„Eine offene Diskussion ist nicht erwünscht”

Rechtsanwalt Alfred Heveker über die Auswirkung des Volksverhetzungsparagrafen auf das geistige Klima.

Ermittlungsverfahren gegen Sarrazin, Strafbefehl gegen Bischof Williamson. Der Vorwurf: Volksverhetzung. Inwieweit ist dieser Straftatbestand notwendig? Was nützt er, was schadet er? Die National-Zeitung hat Rechtsanwalt und Notar Alfred Heveker befragt.

Herr Rechtsanwalt, wie beurteilen Sie das geistige Klima in unserem Land?

Heveker: Wenn heute jemand wie zum Beispiel Herr Sarrazin in Deutschland von seiner grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit Gebrauch macht und etwas sagt, das mit den Vorstellungen linker Moralwächter und geistiger Blockwarte nicht übereinstimmt, treten als erstes nach Art pawlowscher Reflexe zahllose Betroffenheitsfanatiker in Erscheinung: Die Empörungsbeauftragten der politischen Parteien, des Zentralrates und der Medien beginnen zu kreischen – und das Ganze endet dann mit der politischen Kaltstellung des Meinungsäußerers und mit seiner gesellschaftlichen Ausgrenzung. Zu guter Letzt leitet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung ein.

ZU REIZTHEMEN DEN MUND HALTEN?

Gehen Sie davon aus, dass die Bestimmung gegen Volksverhetzung – § 130 StGB – auch eine Ausstrahlungswirkung auf nicht verbotene Äusserungen hat?

Heveker: Ja, natürlich. Man unterlässt sie und vermeidet sogar die entsprechenden Themen, weil kaum jemand die Grenzen zwischen dem, was strafbar, und dem, was zulässig ist, zuverlässig abstecken kann. Es wird die rechtspolitische Absicht erkennbar, dass jeder zu Reizthemen der political correctness, zu Tabuthemen den Mund halten – Einschüchterungseffekt – oder sich jedenfalls keine eigene Meinung bilden soll. Eine offene Diskussion ist nicht erwünscht und soll mit drakonischen Strafandrohungen verhindert werden. Dies passt zu totalitären Staaten, aber nicht zu einem freiheitlichen Rechtsstaat.

Wie kann es sein, dass die Bundesrepublik bis 1960 offenbar ganz gut ohne eine Vorschrift gegen Volksverhetzung auskam?

Heveker: Der bis 1960 geltende § 130 StGB – „Anreizung zum Klassenkampf” – betraf lediglich das öffentliche Anreizen verschiedener Klassen zu Gewalttätigkeiten gegeneinander. Auch in den neuen § 130 StGB – Volksverhetzung – wurde ein Meinungsäußerungsverbot erst im Jahre 1994 eingeführt. In den Aufbaujahren des Wirtschaftswunders hatte man andere Sorgen. Und die erfolgreiche Wirtschaftspolitik dieser Jahre bot keinen Anlass, mit Scheinproblemen abzulenken. Der öffentliche Friede war damals infolge Fehlens gewisser Umstände nicht gefährdet und es bestand daher kein Anlass zu einem strafrechtlichen Schutz. Auch war die Würde des Einzelnen bereits ausreichend strafrechtlich geschützt.

GUMMIPARAGRAFEN

§ 130 Absatz 4 Strafgesetzbuch wird auch zur Begründung versammlungsbehördlicher Verbote herangezogen. Das Bundesverfassungsgericht prüft die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung. Dazu soll in Kürze eine Entscheidung ergehen. Wie sehen Sie diese Frage?

Heveker: § 130 Absatz 4 des Strafgesetzbuchs, wonach bestraft wird, wer „die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“, halte ich für mit der Meinungsfreiheit und dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht vereinbar. Mit einer derartigen Gummibestimmung lässt sich alles und jedes begründen. Ein freier und ungezwungener Diskurs ist damit nicht mehr möglich. Im Übrigen gehört die Bewertung historischer Vorgänge nicht in einen Straftatbestand. Mit solchen Festlegungen wird die historische Forschung und damit die Freiheit der Forschung und Lehre insgesamt behindert.

Aber auch § 130 Absatz 3, der es unter Strafe stellt, eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Völkermordhandlung zu „verharmlosen“, war ein Fehler. Gegen diese Vorschrift haben sich auch die beiden ehemaligen Verfassungsrichter Hassemer und Hoffmann-Riem ausgesprochen. Sie verkennt, dass die Geschichtsschreibung von der revisionistischen Herausforderung profitiert. Auch dieser Absatz ist ein Gummiparagraf, denn unter „verharmlosen“ lässt sich alles subsumieren. Die Rechtssicherheit ist damit aufgegeben. Auch wird der Verteidiger – also der Anwalt – seiner eigentlichen Aufgabe beraubt und zur Marionette degradiert, denn er muss – sofern er sich nicht selbst strafbar machen will – stets diese Vorschrift im Auge haben anstatt seinen Klienten so verteidigen zu können, wie er es für richtig hält. Die traurigen Beispiele aus der Praxis dürfen als bekannt vorausgesetzt werden.

Auch die Justiz selbst wird mit einer Problematik belastet: Richter müssen beispielsweise befürchten, in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Medien, persönlich angegriffen zu werden, wenn sie einen der Volksverhetzung Angeklagten freisprechen oder nur milde bestrafen. Man spricht hier wegen der Kampagne gegen den einstigen Richter am Landgericht Mannheim Dr. Rainer Orlet von „Orletisierung“. Dies kann dazu führen, dass Artikel 5 des Grundgesetzes, also die Meinungsfreiheit, von den Instanzgerichten „übersehen“ wird, wie es im Fall Rennicke geschah. Man muss sogar feststellen, dass Justitia in Volksverhetzungsfällen oftmals ihre Augenbinde abnimmt, denn für die Strafbarkeit ist vielfach entscheidend, wer etwas gesagt hat. Was gesagt wurde, ist dann weniger von Bedeutung.

„AUSGRENZUNG UND WIRTSCHAFTLICHE VERNICHTUNG“

Was sollte der Gesetzgeber demnach tun?

Heveker: Ich bin der Auffassung, dass § 130 StGB auf die bis 1994 geltende Fassung reduziert werden muss, wenn unser Land geistig gesunden soll. Ohne Gewährleistung umfassender Meinungsfreiheit besteht die Gefahr, dass unser Rechtsstaat zu einem Linksstaat mutiert. Die grobe Missachtung der Menschenwürde Andersdenkender und deren gesellschaftliche Ächtung haben mittlerweile Formen angenommen, die von totalitären Gesellschaften bekannt sind. Es hat sich eine regelrechte Hassmentalität gegenüber Andersdenkenden herausgebildet. Kritische Geister werden in den Medien als „Hetzer“ verleumdet und gebrandmarkt mit dem Ergebnis ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung und gegebenenfalls auch wirtschaftlichen Vernichtung. Was „Volksverhetzung“ nach dem Laienverstand bedeutet, wird eindrucksvoll von gewissen Politikern, dem so genannten Verfassungsschutz und den Medien vorgeführt. Die unflätigen Beschimpfungen und Verhöhnungen des Kollegen Rieger angesichts seines Todes sind ein Beispiel.


Über DSZ-Verlag

Benutzerbild von DSZ-Verlag

Nachname
DSZ-Verlag

Adresse

www.national-zeitung.de

Postfach 60 04 64
81204 München

Telefon +49 89 89 60 850
Telefax +49 89 83 41 534
E-Mail info@dsz-verlag.de

Homepage
http://www.national-zeitung.de

Branche
Zeitung