Tierarten im Neuköllner Schulbiotop

Künstler an der Hans-Fallada-Schule im Berliner Stadtteil Neukölln schaffen im Rahmen des interdisziplinären Kunstprojektes „TierARTen“ ein nachahmenswertes Projekt mit Modellcharakter.

Ein so genannter Problem-Kiez verändert sich: bislang noch niedrige Mieten und viele leer stehende Läden und Fabriketagen haben im multikulturellen Neukölln eine lebendige alternative Kulturszene entwickeln lassen. Anders in der Umgebung der Harzer Str. 73: hier eröffneten noch keine Projekt- und Kunsträume, haben Plattenlabel und Kunstbuchläden neben Szenecafés noch nicht Einzug gehalten. Das kulturelle Leben findet in Neukölln woanders statt.
Seit Ende letzten Jahres bereichert nun das Projekt „TierARTen: wie viele geh’n auf eine Kuhhaut?“ den Schulalltag der Neuköllner Hans-Fallada-Schule. Sieben Künstler der Gruppe Kunst im Kontakt eröffnen zusammen mit engagierten Lehrern zahlreichen Grund- und Förderschülern neue Einblicke in Ausdrucksmöglichkeiten und Techniken der bildenden und darstellenden Kunst.

Unter Anleitung der Künstlerin Nicole Degenhardt drehen Schüler Filme, entwickeln eigenständig kleine Animationen und setzen so der permanenten passiven Bildüberflutung aus Fernsehen und Internet etwas entgegen.
Nachwuchsschriftsteller feilen im Geschichten-Workshop unter Anleitung von Autor Franz Kipphardt spielerisch an Wörtern und Sätzen, bis Kurzgeschichten und Erzählungen entstehen. Über die Konzentration und Freude am kreativen Schreiben, die in diesem Workshop spürbar werden, würde sich so mancher Deutschlehrer freuen.

„Wichtig ist es, “ meint Künstlerin Simone Orb, die mit Schülern gerade im Freien eine Schafherde wetterfest bemalt, „bei den Kindern Begeisterung für die unterschiedlichen Arbeitsprozesse zu wecken. So begreifen sie, dass Lernen Spaß machen kann und sind stolz auf das Ergebnis. Die einzelnen Workshops eröffnen den Kindern Freiräume zu selbstständigem Handeln und Experimentieren“.?
Ohne eine Förderung durch den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung wäre ein solches Kunstprojekt allerdings nicht möglich. Dort, am Ende der Harzer Strasse, nahe dem früheren Grenzverlauf zwischen Ost und West macht sich immer noch kulturelles Niemandsland bemerkbar: hier fühlt sich kein Quartiersmanagement zuständig, das Projekte finanziell unterstützen und fördern könnte.

Oft fehlen den Familien finanzielle Möglichkeiten, die kulturelle Bildung ihrer Kinder zu fördern. Vielen Eltern sind als Hartz IV-Empfängern Grenzen gesetzt, mit ihren Kindern kulturelle Angebote überhaupt nutzen zu können. Jedes zweite Kind in Neukölln ist von der viel zitierten Kinderarmut betroffen, so fehlen Möglichkeiten, Talente und Begabungen außerhalb des Schulalltags zu fördern.

„Ich sehe hier viele Kinder, die bislang die Erfahrung machten, nicht gut genug zu sein, immer etwas falsch zu machen“, sagt die Choreografin Tamara Rettenmund, die einen Tanz- und Bewegungsworkshop mit SchülerInnen der 3. Klasse macht. „Doch plötzlich fallen Bewertungen, die im alltäglichen Umgang funktionieren ins Leere, weil beispielsweise das übergewichtige Kind mit so viel Hingabe und Feuereifer dem Rest der Gruppe eine gelungene Sequenz vortanzt. Auf einmal geht es um Werte wie Fantasie, Ideen, Witz, Mut und Gemeinschaftssinn. Ganz langsam wachsen neue Bande. Es geht nicht primär darum, ein Star zu sein, sondern - MTV und türkischen Popsternchen zum Trotz - durch den Tanz, die eigene Individualität zu entdecken und im besten Falle, das Leben mit neuem Selbstbewusstsein anzugehen“.

Ende April werden nun die Arbeiten der Schüler aus den Workshops mit den einzelnen Künstlern zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Juni wird sich das Projekt in einem großen finalen Kunst-Spektakel unter Teilnahme der gesamten Schule bei „48-Stunden-Neuköln“ präsentieren.

Die Ausstellung „TierARTen: wie viele geh’n auf eine Kuhhaut?“ läuft vom 28.04. - 30.04.2009 im Mehrzweckraum der Hans-Fallada-Schule.

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14.04.2009: | |