Systemische Risiken durch das Staatsanleihen-Privileg

Die Finanzierung von Europas Staaten ist ein Selbstläufer. Abgesehen von Griechenland, bekommt jeder EU-Mitgliedstaat das notwendige Geld ohne viel Aufwand am Kapitalmarkt, erläutert Dr. Lutz WERNER, Herausgeber des Finanzportals www.Anleger-Beteiligungen.de und des wöchentlich erscheinenden www.Investoren-Brief.de.

Die Staatsanleihen werden vor allem von den heimischen europäischen Banken – mit dem billigen Geld der Europäischen Zentralbank (EZB) – angekauft. Und weil die Banken die Schuldscheine nicht einmal mit Eigenkapital unterlegen müssen, wie das sonst üblich ist und verlangt wird, haben sich viele Finanzinstitute regelrecht vollgesogen mit Staatsanleihen ihrer Heimatländer.

Mit dieser gefährlichen Liaison zwischen Staaten und Banken soll nach dem Willen der EZB bald Schluss sein. Denn die Schieflage eines Staates kann (und hat auch schon) eine schwere Banken- bzw. Finanzkrise auslösen.

In der Praxis werden Staatsanleihen als risikolos behandelt. Dies zeigt sich auch an den Regeln zur Bankenregulierung. Staatsanleihen besitzen das Privileg, dass Banken für sie weder Risikokapital vorhalten noch die üblichen Beschränkungen für Großkredite beachten müssen. Dieses Privileg dient den Staaten und den Finanzinstituten unter anderem zum reibungslosen Absatz der Staatsanleihen bei Banken und Versicherern.

Die Forderung, dass Staatsanleihen in den Bilanzen von Banken und Versicherern nicht länger als risikolose Anlage betrachtet werden dürfen, hat neue und sehr prominente Fürsprecher erhalten.

Der Europäische Risikorat (ESRB) unter Vorsitz des Präsidenten der Europäischen Zentralbank), Mario Draghi, hat sich in dem in Frankfurt veröffentlichten Bericht klar positioniert: „Das aktuelle Regulierungssystem für Staatsanleihen, die von Finanzierungsinstituten gehalten werden, muss auf weltweiter Ebene überarbeitet werden.“, heißt es in dem Bericht. Ein Regulierungsansatz, der sich an den tatsächlichen Ausfallrisiken orientierte, müsste die durch Staatsanleihen entstehenden Gefahren einbeziehen.

Bislang müssen Banken Staatsanleihen in ihren Bilanzen kaum oder mit gar keinem Eigenkapital besichern (Staatsanleihen-Privileg). Das sei inkonsistent. Draghi schreibt im Vorwort des Berichts, eine Debatte darüber sei „lange überfällig“. Verfasst haben den Report, in dem auch mehrere künftige Regulierungsansätze durchgespielt werden, Wissenschaftler wie Martin Hellwig (Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter) sowie zahlreiche europäische Notenbankvertreter und Bankenaufseher.

Ausführlich schildern die Autoren, wie sich Banken und Versicherungen – vorwiegend in den südeuropäischen Ländern – seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 mit Staatsanleihen vollgesogen haben. So hielten die Banken in Spanien, Griechenland, Irland, Italien und Portugal Mitte 2008 noch weniger als 4 Prozent ihrer gesamten Anlagen in Staatsanleihen. Bis September 2014 steigerten sie diesen Anteil demnach auf mehr als 9 Prozent. In den von der Krise weniger betroffenen Ländern blieb die Rate dagegen etwa konstant.

Diese erheblichen und konzentrierten Investitionen in Staatsanleihen sind nach Ansicht des Gremiums ein systemisches Risiko: Der durch die Regulierung gesetzte Anreiz, sich mit Staatspapieren einzudecken, könnte

  • zu übermäßigen Investitionen führen ,
  • die Kreditvergabe an die Realwirtschaft verdrängen und
  • die Funktionsweise des gesamten Finanzsystems beeinträchtigen,

warnt die Mehrheit der an dem Bericht beteiligten Fachleute.

Das Thema des Berichts ist hochaktuell. Denn die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands zeigt, wie realitätsfern die Annahme ist, dass Staaten ihre Anleihen stets bedienen können.

Auch eine Arbeitsgruppe des für die Standards der Bankenaufsicht zuständigen Baseler Ausschusses beschäftigt sich seit einiger Zeit mit diesem heiklen Thema. Dort wollen die Fachleute des Europäischen Risikorates die Ergebnisse ihres mehr als zweihundert Seiten starken Berichts vorbringen. Explizit will der Risikorat seine Einschätzung zu den Risiken und seine Analyse möglicher Reformen aber nicht als Politikempfehlung, sondern als Bestandsaufnahme verstehen.

Der Bericht des an der EZB angesiedelten Rates, an dem drei Jahre lang gearbeitet wurde, erscheint einen Tag nachdem die Notenbank selbst damit begonnen hat, im großen Stil Staatsanleihen zu kaufen. Durch das Kaufprogramm stehen die Europäische Zentralbank und andere Finanzinstitutionen in Konkurrenz.

Nach Angaben der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) benötigen die europäischen Banken bis Oktober 2015 noch 20 Milliarden Euro für einen Liquiditätsprüfer, mit dem sie in Krisenzeiten ihre Zahlungsfähigkeit sicherstellen sollen. Im Gegensatz dazu will die EZB jeden Monat Wertpapiere im Wert von 60 Milliarden Euro kaufen – den Großteil sollen Staatsanleihen bilden.

Nun hat sich auch die Präsidentin der neuen EZB-Bankenaufsicht, Daniele Nouy, zu Wort gemeldet und gleich einen konkreten Vorschlag präferiert: „Banken dürfen einem einzelnen Schuldner nicht mehr Geld leihen als höchstens ein Viertel ihres Eigenkapitals. Das wäre auch eine sinnvolle Größenordnung für Staatsanleihen“, sagte sie in einem Handelsblatt-Interview. Damit soll für Staatsanleihen künftig die gleiche Obergrenze gelten wie bei sog. Großkrediten.