Fachliche Stellungnahme zu Reichenberg/Liberec

Klagenfurt. (Pohl) Wenn es um den "Vertrag von Lissabon" und das europäische Parlament in Strassburg geht, liest man normalerweise die deutschen Namensformen und nicht (portugiesisch) Lisboa bzw. (französisch) Strasbourg. Würde eine internationale Sportveranstaltung in Turin oder Kopenhagen stattfinden, wir würden die einheimischen Bezeichnungen Torino oder København nur selten hören. Für die nordböhmische Stadt Reichenberg wird aber in der Berichterstattung des ORF (auch ARD, ZDF, Eurosport, dpa in Deutschland) über die dort ausgetragene nordische Schi-Weltmeisterschaft ausschließlich die tschechische Bezeichnung Liberec verwendet. Dieser Gebrauch widerspricht sowohl dem "normalen" deutschen Sprachgebrauch als auch der österreichischen Tradition. Dieser Ort hieß im alten Österreich immer Reichenberg*, wenn man deutsch sprach oder schrieb bzw. immer schon, wenn man tschechisch sprach oder schrieb zunächst Liberk und seit 1945 amtlich Liberec. Urkundlich hieß die Stadt seit dem 14. Jhdt. Reichenberg, die tschechischen Formen sind seit Ende des 18. Jhdts. belegt. Da laut Verfassung der Republik Österreich Deutsch die Amtssprache ist, sollte der ORF (in Deutschland auch ARD, ZDF, dpa und andere) neben der tschechischen auch die (altösterreichische) deutsche Form gebrauchen, etwa in der Weise "wir berichten aus Liberec bzw. Reichenberg".

Das regionale Namengut ist zusammen mit der dieses wiedergebenden Sprachform als Hauptrepräsentant dessen zu bezeichnen, was man "immaterielles Kulturerbe" nennt. Sprachwissenschaftlich spricht man bei Namen, die in verschiedenen Sprachen oder Dialekten auftreten, von Endonymen und Exonymen. Endonyme sind jene Namen, die in der Sprache (im Dialekt) der jeweiligen Region gebräuchlich, also einheimisch, bodenständig sind, Exonyme hingegen jene Namen, wie sie in anderen Sprachen für die entsprechenden Objekte gebraucht werden. So ist z.B. Wien das Endonym für Österreichs Bundeshauptstadt und Ljubljana das Endonym für die slowenische Hauptstadt, slowenisch Dunaj, englisch und italienisch Vienna sind Exonyme für Wien, deutsch Laibach, italienisch Lubiana Exonyme für Ljubljana. In gemischtsprachigen Gebieten liegen im allgemeinen für alle geographische Objekte sowohl Exo- als auch Endonyme (z.B. in Kärnten Zell / Sele, Ludmannsdorf / Bilovs, in Belgien Brussel / Bruxelles) vor, sonst nur für allgemein bekannte (wie z.B. für Rom und Athen). International werden unter gewissen Bedingungen nur Endonyme (u.a. bei Post und Bahn) oder Exonyme (z.B. im Flugwesen: nur englische Bezeichnungen für die Flughäfen) verwendet. In der Alltagssprache, aber auch in der wissenschaftlichen Literatur verwendet man im allgemeinen in der jeweils verwendeten Sprache die entsprechenden Exonyme für die einzelnen geographische Objekte, sofern sie allgemein üblich sind. So spricht man in deutsch geschriebenen Artikeln (in der Regel) von Mailand und Warschau, von den Vogesen und dem Kaukasus und nicht von Milano und Warszawa bzw. Vosges und Kavkaz. Lediglich veraltete (und belastete, z.B. Tschechei statt Tschechien) Namensformen sind zu vermeiden oder nur in historischen Abhandlungen verwendbar, wie z.B. St. Veit am Pflaum für Rijeka (im alten Österreich Fiume) oder Morea für Peloponnes. Dies gilt freilich auch für Nazi-Benennungen wie Litzmannstadt für ?ód? oder Sponheim für St. Paul im Lavanttal. Aber Reichenberg ist allgemein üblich, wie auch Brünn, Pressburg, Pilsen usw. (sogar das berühmte Bier heißt auf tschechischen Aufschriften Pilsner Urquell!). Apropos Pressburg, der ORF sagt seit geraumer Zeit nur mehr Bratislava, warum eigentlich??

Es ist aus namenkundlicher Sicht nicht nachvollziehbar, warum im ORF und den Printmedien nur Liberec (und Bratislava usw.) gebraucht wird, aber es weiter Florenz, Mailand, Moskau, Casablanca, Athen usw. heißt (und nicht Firenze, Milano, Moskva, Dar el-Beida und Athina).

Für die Tschechen ist Österreich selbstverständlich Rakousko und die Städte Wien, Regensburg, Aachen, Nürnberg und Wiener Neustadt heißen auf tschechisch Víde?, ?ezno, Cáchy, Norimberk und Víde?ské Nové M?sto ? traditionelle Bezeichnungen wie deutsch Reichenberg, Pilsen usw. Wir könnten uns also die Tschechen zum Vorbild nehmen!

* es gab einmal eine Sendereihe (in den 1970er Jahren, wenn ich mich recht erinnere) "Hallo Sacher, Portier" mit Fritz Eckhart, in der auch regelmäßig ein Altösterreicher aus Reichenberg auftrat (Maxi Böhm: "bei uns in Reichenberg" habe ich heute noch im Ohr. Liberec habe ich aber nie gehört!)

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Univ.Prof. i.R. Dr. Heinz Dieter Pohl, bis 1.10.2007 im Institut für Sprachwissenschaft und Computerlinguistik der Alpen-Adria Universität Klagenfurt und Herausgeber der Zeitschrift Österreichische Namenforschung

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23.02.2009: | | | | | |

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