Kommentar: Streaming und offensichtliche Illegalität vor das Bundesverfassungsgericht?

Seit einigen Tagen überschlagen sich die Meldungen bzgl. Massenabmahnungen seitens der Kanzlei Urmann und Collegen gegen Personen, die - angeblich - illegal Filme im Pornographie-Portal RedTube angesehen haben ("Streaming"), wobei dann - technisch bedingt - Teile der Filme im Cache des Betrachter-Rechners zwischengespeichert werden.
Dazu ein Kommentar:
Lt. Urmann ist also bereits das Cachen von illegalen Inhalten illegal. Richtig ist: Wenn jemand ein Bananen-Photo von einer Kochbuchseite ohne Erlaubnis verwendet, dann wird er als Urheberrechtsverletzer verurteilt. Allerdings müsste z.B. nun auch zusätzlich gelten: Jeder, der die Seite mit dem illegalen Bananenphoto aufruft, ist ebenfalls ein Urheberrechtsverletzer. Und selbst wenn man das Bananenbild beim Laden als illegal erkennen sollte, dann hat man immerhin schon ein Stück Banane im Cache, d.h. man hat die Banane illegal vervielfältigt. Anderes Beispiel: Man landet auf einer Seite, wo ein Zeitungsartikel zitiert wird, u.z. in einem Umfang, der nicht mehr als erlaubtes Zitat gilt. Selbst wenn man dieses unerlaubte Zitat gar nicht bemerkt, z.B. weil man gar nicht so weit liest oder gar nicht auf eine fremde Quelle hingewiesen wird: Man war auf einer offensichtlich illegalen Seite und hat urheberrechtlich geschütztes Material unerlaubt vervielfältigt.
Und selbst wenn vom Seitenbetreiber – wie hier im Falle RedTube – die grundsätzliche Legalität versichert und dementsprechend ein Meldeformular für illegale Inhalte integriert ist: Auch diese Versicherung / Sorgfalt erlaubt die Einstufung als "offenkundig illegal" seitens Abmahnanwälten und Gerichten. Man müsste jedesmal, bevor man eine Seite anschaut, sich vergewissern, dass das dort angebotene Material absolut legal ist. Wie soll das eigentlich gehen? Und selbst diese Vergewisserung könnte als unzureichend eingestuft werden, weswegen man trotzdem zahlen müsste. Man kann das Ausmaß dieser Cache-Ideologie schlichtweg nicht mehr abschätzen. Kurzum:
Mit dieser Rechtsauffassung besteht eigentlich keine Möglichkeit mehr zur angstlosen Internetnutzung.
Nun zu den Grundrechten:
Angesichts der Straffreiheit des Landgerichts Köln trotz Herausgabe von Nutzerdaten / Verstoßes gegen den Datenschutz (cf. Art. 3 Grundgesetz) ist also das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung faktisch bereits völlig ausgehebelt. Und man komme nicht mit der Behauptung, das Gericht sei von den Anwälten "übertölpelt" worden. Denn es dürfte weder sein, dass es Tölpel in der Richterschaft gibt, noch das Richter sich (auch nur ein einziges Mal) tölpelhaft bei der Verletzung der Grundrechte anstellen. Da Unwissenheit grundsätzlich nicht vor Strafe schützt, ist kein Szenario denkbar, dass die Richter straffrei wegkommen, es sei denn eben, dass dieses Grundrecht als solches nicht gilt.
Zudem: Lt. Bundesgerichtshof, BGH-Urteil des III. Zivilsenats vom 24.1.2013 – III ZR 98/12 -, ist Internet ein Grundrecht. Wenn die freie Nutzung des Internets angesichts wahlloser Urheberrechts-Ansprüche faktisch ausgeschlossen ist, ist dieses Grundrecht verletzt. O-Ton BGH: Die "Nutzbarkeit des Internets ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit … auch im privaten Bereich für die … Lebenshaltung von zentraler Bedeutung ist."
Mit diesem Vorgang der Massenabmahnung ist also auch das Grundrecht auf Internet zumindest empfindlich eingeschränkt.
Der Bürger muss m.E. wissen, ob a) Streaming grundsätzlich illegal sein kann, und ob b) wann eine Quelle als "offensichtlich illegal" eingestuft werden muss.
Urmann erklärte kürzlich als Möglichkeit, dass zumindest hinsichtlich des Streamings der Bundesgerichtshof das Thema "in fünf bis acht Jahren abschließend entscheidet". Bis dahin wäre es dann wohl nichts mit den Grundrechten auf Datenschutz, Rechtssicherheit usw. usf.
Sollte deshalb das Bundesverfassungsgericht nicht schon früher dazu entscheiden, wenigstens, um die Rechte auf die Grundrechte abzuklären?
Verfassungsbeschwerden verlangen normalerweise die Ausschöpfung des ordentlichen Rechtsweges. Sie können aber ggf. auch früher eingelegt werden, u.z. wenn sie von allgemeiner Bedeutung sind oder die Rechtswegserschöpfung nicht zumutbar ist.
Wäre es besser, erst zu warten, bis viele hunderttausende Datenschutzverletzungen begangen werden, hunderttausende Abmahnungen verschickt und zigtausende Prozesse geführt worden sind zu den Fragen a) Datenschutz, b) Streaming, c) offensichtliche Illegalität?
Urmann hat offensichtlich die Geduld, lange Jahre bis zu einer etwaigen BGH-Entscheidung zu warten. Die Bürger sollten entscheiden, ob sie diese Geduld Urmanns teilen.

15.12.2013: | |

Über Pater Lingen

Benutzerbild von Pater Lingen

Vorname
Pater Rolf Hermann

Nachname
Lingen

Adresse

Goldbrink 2a
46282 Dorsten

Homepage
http://www.pater-lingen.de

Branche
Priester - Sedisvakantist