Hugendubel? Hieß das nicht gestern noch Deuerlich?

(von Malin Baruschke – OPTIMUS) Die Lust zu lesen ist groß wie selten. Jeder zweite beteuert, gerne Lektüre zu genießen. Dies aber wird im „Offline-Buchgeschäft“ nicht deutlich. Lediglich Amazon-Geschäftsführer Ralf Kleber jubelt „Das Buchgeschäft ist toll!“. Der Markt wechselt das Spielfeld. Der vielbeschäftigte Deutsche kauft online. Ein Stoß in die Magengrube für kleine, lokale Buchgeschäfte. Multi – Channel – Konzept lautet das neue Stichwort. Der Kunde soll immer und überall auf ein möglichst unendliches Angebot zugreifen können. Aus dem Web, von unterwegs und in der lokalen Filiale. Dies macht einen großen, übersichtlichen und allumfassenden Internetauftritt, wie man ihn beispielsweise von Amazon gewohnt ist, mehr als notwendig. Und hier müssen die Kleinen meist passen. Sie verfügen weder über das Angebot, noch über die Mittel einen solchen zu gewährleisten. Der Marktdruck zwingt sie unter die Fittiche von Verbandsstrukturen. Wo der Großverlagshandel auf der einen Seite Finanzförderung und Sicherheit bietet, nimmt er auf der anderen die Unabhängigkeit. Eine Buchhandlung ist nun nicht mehr frei, ein eigenständiges Angebot zu gestalten. Die Vielfalt weicht der Masse und damit der Monokultur. Das macht die Einkaufswelt wenig abwechslungsreich. Auch die Göttinger bekommen das zu spüren.
Ende November wich der altbekannte Schriftzug „Deuerlich“, welcher seit dem Jahr 1824 die Fassade des Hauses in der Weender Straße 33 schmückte, dem Großfirmennamen „Hugendubel“. Die Traditionsbuchhandlung Deuerlich wurde bereits im Jahr 1807 – zunächst als Antiquariat – in Göttingen von Ruprecht Deuerlich gegründet. Ein Jahr später gelangten auch neue Bücher in das Sortiment. Drei Generationen lang befand sich das Haus im Familienbesitz, dann verkauften es die Brüder Gustav und Ernst Deuerlich an die Göttinger Verlegerfamilie Ruprecht. Diese übergaben wiederum im Jahr 2004 an ihren ehemaligen Lehrling, den Lübecker Buchhändler Henning Hamkens. Er war zu dem Zeitpunkt Geschäftsführer der Buchhandelskette Weiland.
Bevor Deuerlich von Weiland gekauft wurde, gab es jedoch Gespräche mit Thalia. Deren Firmenkonzept zur Ansiedlung in Göttingen war allerdings „inkompatibel“ zu den Vorstellungen Deuerlichs, sagte die bis dahin unternehmensleitende Dr. Reinhilde Ruprecht. Dabei war das traditionsgeprägte Privathaus Deuerlich der Grund, warum Thalia vorerst den Standort Göttingen gänzlich ausschloss. Deuerlich war für die gebürtigen Göttinger immer die erste Anlaufstelle zur Beschaffung neuer Lektüre. Erst durch die Masse der überregionalen Studenten erhielt Thalia eine feste Kundenplattform.
Nun wurde Weiland aber, beginnend im Jahr 2007, schrittweise von dem Münchener Buchgiganten Hugendubel aufgekauft. Gegründet wurde dieser im Jahr 1893, als Heinrich Karl Gustav Hugendubel eine damals bereits bestehende Buchhandlung am Salvatorplatz in München kaufte und so den Grundstein für den Familienkonzern legte. Berühmt wurde das Unternehmen 1979 durch den Aufbau Deutschlands erster Großbuchhandlung am Münchener Marienplatz. Im März 2011 besaß Hugendubel bereits 54 Filialen.
Auch die Zentrale des Hauses Weiland zieht im kommenden Jahr von Lübeck nach München. Der in die Jahre gekommene Miteigentümer Henning Hamkens scheidet dann als Geschäftsführer aus. Schon 2011 wurde ihm der Hugendubel -Topmanager Thomas Nitz „zur Seite gestellt“. Damit verliert Weiland und somit auch ehemals Deuerlich jeglichen regionalen Bezug und jede traditionelle Unternehmenskultur. Denn mit der „Unterstützung“ von Nitz sind die strukturellen Änderungen innerhalb der Tochter Weiland und deren Töchtern HERON und Deuerlich erst so richtig ins Rollen gekommen. Doch warum eigentlich konkret?
Die Umbrüche am Markt führen zur allgemeinen Verkleinerung von Verkaufsflächen. Bei Deuerlich fand der Kunde noch knapp 50.000 Werke im Regal. Es waren mal doppelt so viele. Die Verkaufsflächen werden nun mit Dekorationsartikeln, Schreibwaren und „dem Tee zum Buch“ gefüllt. Mindestens ein Zehntel des Buchhandelsumsatzes wird durch Online-Bestellungen eingenommen, sagt die Hugendubel-Geschäftsführerin Stephanie Lange. Dies zwinge den Buchgiganten zu „erheblichen Investitionen im Internetbereich“. Und Hugendubel könne sich nur einen einzigen Auftritt leisten. Sämtliche Töchter, darunter auch Weiland, werden nun also nicht nur unter die Wirtschaft, sondern auch unter den Namen Hugendubel gestellt – online wie auch offline.
Die FAZ beschreibt den Strukturwandel in der Buchhandelsbranche als „Ökonomisierung wie in Amerika“. Konkret meint sie damit die Tatsache, dass zum Beispiel der Großkonzern Douglas, welchem der Großhandel Thalia zugehörig ist, anteilig nach Quadratmeter Filialfläche Gelder beziehen will, um sich Renovierungen und Neubauten mitfinanzieren zu lassen. Und zwar von den Verlagen. Dabei geht es um Beträge, welche je nach Größenordnung zwischen 1000 und 10.000 Euro liegen. Und dies sind Tatsachen, die bereits seit dem Jahr 2005 bekannt sind. Und trotzdem bewegt sich der Trend immer weiter und unumgänglich in Richtung Großkonzern. Und ist vor diesem Hintergrund der Onlineversand nicht die bessere Wahl?
Man mag davon ausgehen, dass der Wettbewerb immer so fair sei, wie die Kunden. Doch wie soll der durchschnittliche Kunde noch abschätzen, ob er einen fairen Kauf tätigt. Als Deuerlich von Weiland im Jahr 2004 übernommen wurde, änderte sich lediglich der Hintergrund des Schriftzuges von Blau auf Rot. Die meisten Käufer vermuteten damals noch nicht, dass es sich bei ihrer geliebten Traditionsbuchhandlung nun vom Grund her nicht mehr um Deuerlich handelte. Sie kauften dort weiter ihre Lektüre. Auch als Weiland 2007 von Hugendubel übernommen wurde, war dies noch nicht äußerlich sichtbar. Und für den Kunden also auch nicht offensichtlich bemerkbar. Erst als nun im November der Schriftzug komplett ausgetauscht wurde, wachte die Kundschaft auf. Hugendubel ersetzt nun ganz offiziell den Platz in der Weender Straße 33. Und das gefällt den Göttingern ganz und gar nicht. Jetzt ist es egal, ob man zu Hugendubel oder Thalia geht. Und Thalia hat Hugendubel sowieso längst in den Verkaufszahlen überholt. Bezogen auf den Standort Göttingen schadet sich der Konzern mit der Namensänderung von Grund auf selbst. Denn das, was Deuerlich für den Kunden vornehmlich attraktiv gemacht hat, war die Tradition. Und diese ist gebrochen.