den Augen früherer amerikanischer Regierungen dagegen wenig bis nichts. Insgesamt dauerte der Prozess 192 Tage, und es wurden 22 Gutachten erstellt.

DÜRFTIGE „ENTSCHÄDIGUNG“

Doch nicht nur angesichts des im Raum stehenden ungeheuren wirtschaftlichen Schadens, der den Indianern im Lauf vieler Jahrzehnte zugefügt wurde, nimmt sich die jetzt vereinbarte Entschädigungssumme recht dürftig aus. Bei der Eroberung des Westens durch weiße Siedler und die US-Armee wurden seinerzeit fast 18 Millionen Indianer getötet. Heute leben in den USA noch rund 1,9 Millionen Indianer, davon rund 80 Prozent Mischlinge. Die Tötung von 18 Millionen Ureinwohnern lässt sich nur als Völkermord klassifizieren. Für 18 Millionen Tote sind 3,4 Milliarden Dollar respektive 2,3 Milliarden Euro Entschädigung geradezu läppisch. Nach diesen Maßstäben müsste etwa Russland für die fast 30 Millionen getöteter Kulaken in den dreißiger Jahren gerade einmal fünf Milliarden Euro bezahlen. Und würde man an die USA bei der Wiedergutmachung begangenen Unrechts dieselben Maßstäbe wie an Deutschland anlegen, käme man auf eine astronomische Summe.

Dass bei diesem amerikanischen Völkermord nicht mit gleicher Elle gemessen wird und auch niemals gemessen werden soll, zeigt sich schon daran, dass in dem jetzt geschlossenen Vergleich die US-Regierung keinerlei Schuldeingeständnis ausspricht. Die Hauptklägerin in diesem Verfahren gegen Innenminister Ken Salazar, die Schwarzfußindianerin Elouise Cobell, Urenkelin eines legendären Häuptlings aus Montana, meinte denn auch: „Eine Entschuldigung wäre nett gewesen.“ Doch so etwas ist in „Gottes eigenem Land“ offensichtlich nicht vorgesehen. Schließlich ist es leichter, mit dem moralischen Zeigefinger auf Andere zu deuten, als vor der eigenen Türe zu kehren.

Dr. Petersen

23.12.2009: |

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